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Kreative Energie kann nicht erzwungen werden – Lily And Madeleine im Interview

Inzwischen gibt es bereits Studien darüber, warum das gemeinsame Musizieren von Geschwistern so gut funktioniert. Lily & Madeleine aus Indianapolis haben sie auch. Diese besondere Chemie, die neben ihrem Händchen für’s Songwriting vor allem dafür sorgt, dass beide Schwestern stimmlich perfekt miteinander harmonieren. Das selbst betitelte Debüt aus dem letzten Jahr zeugte obendrein von so viel Reife, dass es nicht verwunderlich ist, dass Lily und Madeleine Jurkiewicz gerade einmal ein Jahr später nun mit  dem Nachfolger “Fumes” auf die Bildfläche zurückkehren. Und das mit einer deutlichen Weiterentwicklung ihres Sounds, der zwar immer noch im Folk-Pop verwurzelt ist, aber längst nicht mehr so zaghaft wirkt wie noch auf dem Vorgänger. Im November schaut das Geschwisterpaar dann für drei Shows in Deutschland vorbei. Wir trafen sie jedoch schon einmal vorab, um mit ihnen über ihr neues Album, Ausbildung vs. Karriere und ihre neu gewonnene Freiheit abseits des Klassenzimmers zu reden.

MusikBlog: Es ist immer gut einen Plan zu haben. Ihr verfolgt euren bisher sehr zielstrebig innerhalb von nur drei Jahren drei Alben aufnehmen zu wollen. War das von vornherein das selbst erklärte Ziel?

Lily: Es ist gar nicht einmal so, dass wir uns das von Anfang an fest vorgenommen haben und diesen Plan jetzt einfach nur in die Tat umsetzen. Das würde womöglich gar nicht funktionieren. Wir haben auf unsere erste EP so tolles Feedback bekommen, dass wir uns an die Arbeit zum Debüt gemacht haben, um zu sehen, wohin uns die Reise führen würde. Mit der neuen Platte haben wir aber dennoch nichts überstürzt, sondern viel Wert darauf gelegt, dass wir fokussiert und ohne Eile an den Songs arbeiten können. Dieses Gefühl wollen wir auch nach der Veröffentlichung von “Fumes” beibehalten. Es ist nicht immer das Beste, allzu weit in die Zukunft schauen zu wollen.

MusikBlog: Habt ihr nach eurem Debüt die nötige Zeit gefunden, um über all die damit verbundenen Erlebnisse zu reflektieren oder lag euer Augenmerk danach ganz klar auf der Arbeit an der neuen Platte?

Madeleine: Ehrlich gesagt, hatten wir nicht besonders viel Zeit, uns über die Dinge Gedanken zu machen, die bereits hinter uns lagen, da wir zu der Zeit noch zur Schule gingen. Am Wochenende haben wir immer so viel es ging an neuer Musik gearbeitet oder sind zu Auftritten in unserer Umgebung gefahren, soweit dass möglich war. Unter der Woche lag unser Fokus dagegen eindeutig auf der Schule. Insgesamt war es schon ziemlich viel, was da um uns herum passiert ist, weswegen es manchmal ganz schön stressig war, alles unter einen Hut zu bekommen. Daher war es schön, bei den Aufnahmen zu “Fumes” nicht mehr diese Art von Druck zu verspüren. Die Schule war vorbei und wir hatten genügend Zeit, um uns den neuen Songs zu widmen oder aber auch für unsere Auftritte zu proben.

MusikBlog: Wie kommt es, dass ihr trotz der Hektik und eures vollen Terminkalenders dennoch nur so vor jugendlich-kreativer Energie sprudelt?

