Claire Chicha ist Multikulti in Person. Der Vater aus Algerien, die Mutter aus Korea, wuchs sie in Bangkok auf, zog später nach Paris und auch in Los Angeles fühlt sie sich wohl. Nun macht sich die junge Künstlerin unter dem Pseudonym spill tab als Singer/Songwriterin verdient.
Auf ihren ersten EPs „Oatmilk“ und „Bonnie“ überraschte sie mit englisch- und französischsprachigem Popsound, der sich jetzt beim Debütalbum „Angie“ einflussreich und experimentierfreudig zeigt und dabei ab und zu an den Sound von Billie Eilish erinnert, wie zum Beispiel im klavierbegleiteten Lo-Fi-Track „Adore Me“.
Wandlungsfähig zelebriert sich der Titeltrack „Angie“ als experimentierfreudige Nummer. Erweckt durch ein Drumsolo und knarzende Verstärker schlafwandelt der Song in seiner eigenen Dynamik und verzehrt sich an der (Hass-)Liebe. Emotionen, die sich gegen Ende des Titel anstauen und in einem hefeteig-ähnlichen Gitarrensound-Wulst implodieren. Stark.
Französisch geprägt wandelt „Assis“ auf einem energisch taktenden Drumbeat, gibt sich verspielt jazzig und inszeniert spill tab als frohlockenden Schmetterling, der seinen Nektar auch aus der Synthiekakophonie saugt, die dem entspannten Titel die Synapsen durchbrennen lässt.
Durchgebrannt gibt sich auch „Athlet“, das sich Backseat-Love-Phantasien hingibt und dabei lediglich doch nur magere Popkunst bietet.
Interessant wird spill tab immer dann, wenn sie sich dem Sound von Billie Eilish nähert, wie es „By Design“ macht. Schrittweise im hohen Sprechgesang suhlend bestimmt sie den Takt, der sich immer wieder in industriell dröhnenden Synthesizerflächen zerreibt, eine Akustikgitarre als Rettungsring der Hörgewohnheiten anbietet und mit versöhnlichen Singer/Songwriting sogar Lagerfeuerromantik bietet.
Vielseitig? „De Guerre“ beweist wenig später, wie man die bereits angesprochenen Synthesizer in ein Rockgewand pressen kann und doch so etwas wie eine Elektro-Pop-Chanson-Nummer entstehen lässt. Was nicht nur am französischen Gesang liegt, sondern auch an der Leichtfüßigkeit, mit der spill tab Genregrenzen sprengt.
Nicht umsonst stellt sich die Frage, „Doesn’t That Scare You“? Allerdings zu einem Zeitpunkt, an dem dieser bunte Genremix zum Bestandteil des Albums geworden ist. Da mag der Lo-Fi-Ansatz des Titels schon fast verwundern, zeugt aber wiederum von der stimmlichen Qualität der Künstlerin.
Diese erinnert bei „Hold Me“ samtweich säuselnd an Sade; bei „Want Me“ setzt sie dem hohen Beattempo eine vokale Präsenz entgegen, die den Titel von alleine trägt.
„Angie“ ist als Album die Essenz aus dem multikulturellen Hintergrund, den Claire Chicha mitbringt. Ihre Texte sind modern kurz und prägnant und lassen manchmal ein wenig den Tiefgang einer Singer/Songwriterin missen, was die musikalische Vielseitigkeit und die genre-übergreifende Produktion aber wieder wett macht.