Exzess. Exzess. Das ist das Schlagwort, das bei Coach Party sofort im Hinterstübchen auftaucht. Das Quartett von der Isle of Wight hat schon mit dem 2023 Debüt „Killjoy“ bewiesen, dass sie Indie-Rock der härteren Gangart mit Texten verbinden können, die unter die Haut gehen.

Beim zweiten Album „Caramel“ versuchen sie es daher nicht nur mit süßer Klebrigkeit, auch hier gibt’s wieder Themen, die in der modernen Psychotherapie des Öfteren angesprochen werden.

Dank Sängerin und Bassistin Jess Eastwood hängt dem Sound der Briten ein nicht ganz lupenreines Riot Grrrl Prädikat an, das von Titeln wie „Girls!“ und „Do Yourself A Favor“ kaum widerlegt wird.

In erster Linie sind Coach Party aber Exzess. „Do It For Love“ hämmert, pluckert und pumpt Bässe und Synthesizer hyperventilierend schnaubend gegen Eastwoods intensiven Sprechgesang, die „do it for love, give it for nothing“ fordernd gegen den Instrumentalwahnsinn singt, der auch „Girls!“ innewohnt:

Riffgitarren zerbersten an einem Wall aus Bass und Drumstakkato und mitten im Sturm ist Jess Eastwood, die mit Lollipop-Schwanengesang ihre Meute um sich scharrt.

„Georgina“ drückt aufs Tempo, serviert knarzende Verstärker auf großen Indie-Rockmelodien. Der Chorus ist mitsingtauglich und konkurriert mit der Eingängigkeit von „Control“. Hilflos im Versuch die Liebe zu kontrollieren, findet sich die Sängerin schnorchelnd an Joe Perrys und Steph Norris Riffs wieder. Mit Verstärkereinsatz wuchten diese unermüdlich die Saitenklänge gegen das von Guy Page wacker gehaltene Schlagzeug. Intensiv und exzessiv fordert das wohl seinen Tribut.

„I Really Like You“ klingt genau, wie es der Titel vermuten lässt. Zunächst anbiedernd im melodischen Popgewand inklusive eines Refrains, der sämtliche AutoTune-Träume wahr werden lässt, lässt lediglich die schnarrende Leadgitarre im Hintergrund vermuten, dass hinter diesem Kuscheltier ein Friedhof zu vermuten ist.

Einen Friedhof ganz anderer Art besuchen Coach Party im „Disco Dream“, einem wahnwitzigen Derwisch von vibrierenden Bässen, Stroboskop-Synthesizern und effektverzerrtem Gesang, der einer selbstbewussten Discoqueen mit Vorliebe für Bee Gees Cover Fläche zum Wüten bietet.

Wer denkt, es hat sich ausgetanzt, liegt falsch. Coach Party haben mit „Fake It“ noch eine Indie-Rock-Hymne in petto, die um poppige Melodien nicht verlegen, ein gar wundersam schrammelndes Spiel der Gitarren bietet.

Mehrstimmiger Gesang im Chorus öffnet die Pforten der Eingängigkeit, die auch „Medicate Yourself“ mit modern aufbereiteten Rockakkorden aus der Rumpelkammer durchschreiten kann. Jess Eastwood erweist sich hier als wandelbar und geniert sich als Popsängerin ebenso wie als angepisste Moralpredigerin.

„Do Yourself A Favour“ stolziert mit Bass, Gitarrenwall und extremen Halleffekt auf der Stimme mit dem ausgestreckten Zeigefinger auf uns zu und ermahnt uns, endlich aufzuwachen.

Warum? Um festzustellen, dass es „Still Hurts“ ? Verstörend lieblich präsentiert sich Eastwood von ihrer sanften Seite, lässt schrammelnde Gitarrensaiten zunächst die Stimmung aufrecht erhalten. Als der Stromstecker dann gefunden ist, findet man sich im altbekannten Klangkosmos wieder, der mit wogenden Rhythmen am felsigen Strand der Isle of Wight zerberstet.

Coach Party sind intensiv, impulsiv und wohl auch ein Fall für die Psychotherapie. Bis die überstanden ist, erfreuen wir uns am schmalen Grat aus impulsivem Exzess und einfühlsamen Popmechanismen.

Diese werden manisch mit dem Gefühl verwoben, dass das Dasein zum Scheitern verurteilt ist und man letztendlich nur betäubt von der eigens dargereichten Medizin noch Sinnhaftigkeit findet.

„Caramel“ ist eben genau das, zähflüssig klebriger Sound und doch so süß, dass es sofort nach mehr verlangt. Nicht mehr ganz so selbstverliebt wie beim Debütalbum, zeigt sich „Caramel“ intensiver und ausgereifter.

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Album

Coach Party – Killjoy

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