Madeleine: Ich glaube, diese kreative Energie, die wir in uns spüren, kann nicht erzwungen werden und sie steckt irgendwo die ganze Zeit über in uns drin. Wir sind einfach zwei Mädchen, die unglaublich viel Spaß daran haben, Musik zu machen und auf der Bühne zu stehen. Bis vor kurzem waren wir ja noch nicht einmal besonders gut mit der Musikindustrie als solche vertraut. Es hat sich aber schnell herausgestellt, dass wir uns sehr wohl in diesem Umfeld fühlen. Am Anfang glich alles, was wir taten, eher einem Experiment. Mittlerweile läuft das, wie es scheint, ganz gut. Wir haben uns erlaubt einen Schritt zurückzutreten, alles mit etwas mehr Distanz zu bewerten und dann sind wir mit Anlauf wieder mitten hinein gesprungen. Beim ersten Album geschah vieles aus einer gewissen Naivität heraus, die wir jetzt zu großen Teilen abgelegt haben als wir in der Arbeit zu “Fumes” steckten. Der ganze Prozess, der damit verbunden war, basierte auf einem größeren Bewusstsein dafür, was wir eigentlich taten. Wir wissen nun vielmehr, wer wir sind und können das auch deutlicher vermitteln.

MusikBlog: Fühlt ihr euch überhaupt durch irgendetwas in eurem kreativen Drang gebremst?

Lily: Das geht mir nur so, wenn ich abgelenkt bin und mich nicht voll und ganz auf das Songwriting konzentriere. Oder, wenn wir längere Zeit nicht auf Tour waren und einem gewissermaßen kreativer Input fehlt, um sich inspiriert zu fühlen. Da reichen manchmal schon 1-2 Wochen aus und ich fange an unruhig zu werden. Statt mich auf die Musik zu konzentrieren, spiele ich dann mit irgendwelchen Apps herum und bin einfach nur ein Teenager.

Madeleine: Mir geht es da sehr ähnlich. Je beschäftigter ich bin, umso kreativer fühle ich mich und bin auch in der Lage mich auf die Musik einzulassen. Natürlich ist es sehr schön, auch einmal ein wenig Freizeit zu genießen, aber meistens hält dieses Gefühl nicht allzu lange an und ich brenne darauf wieder Musik zu machen.

MusikBlog: Ist eure Ausbildung euch jemals in den Weg gekommen, wenn es darum ging Musik zu machen? Oder gab es auch den umgekehrten Fall?

Madeleine: Ja, das ist tatsächlich vorgekommen. Als wir letztes Jahr in Berlin waren, sind die Musik und unsere Ausbildung schon sehr eng aneinander geraten, so dass es teilweise schwer für uns war beide Dinge miteinander zu vereinbaren. Wenn man noch in der Schule ist und nur am Wochenende richtig Zeit für die Musik hat, dann fällt es einem mitunter schwer alles unter einen Hut zu bekommen. Man kann weder das eine noch das andere ganz haben und sich nur auf einen der beiden Aspekte konzentrieren.

Lily: Es wurde irgendwann sehr kompliziert und auch anstrengend eine Form von Gleichgewicht herzustellen, so dass wir uns dazu entschieden haben die Schule erst einmal ein wenig auf Eis zu legen, um uns intensiver der Musik widmen zu können. Wir wollten nichts halbherzig tun, sondern uns lieber ganz und gar der Musik verschreiben. Ich nehme immer noch online an Schulkursen teil, aber das ist nicht mit dem Zustand vorher zu vergleichen, da ich mir meine Zeit so viel besser einteilen kann.

MusikBlog: Viele Musiker tauschen eine geregelte Ausbildung gerne gegen ein Leben auf Tour und im Studio ein. Was bewegt euch dazu eure schulische Laufbahn nicht völlig aufzugeben?

Lily: Das mag vielleicht blöd klingen, aber Madeleine und ich lernen einfach gerne. Anfangs war es toll den Druck der Schule nicht mehr im Nacken zu spüren, aber ich könnte auch nicht ganz darauf verzichten. Dafür bin ich viel zu wissbegierig und mir gefällt die Tatsache mich weiterzubilden.

Madeleine: Ich vermisse diesen Druck manchmal auch etwas. Gerade, weil alle meine Freunde jetzt auf dem College sind und man dadurch auch die ganze Zeit über von Leuten umgeben ist, die genauso alt sind wie man selbst und ähnlich ticken.

Lily: Momentan versuche ich erst einmal online die High School zu beenden, um dann vielleicht später noch auf’s College zu gehen. Diese Gelegenheit möchte ich mir nicht verbauen.

Madeleine: Wir werden in der Zukunft ganz sicher auch wieder den traditionelleren Ausbildungsweg einschlagen. Momentan lässt sich dieser aber nicht wirklich gut mit der Musik vereinbaren, so dass es besser für uns ist diesen Pfad vorerst zu verlassen.

