Joe Gibb modernisiert das Klangbild von The Hidden Cameras radikal. Vom einstigen Indie-Folk ist auf „Bronto“ nichts mehr übrig.
Vor knapp zehn Jahren war mit „Home On Native Land“ das bis dato letzte Album des kanadischen Kollektivs erschienen, das wie keines zuvor für einen queeren Folk-Kirchen-Pop stand und in dieser exponierten Position auch keine Mühe hatte, große Co-Stars wie Rufus Wainwright oder Feist zu gewinnen.
Jetzt entfernt sich der Bandleader Joel Gibb überraschend stark vom bisherigen Erfolgskonzept und öffnet seine künstlerische Vision scheinbar ergebnisoffen für Synthpop und den cluborientierten Stil im Retro-80er-Look. Was zunächst als Schreckgespenst taugt, wird zu einer seidenweichen Offenbahrung.
Hier entstehen Ohrwürmer im Stil von Visage, den Pet Shop Boys oder Depeche Mode. Und das ergibt mit jedem Durchlauf eine neue Sinnhaftigkeit, gerade weil sich Gibb auch in dieser Club-Ästhetik eine vertraute Tiefe und Emotionalität erhält. Man höre einfach den schillernd-melancholischen Doppelpack aus „Undertow“ und dem instrumentalen „Full Cycle“.
Oder das schamanische Tanzflächengeschacher von „Quantity“, das für das Rhythmusgefühl kommt und die die transzendente Erfahrung wieder geht. Vermutlich sind es genau diese Momente, die The Hidden Cameras dazu veranlassen, von einem Meta-Dance-Pop-Album zu sprechen, das Melancholie, Humor und Disco mit eleganter Ästhetik verdrahtet.
„Brontosaurus Law“ etwa thematisiert das unausweichliche Vergehen der Zeit, verpackt in ironisch-nachdenkliche Zeilen, inklusive eines brüllenden Dinosaurier-Seufzers im Intro. Das erinnert unweigerlich an den Midliefcrises T-Rex aus einem Audi-Werbespot.
Die Aufnahmen zu diesem Stilbruch fanden in den letzten Jahren in München unter der Leitung von Nicolas Sierig statt. Gemischt wurde das Album teils ebenfalls in München oder in Berlin – Gibbs Wahlheimat, wo er abermals auf renommierter Remix-Partner und orchestrale Gäste wie Owen Pallett zählte, der wie in früheren Werken, emotionale und dramatische Streicherarrangements beisteuerte, die nun als verbindendes Element in die Vergangenheit dienen.
Damit markiert „Bronto“ einen der gewagtesten künstlerischen Schritte in der Karriere von The Hidden Cameras, weg von der Folk-Kirchen-Pop-Ästhetik hin zu tanzbarer Elektro-Eleganz in Perfektion. Hier steht für sich alleine eines der ambitioniertesten Pop-Alben des Jahres.