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Do It Yourself – Sharon Van Etten im Interview

Sharon Van Etten (Credit Dusdin Condren)Wir sitzen mit Sharon van Etten in einem Berliner Hotel zusammen, während sich draussen ein kleines Gewitter zusammenbraut und das offen stehende Fenster wiederholt gegen den Türrahmen schlagen lässt. Dabei wäre eigentlich ein Trommelwirbel angebracht, um das neue Album “Are We There” anzukündigen, das bewusst ganz ohne Fragestellung im Titel auskommt. Unser Gespräch mit der Wahl-New-Yorkerin tat das natürlich nicht und so konnten wir ein paar Fragen im lockeren Konversationsmodus unterbringen, die uns die Singer-Songwritern so unbeschwert beantwortete wie der Lufthauch, der ab und zu durch den Raum wehte.

MusikBlog: Wann war dir bewusst, dass nach deinem 2012er Werk “Tramp” erneut der Funken entfacht war, um sich an die Arbeit an neuen Songs zu machen?

Sharon: Ich habe bereits mit der Arbeit am Album begonnen, als wir noch mit der letzten Platte auf Tour waren. Aber das gelang mir wegen der dafür fehlenden Zeit nur bruchstückhaft und es entstanden immer nur vereinzelte, kleine Ideen. Letzten Sommer, als dann auch die Tour beendet war, hatte ich ungefähr zwanzig Demos zusammen. Die eigentliche Richtung und Form der Songs wurde aber erst im Studio festgelegt. Ich wusste nur, dass ich die Songs alle recht organisch haben wollte, was das Spiel und den Sound angeht. Mir ging es aber nicht darum, allzu spezifisch vorzugeben, was auf den Songs passieren sollte, da meine Band die Möglichkeit haben sollte sich selbst zu entfalten.

MusikBlog: Das heisst für die Songs, dass das grundlegende Gerüst ungefähr beibehalten wurde und sich beispielsweise eher die Arrangements verändert haben?

Sharon: Ja, genau so war es. Ich bin sowieso immer dazu geneigt, meine Demos so minimalistisch wie möglich zu halten, weswegen darauf oftmals nur Gesang und Gitarren oder Gesang und Orgel zu hören sind. Auf einigen der Songs spiele ich auch Bass oder Schlagzeug, aber da ich beides nicht so gut kann wie ich es gerne hätte, habe ich meine Band gebeten, diese Versuche noch einmal neu aufzunehmen, um sie besser klingen zu lassen. Ganz essentiell für dieses Album war die Tatsache, dass die Stücke vor allem den Sound von mir und meiner Band widerspiegeln sollten. Wir waren fast zwei Jahre permanent zusammen auf Tour, was bedeutet, dass wir uns gut kennen und sehr eingespielt sind. Es ist eine tolle Symbiose, die wir da haben. Einerseits kennt meine Band mein Wesen und meine Vorstellungen gut, andererseits habe ich ihnen viel Freiheiten gegeben sich selbst bei den Aufnahmen mit einzubringen, obwohl ich die Fäden in der Hand hatte.

MusikBlog: Auf deinen bisherigen Alben sind stets mehrere Kollaborationen mit befreundeten Musikerkollegen enthalten. Wie sind die verschiedenen Zusammenarbeiten mit Kollegen wie Mackenzie Scott (Torres) oder Jonathan Meiburg (Shearwater) dieses Mal zustande gekommen?