MusikBlog: Es ist auch nichts verkehrt daran, für das Leben zu lernen und später erneut den offiziellen Weg zu gehen. Was habt ihr bisher für euch daraus mitgenommen, so viel unterwegs zu sein und den Schulalltag gegen das Musikerdasein eingetauscht zu haben?

Lily: Es gibt abseits der Schule so viel für uns zu lernen, so dass es mir nicht so vorkommt, als würden wir gerade etwas verpassen. Besonders, wenn man unterwegs ist, lernt man einiges dazu und gewinnt viele neue Erkenntnisse. Es ist eine Sache, seine Nase in die Bücher zu stecken und eine andere dann selbst vor Ort in Europa zu sein und alles hautnah mitzuerleben. Bücher können dir nur begrenzt die Realität vermitteln.

Madeleine: In einem Klassenzimmer kann einem nicht adäquat vermittelt werden, was es wirklich bedeutet mitten in einer anderen Kultur zu sein. Deswegen sind wir froh darüber, an all diese verschiedenen Orte reisen und alles hautnah erleben zu können. Schon allein in Hinblick auf die Selbstwahrnehmung und die damit verbundene Wirkung auf das eigene Umfeld zahlt sich das Reisen doch sehr aus und man zieht viele wichtige Erkenntnisse für sich heraus. In unserem Alter erfährt man solche Dinge höchstens im Rahmen eines Austauschprogramms, aber nicht im normalen Schulalltag.

MusikBlog: Gehören die Musik und das Songwriting für euch nun ebenso sehr zu eurem Alltag dazu wie ehemals die Hausaufgaben oder lässt sich beides nicht miteinander vergleichen?

Lily: Doch, das lässt sich in gewisser Weise schon miteinander vergleichen. Wenn man im Studio ist, muss man auch eine bestimmte Anzahl von Songs aufnehmen, verschiedene Takes durchlaufen und sich an Vorgaben halten. Der Stress ist zwar ein ganz anderer, aber es gibt durchaus Parallelen. In beiden Bereichen hat man sich ausserdem an zeitliche Fristen zu halten. Dennoch ist die Musik im Vergleich mit viel mehr Spaß verbunden, was sehr wichtig für uns ist.

Madeleine: Alles, was mit Social Media zu tun hat, fühlt sich vielmehr wie Hausaufgaben für uns an und wir müssen uns da sehr anstrengen, um mithalten zu können und auf dem Laufenden zu bleiben. Es gehört schon viel dazu, täglich auf Kommentare zu reagieren, Dinge zu liken und obendrein noch selbst etwas zu posten. Und auf Reisen hat man ja nicht immer WiFi, was die Sache erschwert. Trotzdem wäre es lächerlich, sich darüber zu beschweren, dass einem Twitter gerade das Leben zur Hölle macht (lacht).

MusikBlog: Auf dem Cover von “Fumes” schwebt ihr dagegen geradezu in einem Boot liegend über das Wasser und wirkt recht sorglos. Ist das der bildliche Ist-Zustand, in dem ihr euch momentan befindet?

Madeleine: Das ist eine interessante Assoziation, die ich so noch gar nicht für mich hergestellt habe. Aber da ist schon etwas Wahres dran. Die Frau von unserem Manager ist Malerin und hatte diese Vorstellung von uns in einem Boot, die wir dann in die Tat umgesetzt haben. Sie hat uns auf das Gedicht “The Lady Of Shalott” von Alfred Lord Tennyson gebracht, das uns sofort sehr gefallen hat.

Lily: Es handelt von einer Frau, die in einer Festung auf einer Insel lebt und um sie herum ist ein Fluss. Sie ist verflucht, bricht diesen aber und besteigt ein Boot, das sie nach Chamelot führt. Bevor sie dort ankommt, stirbt sie jedoch.

Madeleine: Letztendlich geht es um Dinge wie Wandel, Aufbruch und die Stärke der Frau. Sie widersetzt und befreit sich von dem auf ihr liegenden Fluch und begibt sich auf eine Reise ins Ungewisse, ungeachtet der Hindernisse, die sie zurückhalten könnten. Uns gefiel all das als Metapher so gut, dass wir beschlossen darauf aufbauend ein Fotoshooting zu machen.

