MusikBlog war für euch wieder auf dem Reeperbahn Festival, mittlerweile bereits zum dritten Mal. Das Reeperbahn Festival hat dieses Jahr einen weiteren Tag dran gehangen und ging über 4 Tage vom 25. bis 28.9. Der Campus-Bereich wurde ausgeweitet und es gab dieses Jahr sogar einen Startup Wettbewerb (bei dem merkwürdigerweise Jungunternehmen wie Protonet, Familonet und Flying am Start waren, die mit Musik oder Kunst rein gar nichts zu tun hatten).
Der Freitagabend startete mit MiMi und ihrer Band The Mad Noise Factory. Die Tochter von Marius Müller-Westernhagen war bereits vor zwei Jahren auf dem Reeperbahn Festival zu sehen (MusikBlog berichtete). Hatte sie damals noch den Newcomer Bonus und klang irgendwie erfrischend, scheint sich nun zunehmend der Einfluss ihres Vaters geltend zu machen. MiMi ist damit im Rock-Pop Mainstream angekommen, den die Welt nicht braucht.
Hilfreich wäre auch gewesen, wenn man dem Bühnenordner am Fotografengang gesagt hätte, dass hier MiMi und nicht ihr Vater spielt. Fotografen wurden nämlich nach Konzertbeginn nicht mehr vor die Bühne gelassen, weil man sich vorher hätte anmelden und rechtzeitig einreihen müssen, „wie das so üblich ist“.
Also ging’s weiter ins wohl bald einem Neubau Platz-machen-müssenden Molotow zu MT Warning. MT Warning aus Australien ist ein Projekt des Musikers Mikey Bee und dem Filmemacher Taylor Steele. Auch wenn Mickeys Band The Vagabond Three wohl nur seine Tourband ist, so kommen die Songs doch klanglich sehr gut rüber und Mickey Bee macht eine sportliche Show inkl. Springen ins Publikum und wildem Pogotanzen.
Nach MT Warning noch der Versuch, die österreichischen Punkrocker Kreisky in der oberen Etage des Molotow zu sehen, aber dort war – so wie eigentlich immer – wegen Überfüllung geschlossen. Das war aber gar keine so schlechte Fügung, denn es führte uns direkt gegenüber auf den Spielbudenplatz, angelockt von einem düster und tief klingenden Gitarrensound der dänischen Get Your Gun.
Diese überraschten bei Ihrer ersten Show in Deutschland überhaupt mit einem an Birthday Party erinnernden Slow–Core sowie einer Rowland S. Howard (R.I.P.) nicht unähnlichen Stimme von Sänger Andreas Kildedal Westmark, der sich während des Auftritts im wahrsten Sinne des Wortes die Finger blutig spielte. Überzeugender Sound fernab der Pop-Zivilisation, der unmittelbar Bilder aus Nicolas Winding Refn’s martialischem „Valhalla Rising“ ins Gedächtnis ruft. Der Sound war bei Get Your Gun jedoch von Beginn an so da und hat sich einfach natürlich ergeben, wie uns Andreas später im Interview sagte.
Kurze Zeit später verzaubert die Schwedin Anna von Hausswolff das Publikum in den Fliegenden Bauten mit ihrem Kirchenorgel-Sound. Gar nicht mal so sakral, wie man vermuten würde, erinnert Anna von Hausswolff mit ihrem schwelgerischen Kammer-Pop und der dramatischen Art zu singen an die Frühwerke von Kate Bush.
Direkt im Anschluss gibt dann das Berliner Pop-Duo Me And My Drummer eine ordentliche Performance im Übel&Gefährlich, die beweist, dass sie nach Ihrem Debutalbum aus dem letzten Jahr „The Hawk, The Beak, The Prey“ zurecht gehypt wurden. Sängerin Charlotte Brandis ist außerdem live eine gute Unterhalterin.
Zum Abschluss unseres Freitags dann noch der in Berlin lebende Österreicher Chakuza im Moondoo. Eine gute Show mit einem gut aufgelegten und teilweise witzigen Chakuza, der seine Fans zu begeistern weiß. Außer seinem Ohrwurm-Hit „Dieser eine Song“ bietet sein Hip-Pop-Reportaire allerdings nicht so viel Überragendes.
