Den Raum nicht den Falschen überlassen: Das ist nicht nur das Motto des Widerstands gegen erstarkende ultrarechte Positionen im politischen Bereich, sondern auch die Haltung in der Kultur. Indie-Rock-Liebling Torres knüpft sich mit boygenius-Drittel Julien Baker den Country vor – und widmet dem Genre mit „Send A Prayer My Way“ ein queeres Storybook mit klassischen Sounds.
Überraschender fällt diese Platte sicher für Torres-Fans aus. Nachdem Mackenzie Scott (so der bürgerliche Name von Torres) mit „What An Enormous Room“ im letzten Jahr ein eklektisches Album veröffentlichte, das vor elektronischen Sphären pulsierte, ist die Reduktion auf „Send A Prayer My Way“ nahezu absurd.
Am anderen Ende der Indie-Fahnenstange steht diese Platte jetzt für Fokus auf Geschichten und auf bekannte Strukturen. Das führt dazu, dass Torres selbst auf dieser Platte völlig anders auftritt als bei ihrem Solo-Projekt.
Immer wieder ist das Storytelling in bester Country-Manier zentral, Torres selbst singt ungewohnt tief und mit völlig anderer Intonation („The Only Marble I’ve Got Left“).
Julien Baker hingegen hat nicht nur durch boygenius beste Erfahrungen in der Kollaboration, sondern stochert mit ihrem zarten Folk auch deutlich näher am Country-Klang herum. Gemeinsam nutzen die langjährigen Freundinnen nun die so konservativ konnotierte Sprache aus Banjo, Streichern und Melancholie für Geschichten rund um queere Lebensrealitäten in den Südstaaten der USA.
Egal, ob es ganz tief in den Morast geht („Bottom Of A Bottle“), die Liebe mit reichlich Pathos gefeiert wird („Sugar In The Tank„) oder cineastisch von wichtigen Begegnungen berichtet wird („Tuesday“) – das Duo nutzt ein bekanntes Skript und füllt es mit Subversion und Persönlichkeit.
Das Besondere dabei ist sicher, dass „Send A Prayer My Way“ so nah am Formular bleibt, dass kaum einzelne Songs als klare Hits – das leidenschaftliche „Sylvia“ mal ausgenommen – hervorstechen oder ein stilistisches Aufbrechen des Genres deutlich wird.
Dennoch fällt das Händchen für Songwriting und vor allem Storytelling der beiden Indie-Lieblinge vor Cowboy-Hüten und Steppenläufern noch mehr auf. Wunderschön und bewegend.
Eine Antwort
schon jetzt mein Album des Jahres