Anfang der 80er, die Bühne war Männerterrain, schaffte es eine Frauenband aus Hamburg mit vier Platten zu ein bisschen Weltruhm: Xmal Deutschland. Mehr als 40 Jahre später legt Sängerin Anja Huwe als „Gift: The 4AD Years“ die ersten zwei ihrer vier Platten neu auf und geht damit auf Tour. Ein Gespräch mit der 66-jährigen Künstlerin über farblosen Wave, weibliche Role Models und was ihre Malerei mit dem Sound von damals zu tun hat.
MusikBlog: Anja, Xmal Deutschland klangen Mitte der 80er angenehm, vor allem aber angemessen düster für die damalige Zeit. Trifft das 40 Jahre später ebenso zu?
Anja Huwe: Witzigerweise habe ich die alten Sachen über lange Zeit gar nicht gehört. Warum soll ich auch meine eigenen Platten auflegen? Manuela…
MusikBlog: Bis 1988 eure Gitarristin…
Anja Huwe: …meinte irgendwann, dass das alte Zeug auch heute noch gar nicht so schlecht klinge. Und dadurch, dass wir es jetzt in Den Haag und Paris live gespielt haben, hab‘ ich sie mir noch mal ganz bewusst neu angehört und war überrascht, wie strukturiert und gerade der Sound noch immer ist.
MusikBlog: Der ist ja ohnehin zeitlos. Aber wie steht es mit der Atmosphäre eurer Alben, die in einer ungeheuer dystopischen Epoche entstanden sind, als alle dachten, entweder im Atomkrieg oder sauren Regen zu sterben?
Anja Huwe: Weil die Zeiten heute ähnlich dystopisch sind, funktioniert unsere Musik wieder richtig. Anscheinend korrespondiert sie gut mit epochalen Ängsten. Denn in den Neunzigern, als alles in Ordnung schien, hat sich niemand dafür interessiert. Dass sie jetzt besser passt, merkt man daran, wie die Leute drüber diskutieren. Das ist aber ein Phänomen, keine Absicht.
MusikBlog: Jetzt zwei Alben und zwei Singles zu remastern…
Anja Huwe: …Und zwar in den Abbey Road Studios, also ziemlich fett!
MusikBlog: Ist das demnach nur eine Neuauflage für die Nostalgie oder auch ein Kommentar auf unsere Gegenwart?
Anja Huwe: Viel Kommentar, wenig Nostalgie. Das sieht man ja auch daran, wie viele aus der Generation TikTok sich dafür interessieren. Die Idee zum Reissue hatte ich bereits vor Corona und Trumps Wiederwahl. Wenn wir schon damals veröffentlicht hätten, wäre es vermutlich irgendwie verpufft. Jetzt spürt man, dass die Leute den Sound wieder fühlen wie vor 40 Jahren.
MusikBlog: Das merkt man auch daran, dass eure einzige Charts-Platzierung nicht 1982 war, sondern 2024 mit einer Single-Sammlung auf Platz 50.
Anja Huwe: Stimmt. Und als sie in kürzester Zeit komplett ausverkauft war, wurde uns klar, dass wir da mehr daraus machen können. Das hatte natürlich auch viel mit Angebot und Nachfrage zu tun, weil es Xmal Deutschland einfach jahrzehntelang nur gebraucht zu kaufen gab. Es lag aber auch an den Bandfotos, die unglaublich reingehauen haben. Und dann haben sie ein bisschen Pingpong mit meinem Solo-Album und der neuen, alten Zeit gespielt. Da passte offenbar alles zusammen.
MusikBlog: Fünf Frauen aus einer männerdominierten Pop-Epoche mit knallbunten, hochtoupierten Haaren. Ein ikonisches Bild, das farblich interessanterweise mit deiner pointilistischen Malerei korrespondiert, die ja auch extrem bunt ist.
Anja Huwe: Auch das ist Zufall. Aber weil meine Kunst generell synästhetisch ist, Töne also Farben haben und umgekehrt, steckt dahinter vielleicht doch etwas Unterbewusstes, wer weiß. Am Ende ist alles irgendwie miteinander verbunden.
MusikBlog: Wobei eure Musik von damals inklusive deines stakkatoartigen, atonalen Gesangs wie die meisten Bandfotos etwas Schwarzweißes ausgestrahlt haben, oder?
