Humor ist eine Ausdrucksform, die mächtig ist – Yasmine Hamdan im Interview

Der Titelsong zu Yasmine Hamdans neuem Album „I Remember I Forget“ bringt mit dem witzigen Effekt von Silben-Vervielfältigung Lockerheit in eine ernste Scheibe hinein. Humor ist der Poetin und Sängerin enorm wichtig – das erläutert sie nun genauestens im Interview. Obwohl ihr zuerst die Musik eine Priorität ist und dann politischer Aktivismus, etabliert sich die in Frankreich lebende Libanesin ganz eindeutig als politische Songwriterin. Dafür hat sie sich von Anfang an die elektronische Musik heraus gesucht. Im Interview spricht sie über ihre Detail-Verliebtheit, Kriege und ihre ereignisreiche Kindheit.

MusikBlog: Yasmine, was hat dich zur Musik gebracht, wenn du an deine Schulzeit und an deine Anfänge zurück denkst?

Yasmine Hamdan: Anfangs habe ich Psychologie in Beirut studiert. Ich bin überhaupt nicht auf eine traditionelle oder konventionelle Weise an Musik heran geführt worden. Ich fühlte mich, wie viele damals in meinem Alter, recht unwohl in einer Stadt, die zahlreiche Kriegswunden hatte. Ein langer Bürgerkrieg war gerade vorbei gegangen. Teenie zu sein ist sowieso schon ein schwieriges Alter.

MusikBlog: Verständlich, da möchte man ja eher die Welt aus den Angeln heben. War das möglich, sich zu entfalten?

Yasmine Hamdan: Natürlich hat auch eine hoffnungsvolle Ausgangslage geherrscht, in der man gestalten konnte, weil alles wiederaufzubauen war und es dadurch viele Möglichkeiten gab. Andererseits möchte man als junger Mensch die Generation hinterfragen oder zur Rede stellen, die den Krieg begangen hat. Dass man das nicht so tun konnte und sich das bedrückend anfühlte, lag als Stimmung in der Luft. Und zugleich spürte man einen Aufbruch. Es war ein Mix aus Hoffnung und Zweifel.

MusikBlog: Wie hast du denn die Zeit des Bürgerkrieges verbracht? Du warst 14 oder 15, als er vorbei war.

Yasmine Hamdan: Wir haben vorher in Kuwait gelebt. Ich war dort, als Saddam Hussein Kuwait überfiel und habe unsere Flucht von dort aus, weg aus Kuwait-City und über die Grenze erlebt. Obwohl ich sehr jung war, war mir sehr klar, dass ich einem historischen Moment beiwohnte, der gleichwohl schmerzhaft war. Ich war sehr belesen, leidenschaftlich in Bücher vertieft, und zwar vor allem in französische Literatur, weil meine Eltern mich auf ein französisches Gymnasium geschickt hatten. Ich habe durch all das früh verstanden, dass alles politisch ist. Die politische Bedrohungslage hat später zu einem tieferen Sinn geführt, den ich in die Musik lege. Da lag also immer eine Schicht darunter, die tiefer geht, weil mein Verständnis für die Welt diese Verbindungen nährte.

MusikBlog: Das hört sich an, als sei Musik für dich zu einem Ventil geworden, um deine Gedanken zu ordnen. Wie ging das vor sich?

Yasmine Hamdan: Die Brücke zwischen Vorstellungen und Wirklichkeit wollte ich mir aufrecht erhalten. Dieser Wunsch hat mich auch in der Musik bei der Stange gehalten. Sie verbindet auch die heutige Realität mit der Vergangenheit. Und sie kann Humor beinhalten, als Werkzeug, um Dinge anders auszudrücken, überhaupt in der Lage zu sein, sie zu sagen, Grenzen zu überschreiten, Tabus zu brechen. Wenn du Simplizität und Humor miteinander vermischst, wird es komplex, und das hat mich angesprochen, also auch die Worte in der Musik. Als wir in den Libanon zurück gekehrt waren, hatte ich dort sozusagen keine Wurzeln. Ich habe mir das herausgesucht, das ich mochte. Auch da kam bald die Musik mit ins Spiel.

MusikBlog: Inwiefern?

Yasmine Hamdan: Nun, ich wollte die Kultur meiner Großeltern entdecken. Allgemein habe ich als Kind ja schon viel erlebt, meine Kindheit war zerklüftet von Tragödien und Kriegen – und ich wollte den Faden bis zum Ende aufrollen und herausfinden, was es entlang der Geschichte Kulturelles zu entdecken gab. Und der andere Punkt ist, dass ich wenig Fröhliches um mich herum hatte. Musik war auch etwas Angenehmes. Sie bedeutete, eine andere Welt zu betreten.

MusikBlog: Sie war also gleichzeitig eine Informationsquelle, Nostalgie und eine Ausflucht?

Yasmine Hamdan: Naja, ich habe mich einsam gefühlt. Der Antagonismus aus etwas Frischem und dem Zerstörten war allgegenwärtig. Alte Musik inspirierte mich, verknüpfte mich mit der Geschichte, informierte mich und tröstete mich. Und wenn ich so zurück denke, dann waren die Musik-Künstler*innen, die mich beeindruckt und beeinflusst haben, solche, die Dinge humorvoll in Frage stellten.

MusikBlog: Ich habe gelesen, dass dir bei deinen Umzügen und Ortswechseln innerhalb der arabischen Welt und zwischen ihr und Europa auffiel, dass der Humor im arabischen Kulturraum durchgehend immer etwas Augenzwinkerndes hat. Hast du Humor dadurch als Mittel erkannt, das die eigene Resilienz steigert, also die Widerstandskraft gegen unangenehme Verläufe des Schicksals?

