Erst voriges Jahr haben Messer aus Münster mit ihrem düsteren Postpunk Aufmerksamkeit erregt. War das Debütalbum „Im Schwindel“ der Studentenband damals allerdings noch nah am Rock orientiert, so gerät der Nachfolger „Die Unsichtbaren“ verspielter, effektlastiger, düsterer. Allerdings ohne digitale Hilfsmittel, vor allem aber ohne Kalkül, erklärt Sänger und Texter Hendrik Ottremba im Gespräch mit MusikBlog.
MusikBlog: Wer „Im Schwindel“, mehr aber noch „Die Unsichtbaren“ hört, kriegt den Eindruck, da musizieren vier grüblerische Misanthropen gegen das Schlechte der Welt da draußen an.
Hendrik: Also grüblerisch mag ja noch angehen, aber misanthropisch würde ich geradezu abschmettern. Wir sind im Gegenteil alle vier Menschenfreunde, die sich bemühen, immer herzlich, offen und freundlich zu sein. Und wir sehen auch nicht nur das Schlechte in der Welt, erkennen aber im Düsteren die größere Herausforderung, unserem Grübeln darüber Ausdruck zu verleihen. Da gibt es schlicht mehr Material. Über die schönen Dinge des Lebens zu singen, erschöpft sich schnell und wird entsprechend langweilig.
MusikBlog: Bei Messer herrscht also keine depressive Stimmung im Übungsraum.
Hendrik: Nein, da wird sogar viel gelacht, auch wenn unser Sound manchmal etwas anderes vermuten ließe.
MusikBlog: Hält sich der bewusst melodramatisch im Mollbereich?
Hendrik: Auf der neuen Platte kippt unsere Stimmung manchmal richtiggehend ins Licht. Aber wir denken generell gar nicht so konzeptionell, dass wir einzelne Stücke vorab besprechen. Ich kann das mal an einem Beispiel veranschaulichen: Für unser Verständnis ist es enorm lange her, dass wir zuletzt eine Platte aufgenommen haben.
MusikBlog: Lange heißt?
Hendrik: Monate. Seitdem standen Konzerte an, der Pressekram, da war höchstens Zeit, um das Live-Set zu proben. Vorigen Freitag, eine Woche nachdem das Album erschienen ist, hatten wir endlich mal wieder Zeit, in den Proberaum zu gehen und haben angefangen, zu spielen. Und weil uns so eine Platte enormes Selbstbewusstsein gibt, auch ein Wissen darum, was wir können und was nicht, sind wir auch völlig anders an dieses neue Lied herangegangen und haben mehr ausprobiert: Pogo und Pascal haben mit zwei Amps gespielt und Effektgeräte benutzt, deren Namen ich nicht mal kenne. Wir haben dann ein Acht-Minuten-Stück gespielt, bei dem von Anfang an alles gestimmt hat. Und obwohl die Stimmung extrem positiv war, geriet der Sound total düster.
MusikBlog: Eure eigene Stimmungslage hat mit der eurer Musik also gar nichts zu tun?
Hendrik: Nicht zwingend. Auch wenn es in meinem Fall so war, dass mir mehrere ernste Sachen im Kopf herumgegangen sind. Aber eigentlich waren wir absolut euphorisch, wollten abends noch zusammen auflegen, der Regisseur unserer beiden Videos „Mutmaßungen“ und „Neonlicht“ war da, es ging uns blendend. Warum es bei Messer dennoch musikalisch in eine völlig andere Richtung geht, kann ich gar nicht sagen. Wir folgen da einem gemeinsamen Gefühl. Bis auf das Bewusstsein, jetzt mal ein neues Effektgerät einarbeiten zu wollen, funktionieren wir eher situativ und folgen Impulsen.
MusikBlog: Mit dem Erfolg eines fertigen Stückes wie vorigen Freitag?
Hendrik: Kann man so sagen. Dafür war jedenfalls schnell ein Text da, wir haben es auf siebeneinhalb Minuten eingespielt und vielleicht spielen wir’s schon Freitagabend in Köln und Samstag in Karlsruhe auf einem Festival. Konzeptionell geht also grundsätzlich anders.
MusikBlog: Folgt es also auch keinem Konzept, dass ihr auf der zweiten Platte digitaler als auf der ersten klingt, zuweilen fast elektronisch?
Hendrik: Das folgt garantiert keinem Konzept, weil wir beide Alben allein mit Gitarre, Bass, Schlagzeug, Gesang eingespielt haben.
MusikBlog: Trotzdem wirkt „Im Schwindel“ rockiger und roher, „Die Unsichtbaren“ dagegen verspielter, effektbeladener.
Hendrik: Die erste ist definitiv härter, näher am Rocksound, aber auch die zweite hat ihre harten Rockmomente, das ist mir gestern noch mal aufgefallen, als ich sie zuhause auf Vinyl durchgehört habe. Wer weiß, ob wir uns irgendwann mal dem Synthesizer zuwenden; da basteln wir gerade ein bisschen rum. Aber bislang wird alles bestenfalls über Effektgeräte an Gitarre und Bass erzeugt, und diesmal etwas Percussion zweier Freunde aus Hamburg.
