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Alice Phoebe Lou – Glow

Schon erstaunlich, wie jeder – auch nur im entferntesten angedeutete – Kunstansatz in Pandemiezeiten auf die isolierte Selbsterfahrung von Künstlern herunter gebrochen wird. Dass dies im Fall einer Alice Phoebe Lou jedoch keine willkommene, aus dem Boden gestampfte Kategorisierung, sondern ein wahrlich sinnstiftendes Element ist, wird auf „Glow“ deutlich spürbar.

So stellte die globetrottende Wahlberlinerin, die ihre Inspirationen sonst zwischen Straßen-Gigs und subkulturellem Underground sammelt, schon vor dem Release ihrer dritten LP fingerzeigend fest, „noch nie so viel Zeit alleine an einem Ort […] verbracht“ zu haben.

Heraus gekommen sind ein Dutzend schwermütige, schlurfende und teils schmerzende Crooner-Stücke, in denen die einstige Academy-Award-Nominierte „das Verlieben, den Kummer und den Herzschmerz“ in den Vordergrund ihres künstlerischen Reifeprozesses rückt.

Die kompromisslose Introspektion, die Lou hierbei betreibt, erweitert in der Folge nicht nur ihre musikalische Transformationsfähigkeit, sondern lässt auch keinen Zweifel daran, dass insbesondere das Songwriting auf ein neues Level gehoben werden kann, wenn es denn dazu verdammt ist, im stillen Kämmerlein aufzukeimen.

Und tatsächlich pendelt schon der verträumte Ambient-Folk-Opener „Only When I“ zwischen psychedelisch-sedierter Wonne und ungefilterter Gefühlsbekennung, die man in dieser Rigorosität sonst nur von gleichgesinnten Powerhouses wie Adrianne Lenker kennt.

Auch wenn bereits im darauf folgenden Titeltrack mehr Lo-Fi-Attitüde aufwartet, die Strings nun nicht mehr analog gerissen werden und die gesamte Instrumentierung grundsätzlich etwas üppiger daher kommt, diktiert nach wie vor dieselbe geruhsame Marschroute den Sound, so wie man dies schon auf den Vorgängeralben „Orbit“ und „Paper Castles“ kannte.

Ansonsten – und dies ist der Singer-Songwriterin gar nicht hoch genug anzurechnen – gestattet „Glow“ trotz seiner fließenden, geradezu auratischen Grundstimmung zwischen weitflächigen, reverb-verzerrten Moll-Akkorden und einladendster Intimität ebenfalls wieder kleinere, aufregende Abweichungen.

„Dusk“ etwa, dieses vernebelte Piano-Stück, ist einerseits jazzig genug, als dass es auch im Berlin der 20er-Jahre als varieté-tauglich durchgegangen wäre, bietet sich andererseits aber auch dazu an, um – dem Titel gerecht werdend – das letzte Gösser vorm Sonnenuntergang auf dem Tempelhofer Feld aufzuploppen.

Und auch das ist das Besondere an Alice Phoebe Lous Musik: Ohne sich selbst darum zu befleißigen, schlägt „Glow“ spielerisch die Brücke zwischen universaler Ansprache und nischen-beflissenem Hauptstadt-Swagger. Was sie auch tut, bei ihr hat man immer noch mehr das Gefühl, an einer bedeutsamen Konversation teilzuhaben, als wirklich nur ein Musikalbum zu hören. 

Dass dies teils auch auf slappigere Tracks wie „Heavy Light As Air“ zutrifft, die zumindest einmal in Erwägung ziehen, sich die Tanzschuhe überzustülpen, legt lediglich Zeugnis über die gefühlige Bandbreite zwischen ekstatischer Zügellosigkeit und in sich gekehrter Melancholie ab. 

Und so verwundert es etwa bei „Dirty Mouth“ kaum noch, dass den zitierten Tanzschuhen spätestens auf der Türschwelle wieder einfällt, dass sie sich mitten in einer Pandemie befinden. Das heißt: Umkehren, auf Wollsocken umsteigen und durch die eigene Wohnung tollen.

Ohne jede Frage ist „Glow“ ein weiteres, gelungenes Kunststück im Œuvre der selbsterforschenden Konzeptmusikerin. Ein Album, das manchmal so reizentzogen, introspektiv und schwerelos daherkommt, als wäre es in einem U-Boot produziert worden.

Wie sagt Lou so treffend in „Lonely Crowd“? „Tell the fishes I say hello.“

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