Ein entferntes Grollen, ein gedämpfter Schrei, vereinzelte Töne – ein Panorama der Bedrohlichkeit. Was sich hier allmählich ausbreitet, ähnelt dem Soundtrack eines Horrorfilms und ist eine weitere spannende Facette im Gesamtwerk Holger Czukays.
Der Archivfund „Gvoon-Brennung 1“ führt uns an die Anfänge elektronischer Musik zurück. Darüber hinaus gibt er uns einen erneuten Hinweis auf die Arbeitsweise des 2017 verstorbenen Ausnahmemusikers.
Holger Czukay selbst hat sich einst mit einem römischen Imperator verglichen. Bei der Produktion seiner Musik folge er einer Technik, die sich an der berühmten Formel Niccolò Machiavellis anlehnt: Teile und herrsche.
Hört man sich durch das Gesamtwerk des 1938 in Danzig geborenen Künstlers findet man eine Menge an Material, das Czukay nach seinem Ermessen zerschnitten und geteilt hat, um anschließend mit ihm in nie dagewesener Form zu herrschen.
Die Rohstoffe seiner Musik sind Czukay in seiner langen Musikerlaufbahn nie ausgegangen. Ob die chinesische Nationalhymne, der Gesang des Papstes oder Stimmengewirr aus Funk und Fernsehen – den Wahl-Kölner drängte es immer zu neuen technischen Herausforderungen.
Hatte er sich während seiner Zeit bei der avantgardistischen Rockband Can noch auf das Spielen des Basses beschränken müssen – und manchmal war hier die Devise, nur einen einzigen Ton zu spielen –, entwickelte sich Czukay nach seinem Ausstieg 1977 zu einem selbsternannten Privatsinfoniker.
Als solcher produzierte er in den folgenden anderthalb Jahrzehnten Alben und Musikvideos. In diesen stellte er nicht nur sein musikalisches Genie, sondern auch seinen abstrusen Humor unter Beweis. Im Film „Krieg der Töne“ (1987) spielte er sogar die Hauptrolle.
Ende der 90er beschäftigte er sich zunehmend mit neuen Medien. Zusammen mit Tech-Pionier Arthur Schmidt alias Gvoon gründete er unter anderem einen ‚Internet-TV-Sender‘, auf dem verschiedene experimentelle Formate Platz finden sollten.
1997 entstand auch das nun wieder aufgetauchte „Gvoon-Brennung 1“. Das Material stammte diesmal aus der Lebensgeschichte Schmidts. So referiert das beklemmende Klanggebilde auf Arthur Schmidts traumatische Zeit in einem Stasi-Zuchthaus in Bautzen.
Nach Abschluss der Produktion übergab Czukay Schmidt das fertige Tonmaterial zur weiteren Verwendung. Dieser nutzte es jedoch erst nach dem Tode seines Kollegen – für eine künstlerische Installation einer Stasi-Verhörzelle.
Das Werk wurde nun von Die Angel (Ilpo Väisänen / Dirk Dresselhaus) und Werner „Zappi“ Diermaier von der Krautrock-Band Faust neu gemastert. Ein Ansporn, sich mit dem nach wie vor beeindruckenden Oeuvre Holger Czukays zu beschäftigen.