Sharon: Vor diesem Album habe ich nie wirklich eine richtige Band gehabt, die ich mir ins Studio geholt habe. Das war beim neuen Album “Are We There” eine ganz neue Erfahrung für mich, aber es hat vor allem Spaß gemacht, da ich mich das erste Mal wohl dabei gefühlt habe. Da wir live so wunderbar miteinander harmonieren, wollte ich ihnen das Vertrauen geben, es auch im Studio miteinander zu versuchen. Die Hälfte des Albums haben wir zudem live aufgenommen, um das Bandgefühl aufrechtzuerhalten, was ein wichtiger Bestandteil der Platte ist. Ausserdem habe ich eine Handvoll weiterer Freunde zu mir ins Studio geholt, z.B. Mackenzie Scott von Torres. Sie war zu dem Zeitpunkt gerade nach New York gezogen und ich fand, dass es ganz schön wäre, ihr als “Neuling” in der Stadt die dortige Studio-Atmosphäre zu zeigen. Sie singt auf einigen neuen Songs und wir hatten viel Spaß zusammen. Jonathan kenne ich schon lange, aber wir sehen uns viel zu selten, was sehr schade ist. Darum liebe ich es auch, mit meinen Freunden aufzunehmen. Dann sieht man sich wenigstens mal öfter! Genau betrachtet, ist alles nur eine Entschuldigung, um miteinander abzuhängen. (lacht)

MusikBlog: Wie schwer fällt es dir, deinen Freunden und Mitspielern während der Aufnahmen Anweisungen zu geben? Immerhin hast du die Songs Seite an Seite mit Stewart Lerman das erste Mal co-produziert.

Sharon: Das war genau der Grund, warum wir das gemeinsam gemacht haben, denn er wusste von Anfang an, dass es mir mitunter schwer fallen würde, gegenüber meinen Freunden den Finger zu erheben und Anweisungen in den Raum zu werfen. Er hat geahnt, dass es für mich nicht gerade einfach werden würde, sowohl die Person hinter als auch vor dem Mikrofon zu sein. Wenn man gleichzeitig innerhalb und ausserhalb der Band-Situation sein muss, ist es hilfreich noch eine weitere außenstehende Person bei sich zu haben. Wir haben schon vorab sehr genau geklärt, wie unsere jeweiligen Vorstellungen bezüglich der Songs aussahen. Er war die ganze Zeit über eine wunderbare Stütze für mich, hat mir die sozusagen meine Hand gehalten und mich davor bewahrt, von meinem Weg abzukommen. Ausserdem hat er mir immer wieder den Anstoß dazu gegeben, meine eigene Stimme zu finden, was die Produktion angeht. Musikalisch bin ich dagegen immer noch dabei herauszufinden, wer ich eigentlich bin. Bin ich Folk? Oder doch Rock? Oder beides?

MusikBlog: Was ist für dich frustrierender – von deinen Hörern oder der Presse in eine bestimmte Schublade gesteckt zu werden oder selbst nicht so genau zu wissen, wie deine musikalische Identität eigentlich aussieht?

Sharon: Ich glaube, letzteres ist für mich ernüchternder, denn dadurch werde ich auch immer wieder daran erinnert, wie ich auch im Allgemeinen als Person bin. Ich war vom Charakter her schon immer ein wenig querbeet eingestellt und überall zu finden. Mit der Musik ist es genauso, denn ich mag sowohl Rock, als auch Balladen sowie Folk oder R’n’B – zumindest kann ich mir nicht vorwerfen, nicht bereit zu sein, neue Dinge auszuprobieren. Ausserdem hilft es dem Album dabei, so vielseitig wie nur möglich zu sein.

MusikBlog: Gibt es eine Liedform wie z.B. die Ballade o.ä., an der du dir besonders die Zähne ausbeisst bzw. ein von dir favorisiertes Songwriting-Gebiet?

Sharon: Es ist schon komisch, aber ich glaube wirklich, dass mir Mid-Tempo-Songs besser liegen als das Meiste andere. Alles, was genügend Zeit hat, sich melodisch zu entwickeln, gefällt mir. Mid-Tempo-Balladen sind dafür besonders gut geeignet, denn es braucht seine Zeit bis alles an dem Punkt angekommen ist, wo man es haben will. Bei Studioaufnahmen ist das ähnlich, denn auch dort entwickelt sich ein Song erst ganz langsam nach und nach.

