Der kürzeste Titel dauert knapp vier Minuten, der längste streckt sich über beinahe 19 Minuten – Car Seat Headrest demonstrieren mit ihrem neuen Album „The Scholars“ dem Spotify-Algorithmus eine nachdrückliche Gleichgültigkeit – und das, obwohl der Band über die letzten Jahre auf TikTok ein Überraschungserfolg gelang.

Statt kurzlebiger Snippets präsentieren Will Toledo und seine Mitstreiter nach fünfjähriger Schaffenspause ein Konzeptalbum – eine Rock-Oper über Leben, Tod und Wiedergeburt, die sich auf dem fiktiven Campus der „Parnassus University“ abspielt.

„The Scholars“ fordert Aufmerksamkeit – und belohnt sie mit Tiefgang. Toledo und seine Band haben ein Werk geschaffen, das die Grenzen zwischen Literatur und Musik verwischt – irgendwo zwischen Shakespeare und einem experimentierfreudigen Indie-Rock-Labor.

Der Opener, „CCF (I’m Gonna Stay With You)“, gibt den Ton an: Ein rhythmischer Jam mit charmantem DIY-Klavier, der in ein harmonisches A-cappella-Finale mündet.

Es folgt „Devereaux“, dessen Crooner-Gesang an die sanften Stimmen der 50er und 60er erinnert – nostalgisch, doch unironisch.

Mit „The Catastrophe (Good Luck With That, Man)“ zeigt sich die Band in klassischer Indie-Rock-Manier: spitze Gitarren, Melancholie, ein Hauch Akustik-Feel – und eine Songstruktur, die Erwartungen unterläuft.

Inhaltlich stehen in der ersten Hälfte des Albums die Studierenden der „Parnassus University“ im Fokus: ihre Ängste, Identitätskrisen, ihr Ringen mit der Realität. Die Songs spiegeln diese persönlichen Turbulenzen musikalisch wider.

„Reality“ bringt mit seinen Lofi-Sounds eine notwendige Verschnaufpause, bevor der Song in der zweiten Hälfte mit einem geschleppten Gitarrensolo wieder Fahrt aufnimmt.

Herzstück des Albums ist das monumentale „Planet Desperation“. Über 18 Minuten entfaltet sich ein facettenreiches musikalisches Abenteuer: heruntergepitchte Vocals, Bongo-Intermezzi – und schließlich das hoffnungsvolle Mantra am Ende des Songs: „You can love again, if you try again.“

Der flotte Closer „True/False Lover“ bringt inhaltlich alle Charaktere zusammen und schließt das Album, als würde die gesamte Besetzung eine letzte Verbeugung auf der Bühne nehmen.

Klanglich erinnert „The Scholars“ oft an die rohe Euphorie von Bleachers, durchzogen von einem schillernden, Prog-Rock-Anspruch. Man hört Spuren von Queen, Twenty One Pilots, My Chemical Romance, Muse und Nothing but Thieves in den Vocals, den Songstrukturen und der charakterbasierten Erzählung.

Im Vergleich zum flatterhaften Vorgänger „Making A Door Less Open“ von 2020 wirkt das neue Werk fokussierter – ein Reifeschritt für Car Seat Headrest, die einst als Solo-Heimprojekt begannen.

Trotz seines erzählerischen Rahmens ist „The Scholars“ kein hermetisches Konzeptalbum: Jeder Track steht für sich, trägt aber zu der Gesamtatmosphäre bei.

Wer dem narrativen Faden folgen will, kann darin versinken – doch auch ohne diese Ebene entfaltet das Album seine Wirkung. Es ist vielschichtig, mutig, und oft schlichtweg mitreißend.

Schreibe einen Kommentar

Das könnte dir auch gefallen

Album

Julien Baker And Torres – Send A Prayer My Way

Album

Perfume Genius – Glory

Album

Circuit Des Yeux – Halo On The Inside

Login

Erlaube Benachrichtigungen OK Nein, danke