Yasmine Hamdan: Ich weiß nicht, ob ich da bewusst die Kulturen verglichen habe. Humor war für mich immer ein Weg, um spielerisch mit ernsten Dingen umzugehen. Wo es viel Verzweiflung gibt, herrscht normalerweise auch viel Humor. Da haben wir wieder diesen Widerspruch, diese zwei Seiten. Humor öffnet dein Herz, energetisch, ist eine starke Macht.

MusikBlog: Was würde ohne ihn passieren?

Yasmine Hamdan: Sobald du Gesellschaften siehst, die ihren Humor verlieren, fängt eine Form von Faschismus an. Das ist das Problem, wenn eine Gesellschaft den Sinn für Ironie oder Sarkasmus einbüßt oder nicht mehr in der Lage ist, sich über etwas lustig oder einen Spaß aus etwas zu machen. Ich finde, Humor ist ein sehr wichtiges Tool, das wir als Künstler*innen haben.

MusikBlog: Wie setzt man das ein?

Yasmine Hamdan: Humor ist eine Ausdrucksform, die indirekt, instinktiv, mächtig ist. Humor ist dazu da, Autoritäten mit Widerstand zu begegnen. Humor kann informieren, wenn du etwas durch die Blume sagst. Natürlich nimmst du dir in der Musik nicht vor, ’so, ich mache jetzt Humor, ha-ha‘, aber wenn du etwas hast, das du ausdrücken möchtest, hilft er dir dabei. Und das bedeutet ja auch Freiheit. Denn die Person, die den Humor empfängt, ist ja frei darin, wie sie ihn auffasst.

MusikBlog: Dein Album hast du mit Marc Collin von Nouvelle Vague zusammen aufgenommen. Das würde man beim Hören nie erraten. Das Resultat hat denkbar wenig zu tun mit dem, was Nouvelle Vague machen, oder?

Yasmine Hamdan: Ich produziere meine Alben selbst. Und ich arbeite mit anderen zusammen. In erster Linie setze ich das um, wonach ich mich sehne. Ich verwirkliche meine Reise. Marc war sehr wichtig, dennoch handelt es sich um meine Vision. Sie vermischt sich mit dem, was er hinzu geben kann, denn er ist sehr inspiriert. Er hat einen sehr guten Geschmack. Aber wenn man jetzt ‚koproduzieren‘ sagt, dann passt das nicht so.

MusikBlog: Was habt ihr denn dann zusammen gemacht?

Yasmine Hamdan: Ich würde sagen, ich habe 90 Prozent von dem, was man hört, in meinem Studio gemacht, alleine oder mit anderen. Aber ich bin sehr besessen, wenn ich arbeite und kann mich in ein Detail monatelang vertiefen, ohne einen Schritt weiter zu gehen. Das kann zum Hindernis werden. Marc hingegen kann genau das: sehr flink zum nächsten Schritt übergehen. Weil er pragmatisch und cool ist. Er hat eine lange Erfahrung und wir kennen uns seit geraumer Zeit.

MusikBlog: Was zeichnet eure Zusammenarbeit aus?

Yasmine Hamdan: Er lässt mir meinen Freiraum, passt sich auch an, und die Interaktion zwischen uns hat sich sehr kreativ entwickelt. Marc hat mich ermutigt. Und ich habe das gebraucht, weil ich so viele Selbstzweifel hatte.

MusikBlog: Und dann gab es außer euch beiden weitere Musiker*innen?

Yasmine Hamdan: Ja. Ich wollte mit der Platte nicht in die Charts gehen, keinen kommerziellen Erwartungen entsprechen, wollte keine Regeln. Und wenn du diese Einstellung hast, dann folgen dir und deiner Vision viele Musizierende. Dadurch kamen etliche zusammen, die nun auf dem Album Credits haben.

MusikBlog: Was war deren Rolle?

Yasmine Hamdan: Sie haben mir sehr geholfen, um Dinge zu artikulieren. Denn manchmal hast du eine Art Samen, ein kleines Element, und dann hast du all die vielen Leute, mit denen du darüber sprichst, die dann diese Samen wachsen lassen und kultivieren.

MusikBlog: Wie viel Regionales, Kulturelles aus dem Libanon steckt denn inmitten der Elektronik? Wenn man „Vows“ hört, wirkt es stellenweise, als erklinge ein Dudelsack.

Yasmine Hamdan: (lacht) Ach, das ist ein Sample. Das ist interessant, dass du das heraus greifst. „Vows“ ist ein Song, an dem ich auf Sizilien gefeilt habe. Und ich hatte ein Sample irakischer Musik aus den Achtziger Jahren, das ich wirklich gerne verwenden wollte. Das Sample wurde zum Skelett des Liedes, damit fing alles an. Ich kann mich nicht erinnern, ob wir dieses Sample dann auch im finalen Mastering behalten haben.

MusikBlog: Du kannst dich nicht erinnern? Wie kommt das?

Yasmine Hamdan: Der Song hat so viele Formen angenommen. Es ist einige Zeit vergangen, bis mir klar wurde, in welche Richtung der Track geht. Mir war es wichtig, so viel Zeit zu haben, wie ich mir nehmen wollte, anders als bei der letzten Platte „Al Jamílat„. Damals hatten mir die beiden britischen Produzenten-Kollegen ein Limit von einem Monat für alles gesetzt. Dieses Mal jedoch wollte ich alles in Ruhe machen, und so gab es bei den Songs einiges Vor und Zurück, bis ich zufrieden war.

MusikBlog: Vielen Dank für das Interview.

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