MusikBlog: Um noch einmal auf die Produktion in Eigenregie zurückzukommen, wie hast du dich auf diese Aufgabe vorbereitet? Wie viel davon beruht auf einem technisch-musikalischen Verständnis, wie viel auf Intuition?

Sharon: Ich bin ganz schlecht in technischen Dingen, aber dafür hatte ich ja zum Glück jemanden wie Stewart an meiner Seite, der davon mehr Ahnung hat als ich. Ich war eher für den intuitiven Teil zuständig, was aber auch eine Herausforderung darstellt, weil man sich dafür gut kennen muss und ich bin generell jemand, der eher mit seinem Herzen Entscheidungen trifft. Das fängt schon damit an, wen man sich für die Zusammenarbeit an einem neuen Album aussucht.

MusikBlog: Was war für dich das Schönste daran, zum ersten Mal selbst ein Album mit zu produzieren? Was hast du dir vielleicht einfacher vorgestellt?

Sharon: Das Schönste am Produzieren war wohl das Gefühl, unmittelbar daran beteiligt gewesen zu sein als sich meine Songideen der letzten Jahre plötzlich zu richtigen Songs formten und eine konkrete Gestalt annahmen. Das kann zwar auch in großen Stress ausarten, aber die Arbeit ist es wert, diesen dann unter Umständen auszuhalten. Schließlich kann man oft nur so Fortschritte machen. Von jedem meiner Songs gibt es ungefähr 15-20 Versionen. Du kannst dir also vorstellen, dass da ein gewaltiger Unterschied festzustellen ist. Jeder von uns arbeitet sehr hart, damit das beste Ergebnis erzielt wird. Es ist ein wenig wie beim Stricken, was ich übrigens sehr gerne mache – auch da hältst du irgendwann das fertige Produkt in den Händen, die dieses überhaupt erst geschaffen haben.

MusikBlog: Wann findest du denn zwischen dem Tourleben und der Zeit im Studio noch Zeit zum Stricken?

Sharon: Als ich nach Oregon aufgebrochen bin, um die neuen Songs mixen zu lassen, habe ich das immer gemacht, während Richard Swift damit beschäftigt war, das Mixen in die Hand zu nehmen. Ich hatte natürlich ein Mitspracherecht, aber habe ihn auch mal machen lassen, so dass ich am Ende einen ganzen Schal fertig gestrickt hatte, weil es nichts anderes zu tun gab. Ich habe aber noch einiges auf diesem Gebiet zu lernen, z.B. wie man etwas Rundes strickt. Bis dahin werde ich unaufhaltsam Schals stricken! (lacht)

MusikBlog: Wie lange hast du im Vorfeld des neuen Albums mit dem Gedanken gespielt, dich auch bei der Produktion mit einzubringen?

Sharon: “Are We There” ist das erste Album, bei dem ich überhaupt das Verlangen gespürt habe, auch dort meine Finger mit im Spiel zu haben. Ich habe gelernt, dass es nur darauf ankommt zu wissen, was man von den jeweiligen Songs möchte und dies auch kommunizieren kann, so dass es einen Sinn ergibt. Dann wird am Ende alles gut werden. Ich wollte mir wohl selbst beweisen, dass ich in der Lage bin so etwas zu machen. Es muss eben auch einmal ohne den großen Bruder an der Hand gehen.

MusikBlog: Würdest du es in Zukunft in Erwägung ziehen, auch für andere Künstler als Produzentin tätig zu sein?

Sharon: Das würde ich sogar sehr gerne machen! Ich bin ein großer Musikfan und könnte mir vorstellen, vielleicht ein paar meiner Musikerfreunde zu produzieren. Vermutlich suche ich aber auch gerade nur wieder nach einem Grund, sie länger um mich zu haben. (lacht)

MusikBlog: Hattest du schon immer diesen Do-It-Yourself-Anspruch an dich, privat oder beruflich?

