Sieben Jahre und einige Covid- und gesundheitsbedingte Absagen später. Die Elbphilharmonie in Hamburg steht noch. Obwohl Einstürzende Neubauten zur Eröffnung gespielt haben, sogar zweimal. Und die Location hat in den sieben Jahren ihres Bestehens kein bisschen an Reiz verloren.
Dass die gestrige Show wie jedes Mal sofort ausverkauft war, braucht keine Erwähnung. Die Elphi rappelvoll, schwarz dominiert, das Durchschnittsalter wächst ganz offensichtlich proportional zu dem Bestehen der Band – das sind immerhin schon 44 Jahre. Etwas schade, der Nachwuchs scheint zu fehlen.
Dem Tourposter treu folgend, herrscht Anzugpflicht für die Band. Selbst Alex Hacke hat ein Hemd an, aber immerhin kein Sakko. Blixas Haare deutlich länger, die Wimpern glitzern dramatisch, der klassische Dreiteiler nicht fertig genäht im Zustand der Unfertigkeit. Dass beide barfuß sein werden, wusste man schon vorher. Der Bühnenboden passend zum Cover des aktuellen Album „RAMPEN (apm: alien pop music)“ in leuchtendem Gelb. Weiß waren die Beatles.
„Pestalozzi“ von der neuen Platte kommt sofort auf den Punkt. Ruhig schleichend, aber mit immenser Dichte. Das Schlagwerk drückt deutlich intensiver durch den Raum als auf der Aufnahme. Alex‘s Bass, nur mit dem Vibrator „gespielt“, legt den Teppich darunter.
„Ist ist“ eröffnet die Riege der sprachlich reduzierten Titel. „Isso Isso“ und „Besser Isses“ werden folgen. Blixa erfreut sich sehr offensichtlich an der Titelgebung. Die ausgefeilte Metallschrott-Geräuschkulisse von N.U. Unruh reicht schon, um zufrieden zu sein.
Zum „Grazer Damm“ darf der Einkaufswagen wieder auf die Bühne. Nach übermäßiger Nutzung für „Zerstörte Zelle“ wurde er verbannt. Jetzt hat er so laut gejammert, dass die Neubauten ihn wieder ausgegraben haben.
Neben dem Einkaufswagen ist es schwer, den Überblick zu behalten, was gerade auf die Bühne kommt oder weggeräumt wird. Metallkonstrukte, Plastikkanister, Stahlplatten, Abwasser-Röhren mit Druckluft, Bohrmaschine, Vibratoren, Plastik-Ölfass …die Liste ist lang. Vermutlich bestimmt nicht nur die Setlist, was die Band spielen will, das Fassungsvermögen vom Tourbus ist sicher auch ein relevanter Faktor.
Nach einigen Stücken der beiden letzten Alben geht es in die Vergangenheit zur „Silence Is Sexy“. Nach „Sabrina“ das großartige „Befindlichkeit des Landes“ vom gleichen Album aus dem Jahr 2000.
Wie beim letzten Mal ist kein Radio-Empfang im großen Saal. Das Stück geht trotzdem grandios in die Beine und wird das Highlight des Abends bleiben. Zum ersten Mal dominiert der Bass den (meist zu lauten) Gesang.
Nach „Sonnenbarke“ wieder zurück in die Gegenwart. „Gesundbrunnen“ skizziert einen hässlichen Teppich von unten und Blixas Anklage des biologischen Determinismus. Sein Kind ist als Tochter geboren und jetzt mit 16 ein Sohn. Tobender Applaus.
Als erste Zugabe entpuppt sich der Refrain von „Ten Grand Goldie“ als Tanzhit. „Besser Isses“ als Neubauten-Interpretation eines Breakup-Songs, nicht nur eines der besten Stücke auf der Platte – auch auf der Bühne unheimlich mitreißend intensiv und komplex. Textlich zwischen erlebter Unerträglichkeit und Augenzwinkern.
Zweite Zugabe. In Hamburg müssen Einstürzende Neubauten scheinbar immer „Susej“ spielen. Reminiszenz an die Gitarrenaufnahmen im Flutkeller vom Hafenklang Studio vor ca. 40 Jahren. Und schon geht das Licht endgültig an. So schnell können zwei Stunden vorbeigehen.
Auch wenn die neuen Platten nicht an die Emotionalität von früheren Werken rankommen – live ist das komplett anders. Die Komplexität transportiert sich um ein Vielfaches intensiver, ohne den Spaß am Lärm zu verleugnen. Schrottverwertung in Kombination mit klassischen Instrumenten auf die künstlerische Spitze getrieben.
„Everything will be fine“ ist das dominierende Gefühl des Abends. Wer braucht schon kalte Realität.