Am nächsten Tag geht es dann nach etwas Chillen am „Strand“ Hamburg del Mar (was bei strahlendem Sonnenschein und guter Hintergrundmusik tatsächlich etwas Ibiza-Feeling aufkommen ließ) und unserem Interviewtermin mit Anna Calvi (in Kürze hier zu lesen) weiter mit Dagobert im Uebel & Gefährlich.
Dagobert, der live irgendwo zwischen Roy Black und Rocko Schamoni anzusiedeln ist, ließ trotz seiner (der Heiserkeit geschuldeten) Playback Show (Konzertwitz von Dagobert, der dazu sagte, dass die Flippers – seine größten Fans, äh Idole – auch immer Playback spielen) vermuten, dass in der Zukunft von dem Schweizer mit seinen Schlagern wie „Morgens um halb vier“, die schwarzhumorig und rührend von Liebe und widerlichen Freundeskreise handeln, noch zu hören sein wird.
Múm, beinahe schon Veteranen des zeitlosen Elfen-Pop aus Island, stellten im Uebel & Gefährlich Teile ihres am 1. Oktober erscheinenden Albums „Smilewound“ vor und zogen dieses vom ersten Ton an in ihren Bann. Sphärische Soundschleifen, erzeugt auf außergewöhnlichen Instrumenten plus glockenheller Gesang der Sängerin (die wir vorher im Fahrstuhl trafen, allerdings zu schüchtern für ein „Elevator-Interview“ waren). Weshalb die Band jedoch von der lokalen Spiegel Online Moderatorin als Elektro Act angekündigt wurde, entzieht sich unserer Kenntnis.
Währenddessen absolvierten Built To Spill einen ihrer raren Live-Auftritte in Europa in der Großen Freiheit 36 mit ihrem gewohnt volumigen Gitarrensound. Unsere Freunde von Slut (siehe auch unser Interview von neulich) spielten dann nach aufwändigem, halbstündigem Soundcheck einen soliden Gig und haben hoffentlich ein paar Fans dazu gewonnen.
Anna Calvi lieferte anschließend in den Fliegenden Bauten die erwartet starke Performance, in der sie auch einige neue Songs des am 4. Oktober erscheinenden Albums „One Breath“ vorstellte. Die begnadete Gitarristin beeindruckte mit ihrer Präsenz auf der Bühne. Beinahe unerklärlich bleibt, woher die zierliche Engländerin das Stimmvolumen nimmt, mit dem sie ihre Songs interpretiert. Diese sind auf „One Breath“ sehr persönlich im Vergleich zum Debut wie sie uns im Interview erzählte. Anna Calvi’s Live-Auftritt war ganz klar das Highlight des diesjährigen Reeperbahn Festivals.
Den Abschluss bildete jedoch wie üblich ein Romatik-Pop Female Act in den Docks. Die 17-jährige Birdy hatte in diesem Jahr die Ehre und fügte sich nahtlos in die Tradition ein. Die überwiegend von ihrem letzte Woche erschienenen, neuem Album „Fire Within“ stammenden Songs sind alle selbst geschrieben und werden perfekt live inszeniert, auch visuell.
Damit wird sich Birdy nach ihrem Coveralbum aus 2011, auf dem sie u.a. Bon Iver, Fleet Foxes, Phoenix und Mew neu interpretierte, nun auch als selbständige Musikerin etablieren. Das Mädchen hat definitiv noch Großes vor und auch Romantik-Pop-Allergiker müssen ihr für eine solche Leistung in dem zarten Alter einfach Respekt zollen.
Auch wir taten dies und ebenso vor den Organisatoren des diesjährigen Reeperbahn Festivals, die auch diesmal wieder ein interessantes Line-Up hingekriegt haben. Auch wenn die Familienatmosphäre des Festivals so langsam flöten geht, gehört das Reeperbahn Festival immer noch zu den wichtigsten Musikfestivals des Landes.