Sharon: Ja, ich denke schon. Ich war eines von fünf Kindern und hatte immer das Gefühl, dass ich ganz gut damit fahre, die Dinge alleine anzupacken, egal ob das die Musik oder mein Privatleben betrifft. Das hat mich zu einem vergleichsweise unabhängigen Kind gemacht. Ich mochte es schon immer, Sachen auf den Grund zu gehen und herauszufinden, wie sie funktionieren. Damals habe ich immer herum gealbert, dass ich ein “Hobby-Girl” bin, weil ich am liebsten so viele verschiedene Hobbies wie nur möglich ausprobiert habe. Bevor ich mich anfing zu langweilen, war ich schon beim nächsten angelangt!

MusikBlog: Was waren das denn für Hobbies?

Sharon: Ich habe Jazz-Dance und Ballett getanzt, beim Chor mitgesungen, bei Musicals mitgewirkt oder mich länger der Fotografie gewidmet – ich habe sehr viele Sachen ausprobiert, allerdings meist nur für kurze Zeit. Das kann ein Vor- oder aber auch ein Nachteil sein. Entweder heisst es, du führst nichts zu Ende oder dir werden Vorhaltungen gemacht, du würdest dich nicht genug öffnen und dir unbekannte Sachen ausprobieren. Für mich war die Musik in all dem immer etwas, zu dem ich problemlos zurückkehren konnte und vor allem wollte. Das war mein absoluter Fokus, auch wenn ich nebenbei eine Menge anderer Sachen gemacht habe.

MusikBlog: Gibt es auch im musikalischen Bereich z.B. Instrumente, die du gerne noch für dich entdecken möchtest?

Sharon: Da fällt mir als erstes das Schlagzeug ein. Ich liebe diesen Sound einfach und darüber hinaus die Tatsache, dass man dabei so gut loslassen kann. Beim Singen geht das zwar auch sehr gut, aber Schlagzeug wäre eine gute Alternative für mich. Ausserdem stelle ich es mir toll vor, mehr Bass zu spielen, den ich nur sehr minimalistisch beherrsche. Da fällt mir ein – mit Synthesizern würde ich auch gerne mehr herumexperimentieren…oder Beats programmieren! Du siehst, ich habe noch eine ganze Menge auf meiner Liste, was ich gerne ausprobieren möchte.

MusikBlog: Auf dem letzten Track des Albums – “Every Time The Sun Comes Up“- sprichst du vom damit verbundenen Ärger, der mit dem Aufgehen der Sonne auf dich zukommt. Ist das der Soundtrack zu deinem Leben?

Sharon: (lacht) Ganz genau! Jeden Morgen, wenn ich aufwache, denke ich sofort: “Was habe ich gestern Abend bloß wieder angestellt?!?”. Aber mal im Ernst, das ist so ein interner Witz bei den Leuten, die mich sehr gut kennen, denn während der Aufnahmen im Studio bin ich in der Regel immer sehr lange wach, so dass sich die anderen schon die Haare deswegen raufen. Sobald ich von der Tour heimkomme, falle ich auch schon ins Studio und arbeite dort teilweise zwölf Stunden am Stück. Nach einem produktiven Tag kommt es also schon einmal vor, dass ich etwas angetrunken nach Hause komme und das dann nicht so gut ankommt, wenn ich dadurch das Essen verpasst habe, weil ich lieber mit meiner Band rumhänge (lacht). Es ist jedoch schwierig, die kreative Energie zu unterbinden, wenn es gerade gut läuft, nur weil der normale Tagesrhythmus vielleicht nicht mitspielt. Meine Band sagt in solchen Situationen immer, dass ich mir zu Hause Ärger einhandeln werde und dieser Witz ist irgendwo auch im Song wiederzufinden.

MusikBlog: Vielen Dank für das Interview.

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