Die Stimme kenne ich. Vor fast 10 Jahren bin ich ihr zum ersten Mal begegnet und habe mich als Reggae-Fan erst einmal gefreut, karibischen Dialekt auf MTV zu hören. Doch ich wurde enttäuscht: „Big City Life“ von Mattafix war kein rougher Dancehall-Hip-Hop-Track, wie am Anfang vermutet, sondern ein schnulziger Pop-Quark mit viel zu hoch gesungenen Strophen. Im Nachhinein sehe ich mal darüber hinweg und gebe dem ehemaligen Mattafix-Sänger Marlon Roudette aus London noch eine Chance.
„Electric Soul“ heißt seine neue Platte. Es ist inzwischen die zweite, die er als Solo-Künstler veröffentlicht. Als elektronische Soulmusik kann die Musik von Marlon Roudette natürlich schon bezeichnet werden, aber es könnte schon ein bisschen mehr „Electric“ drin sein und auch ein bisschen mehr „Soul“. Im Grunde ist es Klavier-Pop mit Drum-Machine-Beat, aber das klingt natürlich nicht so cool. Marlon Roudette hat jedenfalls einen Stil gefunden, der zu ihm passt. Er ist definitiv ein Singer-Songwriter, denn seine Lieder erzählen Geschichten.
Geschichten darüber, was passiert, wenn die Kleinstadt zu klein wird und das Verlangen wächst den großen Durchbruch in Amerika zu schaffen, wo alles ein bisschen größer ist („America“). Geschichten über einen Mann, der feststellt, dass er nicht der einzige ist, den seine Frau liebt („Your Only Love“) und der sich wieder zurücksehnt auf die Insel, die ihn zu einem echten Mann gemacht hat („Too Much To Lose“).
Die Insel heißt St. Vincent und liegt in der Karibik. Marlon Roudette verbrachte dort sieben Jahre seiner Jugend. Da ist es natürlich verständlich, dass er einen gewissen Hang zum Reggae hat. Karibische Off-Beat-Musik à la Bob Marley gibt es auf „Electric Soul“ aber lediglich am Ende: „Nice Things“ ist ein authentischer Rocksteady-Song, der klingt als käme er direkt per Luftpost aus Jamaika auf einer 45er-Schallplatte gepresst. Damit wäre „Big City Life“ für mich zumindest wieder gut gemacht.
Was Marlon Roudette von der Insel noch mitgebracht hat ist die Steel-Pan. Ein Wahnsinns-Instrument, das aussieht, wie der eingedrückte Deckel eines Metall-Fasses und einfach wunderschön klingt. Deutlich zu hören ist die Steel-Pan in der Single „When The Beat Drops Out“ oder in „Better Than Me“, zwei der Highlights auf „Elcetric Soul“. Reinhören lohnt sich außerdem bei „Body Language“, einem Dance-Track, dessen eingängiger Rhythmus erahnen lässt, was Marlon meint mit: „I can barely stand it, when you use your body language“. Boygroup-Kitsch vom Feinsten ist „Flicker“ – wer diesen Chorus erträgt, dem ist auch die restliche Platte nicht zu schmalzig.
Fazit: Marlon Roudettes „Electric Soul“ ist stimmiger als Mattafix, poppiger als Reggae und durch sein solides Songwriting ein ernsthaftes und qualitativ hochwertiges Stück Musik.