Richard David James ist ein Synästhet. Menschen, die Musik z.B. als Farben sehen und begreifen. Kein Wunder, dass sich seine Synthesizer-Schaffenskünste ein wenig nach Malen nach Zahlen anhören und äußerst polarisierend sind. Richard D. James, besser bekannt als Aphex Twin, gilt aber nicht umsonst als Vorreiter der Ambient- und Trance-Szene. Mit seinen „Selected Ambient Works“ trug er mit zur Definition bei, was man mit einem Korg-Synthesizer und ein paar Roland Keyboards so alles zaubern kann.
Der große kommerzielle Erfolg wurde ihm allerdings nie wirklich zu teil. Auch, wenn 1999 die MTViva-Generation mit den von Chris Cunningham produzierten Videos, zu „Windowlicker“ und „Come To Daddy“ zumindest visuell eindrucksvolle Kunst geboten bekamen, konzentrierte sich der in Cornwall aufgewachsene DJ auf seine Arbeit.
Zwistigkeiten mit seinem Stammlabel Warp Records führten dazu, dass er sich auf sein eigenes Label Rephlex konzentrierte und nach ein paar Jahren Funkstille erst 2014 wieder mit einem neuen Release aufhorchen lies.
Seither hat Aphex Twin aufkommende Workaholicphasen, in denen sein Output über Soundcloud anonym gepostet wird oder er ein paar rare Vinyls als Merch auf seinen Gigs verkauft.
Diese erreichten zwischenzeitlich derartige Spitzenpreise, das sich Aphex Twin wohl dazu veranlasst fühlte, seinen Fans ein besonderes Weihnachtsgeschenk zu machen. So streamt man dieses Jahr „Music From The Merch Desk (2016-2023)“ als 38 Tracks umfassende Compilation.
Wer sich auf neues Soundmaterial freut, wird jedoch enttäuscht werden. Der Meister begnügt sich mit Live-Aufnahmen, neuen Abmischungen und Soundtüfteleien bekannter Titel.
„No Stillson 6 Cirk“ oder „42Dimensit3 E3“ gehören zu den mehrfach überarbeiteten Titeln auf der Kompilation, die mit zweieinhalb Stunden Spiellänge zu den durchaus umfangreicheren Hörerlebnissen gehört.
Auf die Musik von Aphex Twin muss man sich willentlich einlassen, derart polarisierend disharmonisch pluckernd und frotzelnd, sphärisch kreiselnd und den perfektionierten Synapsen-Dadaismus feiernd liefert er ein Klangfeuerwerk ab, das für so manches harmoniegewöhnte Ohr zum Rohrkrepierer wird.
Wirklich greifbare Melodien finden sich nicht, allenfalls sich wiederholende Soundfetzen, Klangkonstrukte und scheppernde Gimmicks. Dass er zu den Genies der elektronischen Musik zählt, mag ihm selbst wenig bewusst sein, doch hat er einen geradezu missionarischen Eifer, synthesizer-erzeugte Klänge zu Musik zu verarbeiten.
Selten erreicht es derart meditative Qualitäten, wie „Em2500 M253X“, das mit Vogelgesangssamples eine Pianomelodie zum besten gibt. Wer Spotify um Musik zum Einschlafen bittet, wird ähnliches zu Hören bekommen.
Dagegen verwehrt sich „T23 441″ sämtlicher Begrifflichkeit und lässt sich am ehesten als Taschenrechnermusik in U-Bahnhöfen bezeichnen.
Wenig später finden sich Fragmente von 80er Breakbeats in T20a Ede 441“, als Treibstoff für eine kosmische Reise oder ein ein pochender Drumbeat auf „MT1T2 Olpedroom“, der Keyboard-Piano-Melodien mit Kraftwerk-Synthesizern zu einem eingängigen Genremix vereinbart.
Lässt man die eigene, einengende Vorstellung von Musik außen vor, öffnen sich die Pforten zu Aphex Twins Kunst, die er wohl selbst anders wahrnimmt, als der Großteil seiner Hörerschaft.
Für die einen mag „Music From The Merch Desk ( 2016-2023 )“ ein ganz besonderes Weihnachtsgeschenk sein, für die anderen nur weiterer digital gestreamter Klang-Kladderadatsch.