MusikBlog: Warum klingen die beiden Platten dann so unterschiedlich?
Hendrik: Weil bei der ersten alles so schnell ging. Wir waren als Band erst ein paar Monate und haben alles eingespielt, was wir hatten. Damals geschah noch viel aus dem Bauch heraus, wir haben noch mehr experimentiert. Jetzt, wo wir merken, wie viel Zeit und Energie unseres Lebens wir auf unsere Musik verwenden, arbeiten wir intensiver an unserem Sound und werden – ich will nicht sagen besser, aber facettenreicher.
MusikBlog: Auf der Suche nach Vergleichen stößt man dann immer wieder auf Siouxie & The Banshees, DAF, Joy Division, solche Kaliber.
Hendrik: (Lacht) Ja, krass.
MusikBlog: Sind das nur Orientierungshilfen fürs Publikum oder auch Referenzobjekte für euch selbst?
Hendrik: Unbedingt ersteres. Manche Effekte, bestimmte Chorusse zum Beispiel, rufen natürlich bestimmte Assoziationen an die Achtziger hervor, aber das ist nicht gewollt. Und es gibt in der ganzen kurzen Messer-Geschichte nur ein einziges Stück namens „Platzpatronen“, bei dem wir ein anderes konkret verarbeitet haben. Damals ging es um den Soundtrack von „Millionenspiel“.
MusikBlog: Wolfgang Menges Fernsehspiel aus den Siebzigerjahren mit Dieter Hallervorden.
Hendrik: Genau. Die Musik dazu stammt von Can, dieser Krautrockband, und davon hat uns ein Stück mal wirklich inspiriert, was draus zu machen. Alles andere in unserem Set stammt genuin von uns.
MusikBlog: Die Frage nach den Orientierungshilfen bezog sich allerdings nicht auf Coverversionen oder Samples, sondern Ähnlichkeiten und Assoziationen.
Hendrik: Und da würde ich mir wünschen, wenn man uns mehr mit gegenwärtigen statt früheren Bands vergleichen würde. Wir haben alle unsere Archive im Kopf und im Plattenregal und hören auch noch die alten Sachen. Aber ich finde ja, in der aktuellen Platte steckt auch so was wie Portishead.
MusikBlog: Oder Ja, Panik und 206.
Hendrik: Die finde ich beide super, mit Timm Völker von 206 bastle ich gerade an ein paar Sachen. Und mit Ja, Panik mache ich morgen ein Interview. Stimmt schon, da gibt es Ähnlichkeiten in der Atmosphäre.
MusikBlog: Sind solche Vergleiche, egal ob mit alten Größen oder neuen Nischenbands, denn eher Antrieb oder Ballast?
Hendrik: Weder noch. Zur Einordnung bedarf es nun mal Referenzen, das ist in der Musikkritik nicht anders als zu Hause, wenn man mit Freunden Platten hört; da geht es auch darum, wie das und das klingt. Assoziationen stören uns nur dann, wenn wir in ein deutsches Referenzsystem geraten. Deutsch ist zwar unsere Sprache, die wir kennen, in der wir uns am besten äußern können. Aber Deutschland als Nation hat für uns keine Relevanz, das bedeutet uns nichts, höchstens als Gegenstand von Kritik.
MusikBlog: Ist das eine politische Attitüde?
Hendrik: Natürlich.
MusikBlog: Wenn das mal so natürlich wäre…
Hendrik: Das stimmt. Aber für uns ist es natürlich, wir stammen alle aus einer wie auch immer gefassten linken Ecke und haben einen Punk-Background.
MusikBlog: Findet sich das auch explizit in den Texten wieder?
Hendrik: Da bleiben wir bewusst unkonkret. Wenn ich auf der ersten Platte vom schiefen Haus mit Löchern in der Wand singe, habe ich Bilder von Krisensituationen vor Augen, die sich im Verfall eines Hausers zeigen, in dem man groß geworden ist. Das sind aber keine bewussten Prozesse, sondern Alltagsverarbeitungen im Schreiben, manchmal biografisch geprägt, manchmal aus einem Unruhegefühl heraus.
MusikBlog: Ohne Sendungsbewusstsein.
Hendrik: Wir wollen den Menschen nicht die Welt erklären, sind aber schon am Geschehen darin interessiert. Kürzlich habe ich die Ereignisse in Fukushima mal in einem Text verarbeitet; da sehen wir uns durchaus als Stimme, die sich erheben und gehört werden kann. Aber zu konkret zu werden, empfinde ich – ohne das bei anderen diskreditieren zu wollen – als eher langweilig.
MusikBlog: Messer machen also eher Poesie als Agitprop?
Hendrik: Absolut.
MusikBlog: Vielen Dank für das Interview.