Anja Huwe: Schon. Das Farblose, Nüchterne unseres Sounds war eine bewusst gewählte Ästhetik. Ein Stilelement des gesamten Genres, das ja im Gothic und Wave wurzelt. Deshalb hatte unsere Musik auch nichts Warmes, sie sollte eine gewisse Distanz erzeugen. Ich selber bin schließlich ein eher distanzierter Typ, bis heute. Ich bin gerne mit Menschen zusammen, aber wenn ich das Gefühl habe, mir blickt jemand zu direkt in die Seele, blocke ich ab.
MusikBlog: Hat das was mit deiner Heimatstadt Hamburg zu tun?
Anja Huwe: Kann schon sein. Aber noch mehr mit mir als Persönlichkeit. Ich lasse mich einfach nicht gern vereinnahmen. Vielleicht auch aus der Erfahrung heraus, die du angesprochen hast: Als Frauen, fast noch Mädchen, in einer männerdominierten Branche, wurden wir, aber auch Leute wie Annette Humpe, oft an der Musik vorbei aufs Optische reduziert. Das nervte und hat vielleicht zur Abwehrhaltung geführt. Ich mache deshalb auch heute noch äußerst ungern Selfies mit Fans oder Freunden. Aber es hat uns dabei geholfen, frühzeitig klare Haltungen zu entwickeln. Bei Konzerten zum Beispiel.
MusikBlog: Inwiefern?
Anja Huwe: Wenn die Männer dort mal Bedenken geäußert hatten, ob wir das auf der Bühne hinkriegen, haben wir halt die Verstärker aufgedreht und sie weggefegt. Das funktionierte immer.
MusikBlog: War es 1980 denn ein bewusstes, womöglich gar feministisches Statement, mit fünf Frauen auf Bühnen zu stehen, die weitestgehend von Männern besetzt waren?
Anja Huwe: Nee, wir waren einfach Freundinnen, die gemeinsam auf Konzerten waren und irgendwann zusammen Musik gemacht haben. Deshalb kamen ja auch bald die ersten Jungs dazu. Anfangs noch als male token (lacht), aber letztlich als vollwertige Bandmitglieder. Danach waren wir halt keine Mädchenband mehr, wie viele bis dahin meist abschätzig meinten. Mir wäre am liebsten gewesen, es hätte überhaupt keine Geschlechterzuweisungen gegeben. Einfach Band. Das reicht.
MusikBlog: In einer perfekten Welt. In einer derart unvollkommenen wie unserer damals, war es aber dennoch ein Statement. Hat es euch wenigstens zu Role Models gemacht?
Anja Huwe: Nicht mal das, glaube ich. Damals steckten wir dafür einfach zu sehr in unserer Blase und hatten schon genug damit zu tun, als Frauen zu beweisen, dass wir Instrumente beherrschen. Im Rückblick sieht man das aber natürlich ein bisschen anders. Da erscheinen wir schon wegen unserer Erfolge durchaus als Statements und Role Models. Dabei waren wir uns wirklich selbst genug damals. Andererseits passiert es bis heute, dass Männer erfolgreichen Frauen im Popgeschäft die musikalische Kompetenz absprechen oder schlimmer noch: ihren Job erklären. Je älter man wird, desto mehr nimmt man das wahr.
MusikBlog: Haben dir diese Erfahrungen schon frühzeitig ein dickes Fell verpasst?
Anja Huwe: Eigentlich nicht. Ich bin eher vorsichtig als dickfellig. Im Moment bin ich aber vor allem dankbar, die Zeit von damals noch mal wachrufen zu können. Das ist wie ein Erbe.
MusikBlog: Mit dir als inoffizieller Nachlassverwalterin?
Anja Huwe: Für eine Nachlassverwalterin bin ich künstlerisch zu breit aufgestellt und mein Leben lang – und vermutlich bis zum Ende – aktiv. Ich habe ja schon in der Schule gemalt und wollte auch auf die HFBK.
MusikBlog: Die Hochschule für Bildende Kunst in Hamburg, auf der auch Leute wie Daniel Richter und Fatih Akin studiert haben.
Anja Huwe: Bin aber nicht genommen worden und habe mich auch deshalb zunächst für die Musik entschieden. Ich war immer beides. Bis heute.
MusikBlog: Vielen Dank für das Interview.