„Tatsächlich wollte ich mit diesem Album einen mood kreieren, der es den Hörer*innen erlaubt, einfach mal abzuschalten.“, flüstert Alice Phoebe Lou fast schon schüchtern in den Hörer, als wir vor der Veröffentlichung ihres zweiten Albums „Paper Castles“ miteinander telefonieren.
Dass die gebürtige Kapstädterin ohnehin ein scheinbar vorzeigbares Talent für Stimmungserzeugungen hat, attestierte ihr sogar bereits die Academy, die die Singer-Songwriterin 2018 für ihren Song „She“ auf die Shortlist der Oscars platzierte.
Man könnte nun behaupten, dass solche Arbeitsnachweise das Selbstbewusstsein einer Künstlerin ohne Weiteres in den Himmel jagt, während ein gigantisches Major-Label bereits mit den Hufen scharrt und Lou irgendwo zwischen Headliner-Anfragen und medienwirksamen Werbeterminen darüber fabuliert, ob sie tatsächlich noch einmal in ihrem Leben Economy Class fliegen wird.
Man kann die Dinge aber auch sehen, wie sie sind. Vor diesem Hintergrund ist die verwunschene Straßenmusikerin einer der nahbarsten Acts – aus Überzeugung.
„Paper Castles“ ist kein Album, das an der Oberfläche kratzt. Weder inhaltlich, noch musikalisch. Die Wahlberlinerin schickt sich dazu an, ihre künstlerische Unabhängigkeit, von der sie behauptet, sie habe auf ihrem Premierenwerk „Orbit“ so noch gar nicht existiert, in aktuelle Grundsatznarrative der gesellschaftlichen Lebenswelt zu überführen.
In Titeln wie „Skin Crawl“ ist das schon verdammt beeindruckend. Nicht zuletzt, weil Alice Phoebe Lou hier den gänzlich weltentrückten Ekel vor der schwitzigen Hand des Patriarchats mit schlaftrunkenem Bedroom-Pop kontrastiert. Man hat den Eindruck, hier würde auch eine Art von Ohnmacht adressiert:
„Wer […] für seine persönlichen Überzeugen einstehen will, der / die sollte Musik dazu auf jeden Fall als Sprachrohr nutzen können. […] Das Gefühl zu bekommen, man müsse Musik da raushalten, ist in meinen Augen absoluter bullshit.“ Themen wie sexuelle Belästigung werden durch Lou auch deshalb mit schlagkräftiger Konsequenz besungen, weil sie bei einem Vorfall in New York einst selbst unter Drogen gesetzt wurde.
Ansonsten sind es vor allem sehr assoziationsreiche Instrumentierungen, die „Paper Castles“ so entdeckungswürdig machen. Ob nun der tiefseegetränkte Cosmic-Folk in „Nostalgia“, die angejazzte Indie-Electronica aus „Galaxies“ oder eben die durchweg hallenden Vocals lassen keinen Zweifel daran, dass die selbstbestimmte Autodidaktin eben auch eine Menge Inspiration aus den Gigs beziehen konnte, die sie im denkbar kosmischsten setting (Lou gab in Berlin eine Planetarium-Konzertreihe) aufbereitete.
Zu meinen, „Paper Castles“ liefere zehn Tracks, die klingen, als hätte man das ganze Universum in einen Schuhkarton gesteckt, ist deshalb keine Übertreibung. Dass es zusätzlich am Weltfrauentag erscheint, darf vor dem Hintergrund ihrer anteiligen Sozialagenda auch als sozial-artistisches Statement gelesen werden.
So oder so wird es Alice Phoebe Lou nach der Veröffentlichung dieses Albums noch einmal schwerer haben, sich den hysterischen Anfragen, sie zur Mainstream-Künstlerin umzuformieren, zu widersetzen.
Was jedoch sicher ist: Auch das wird sie süffisant weglächeln. Der Titel mag es vielleicht nicht andeuten, aber die Integrität dieser Frau ist nirgends sicherer als in ihren „Paper Castles“.