Die Atmosphäre der Angst ist Gift für meine Kunst – Faravaz im Interview

Weil iranische Frauen zuhause Opfer von Gewalt aller Ebenen sind, ist Avaz Favrardin, geboren 1990 in Teheran, nach Berlin geflohen. Auch hier allerdings arbeitet die Sängerin mit ihrer Musik am Sturz der eigenen Regierung. Jetzt erscheint ihr Album „Azadi“. Es ist ein hip-hop-lastiger, ziemlich souliger Akt der Selbstermächtigung für sich und alle Daheimgebliebenen.

MusikBlog: Faravaz, in deinem neuen Song „Ey, Iran“ singst du auf Deutsch „Ich sehe meine Oma wohl nie wieder“. Ist das etwas, das du tatsächlich erwartest, vorerst nur befürchtest oder mit aller Macht verhindern willst?

Faravaz: Vor allem bringe ich damit die Angst vieler Menschen im Exil wieder, ihre Liebsten nie wieder zu sehen, besonders die älteren. Und im Fall meiner Großeltern ist diese Angst Realität geworden, denn sie sind beide gestorben, während ich hier in Berlin war.

MusikBlog: Ist das umso mehr ein Anlass für Optimismus, unbedingt wieder in den Iran zurückzukehren?

Faravaz: Wenn ich das wüsste… Wir alle haben hier die Hoffnung, eines Tages in ein freies, demokratisches Iran zurückzukehren, aber wer weiß, wann es das gibt.

MusikBlog: Jetzt lebst du zwar in Freiheit und Demokratie, aber weit weg von zuhause. Was wiegt schwerer – die Sicherheit oder das Heimweh?

Faravaz: Der Schmerz über die Verhältnisse bei uns zuhause überragt sowohl das Heimweh als auch das Sicherheitsgefühl, aber hier eine Stimme der Stimmlosen zu sein und damit vielleicht ein bisschen zum Wandel beitragen zu können, macht ihn erträglicher.

MusikBlog: Welche Rolle spielt die Musik dabei?

Faravaz: Wie in meinem ganzen Leben eine große, aber sie hat sich vollständig geändert. Im Iran habe ich viel über die Liebe gesungen und versucht, in den kleinen Dingen des Lebens Glück zu finden. Jetzt bin ich zu einer musikalischen Kämpferin geworden, die mit ihren Songs gegen Patriarchat, Misogynie, Ungerechtigkeit in aller Welt ansingt. Die Realität hat die Schönheit im Gedankenpalast meiner Jugend zerstört.

MusikBlog: Du kannst also keine Liebeslieder mehr singen?

Faravaz: Irgendwann sicher, aber im Moment setze ich andere Prioritäten. Und wie soll ich Liebe empfinden, geben, beschreiben, wenn mein Herz blutet? Ich werde gerade anderweitig gebraucht als für leichte Kunst. Diese Welt braucht jetzt laute Kämpfer*innen, kein leises Liebesgesäusel. Ich sehe es als meine Verpflichtung den Menschen im Iran, aber auch meiner Wut gegenüber.

MusikBlog: Kann Musik denn wirklich Regime stürzen?

Faravaz: Ja.

MusikBlog: Nur durch Energie für dein Publikum oder hören die iranischen Machthaber Lieder wie „Eh, Iran“ und Platten wie „Azadi“?

Faravaz: Das ist mir ehrlich gesagt völlig egal. Ich singe nicht für die, sondern für die Frauen meines Landes, die ich empowern möchte und dazu ermutigen, den Wandel selber herbeizuführen. Nur so können wir Druck auf unsere diktatorische Regierung ausüben, aber auch auf die westlichen Politiker*innen. Weil die meine Hoffnungen allerdings fast alle enttäuschen, setze ich sie lieber in Leute, die uns zuhören und Stimmen geben. Leute wie du, normale Menschen im Iran oder Deutschland.

MusikBlog: Wie bist du mit denen verbunden, gibt es eine iranische Community in Berlin?

Faravaz: Ja, und ich stehe mit vielen in Kontakt. Aber eine meiner größten Ängste im Iran bestand darin, nicht die Welt kennenlernen zu können und die verschiedenen Menschen dort. Da bin ich in Berlin am perfekten Ort, denn hier leben alle auf engstem Raum. Ich liebe das, bin aber auch ständig in Kontakt mit Teheran, besonders mit der Generation junger Frauen, die mir das Feedback geben, dass ihnen meine Musik wichtig ist.

MusikBlog: Aber wie kommen die denn überhaupt daran? Das Internet wird doch massiv kontrolliert durchs iranische Regime?

Faravaz: Das wird es, aber junge, technikaffine Menschen wie die im Iran lassen sich durch ein paar Filter und Gesetze nicht davon abbringen, in die Welt hinauszusehen. (lacht)

MusikBlog: Um damit das Regime zu stürzen, zu reformieren, was ist das Ziel der Menschen vor Ort?

Faravaz: Wir versuchen seit 15, 20 Jahren, es zu reformieren, und sind immer wieder gescheitert. Ich glaube nicht mehr an Reformen, ich glaube dieses Gender-Apartheid-System, in dem besonders wir Frauen ja nicht nur von der Regierung, sondern auch in den Familien kontrolliert werden, lässt sich nur komplett beseitigen. Es muss daher nicht nur eine politische, sondern kulturelle Revolution geben. Und sie wird kommen.

MusikBlog: Nur wann?

Faravaz: Das weiß niemand, aber wenn es so weit ist, wird nichts mehr so sein wie zuvor. Der Schlüssel dazu sind wir Frauen. Demokratie kann nur mit der Befreiung der Frau einhergehen und die Befreiung der Frau nur mit Demokratie.

MusikBlog: Und wenn dieser Moment gekommen ist – kehrst du dann sofort in den Iran zurück oder entfernst du dich emotional gerade davon?

Faravaz: Definitiv kehre ich zurück. Ob ich dann auch da bleibe, hängt vom Freiheitsgrad ab, davon, wie sich die Gesellschaft vom toxischen Herrschaftssystem der vergangenen 45 Jahre emanzipiert und vor allem: ob ich dort dann ohne ständigen Druck leben und arbeiten kann, der unabhängig vom politischen System von Männern auf uns Frauen ausgeübt wird. Die Atmosphäre der Angst im Iran ist Gift für meine Kunst.

MusikBlog: Vorerst geht es in dieser aber fast ausschließlich darum.

Faravaz: Leider, ja. Meine Platte muss nahezu vollständig von dieser Unterdrückung handeln, alles andere erschiene mir irgendwie verlogen und falsch. Vor allem aber handelt mein Album vom weiblichen empowerment, also Freiheit, und richtet sich nicht nur an iranische, sondern alle Frauen. Das klingt gar nicht so negativ.

MusikBlog: Vielen Dank für das Interview.

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