Mit geschlossenen Augen hinein in den Jungbrunnen. Zu sehen gibt es ohnehin nicht viel bei John Cale. Seine Show ist arm an Spektakel und reich an schräg forscher Gegenkultur.
Mit 82 Jahren gibt sich der Velvet-Underground-Veteran keinesfalls der Nostalgie hin, sondern präsentiert seine Musik in einer lautstarken, gerne auch unsauberen Inszenierung. Zusammen mit seinen drei Mitstreitern, die allesamt halb so alt sind wie er, formt Cale ein herrlich sprödes Klangbild mit Strukturen weit ab von Lehrbüchern.
Äußerlich sieht man ihm sein Alter durchaus an, wie er leicht gekrümmt auf einem Barhocker an seinem E-Piano sitzt, das von Samplepads und einem Laptop flankiert wird. In schwarzer Hose und schwarzem Hemd wirkt er wie der Pfarrer einer Gemeinde, die der Avantgarde huldigt.
Neben ihm atmen seine drei Mitmusiker, die er mit kopfnickenden Kommandos dirigiert, einen verschrobenen, explorativen Geist wie der Meister selbst. Sowohl der Schlagzeuger als auch der Gitarrist sind zur Sicherheit auch mit Samplepads ausgestattet.
Gerade John Cales neuere Songs, die auf seinen mehr als beachtlichen Alterswerken erschienen sind, verlangen einiges von diesem Equipment, tauchen sie doch mindestens so sehr in die synthetische Avantgarde wie in die rockige.
Während sich das bestuhlte Karlsruher Tollhaus noch fragt, wo eigentlich dieser fulminante Druck von der Bühne kommt, wo darauf doch zumindest körperlich kaum etwas passiert, fallen die geschmackvollen Visuals ins Auge, die über vier mit Mustern bemalte Leinwände flackern. Sie sind in Staffeln aufgehängt und sorgen so für eine hippieesque Tiefe im Raum.
Es dauert eine gute halbe Stunde, bis sich mehr bewegt als nur die Visuals und Cale von seinem Barhocker aufsteht, um an die E-Gitarre zu wechseln. Das riffige Doppelpassspiel, das er dann mit seinem Gitarristen vollführt, ist zweifellos eines der Highlights des Abends.
Mehrfach glänzt Cales Live-Gitarrist mit überragend unkonventionellen Gitarrensolos, bestehend aus einer Vielzahl von Tönen auf und jenseits jeder Harmonielehre.
Irgendwo an dieser Stelle folgt bei John Cales Konzerten dann nicht selten ein Nico-Cover. Die deutsche Model-Ikone und – neben Lou Reed – Sängerin auf der Bananen-Platte von The Velvet Underground, sie hat Cale auch nach seinem Ausscheiden aus der Band immer mit ihrem Freigeist imponiert, weshalb er ihre Soloalben produzierte und sie hofierte.
Heute Abend bleibt die Ehrerbietung jedoch aus. Es ist ein kleiner Wermutstropfen in einem musikalisch reinwaschenden Ereignis. Schließlich ist Cale bekannt dafür, nie das selbe Set zweimal zu spielen und stets munter durchzumischen.
Nur auf eines ist in jedem Fall Verlass: „I’m Waiting For The Man“ von eben jenem Album mit Andy Warhols Banane drauf. Es ist Höhepunkt und Schlusspunkt zugleich und zeigt auf erstaunliche Weise, dass Cale eben nie nur die zweite Reihe hinter Lou Reed war.