MusikBlog: Bei der Arbeit zum neuen Album habt ihr erneut zwei alten Bekannten vertraut – eurem Produzenten Paul Mahern und Co-Writer Kenny Childers. War euch nach dem Debüt sofort bewusst, dass ihr wieder mit den beiden zusammenarbeiten wollt?

Lily: Ja, das war sofort klar und da gab es gar keine Zweifel oder Diskussionen. Wir wollten zwar zusätzliche Session-Musiker und dergleichen für die Aufnahmen des neuen Albums, aber der Kern des Teams sollte erhalten bleiben. Wir haben ein wunderbares Verhältnis zu Kenny und wollten unbedingt wieder mit ihm Songs schreiben. Das Gleiche gilt für Paul, der immer nur das Beste für uns will. Alle waren ohne Bedenken wieder mit an Bord, was sehr schön war.

Madeleine: Selbst als wir Andeutungen machten, dass wir unseren Sound leicht verändern wollten, gab es keinerlei Proteste, sondern Kenny und Paul haben uns sehr dabei geholfen, unsere Vorstellungen bestmöglich im Studio umzusetzen. Überhaupt ist es schön zu wissen, dass alle in der Lage sind, so gut an einem Strang zu ziehen. Das ist für uns das Wichtigste.

MusikBlog: War es bei dieser Ausgangslage nur logisch, auch wieder in die Farm Fresh Studios zurückzukehren, wo auch euer Debüt entstanden ist?

Madeleine: Absolut. Es lag dabei so ein schönes, leicht nostalgisches Gefühl in der Luft an diesen Ort zurückzukehren. Nur der Name hat sich geändert und es heisst jetzt Primary Studio. Alles andere ist erhalten geblieben. Allerdings haben wir weitaus mehr Zeit dort verbracht als beim ersten Mal.

Lily: Damals herrschte Hochsommer, bei den jetzigen Aufnahmen hatten wir einen der kältesten Winter seit zwanzig Jahren, so dass es trotz der gewohnten Umgebung keine identische Erfahrung war.

MusikBlog: Was ist für euch eine größere mentale und emotionale Anstrengung – das Songwriting selbst oder die Studio-Aufnahmen der entstandenen Ideen?

Lily: Für mich persönlich stellen die Aufnahmen im Studio eine größere Anstrengung dar.

Madeleine: Das geht mir ganz genauso.

Lily: Es ist eine Herausforderung, der man sich sehr konzentriert stellen muss. Abgesehen davon ist es spannend zu sehen, wie sich bestimmte Songs im Laufe der Zeit im Studio verändern und wie wir mit ihnen zusammen wachsen.

Madeleine: Vielleicht waren die Aufnahmen insgesamt etwas anstrengender für uns, weil sich dahingehend am meisten für uns verändert hat. Das Songwriting ist mehr oder weniger dasselbe geblieben, aber im Studio war es dieses Mal eine neue Erfahrung für uns. Schon allein, weil die Arrangements teilweise in eine andere Richtung gingen und wir bei der Umsetzung unserer Ideen mehr experimentiert haben. Der Raum für Wandel war größer. An unserer Methode des Songwritings selbst hat sich dagegen nicht viel geändert. Mit der Zeit bekommt man einen ganz anderen Bezug zu den eigenen Songs. “Peppermint Candy” ist ein gutes Beispiel. Zuerst mochten wir den Track nicht besonders, aber kaum waren wir im Studio und probierten Arrangements aus, blühte der Song auf und nun gefällt er uns richtig gut.

MusikBlog: Im Song “Hold On To Now” geht es ebenfalls um Wandel. Woran lohnt es sich eurer Meinung nach festzuhalten?

Lily: Wir sind so schnell an den Punkt gelangt, das zweite Album aufzunehmen, dass ich diesen Song schrieb, um uns noch einmal vor Augen zu halten, wie wichtig es ist, im Jetzt zu leben. Es nützt nichts, sich immer nur auf die Zukunft zu versteifen und darüber den Moment zu vergessen, in dem man sich aktuell befindet. Sonst läuft man Gefahr, die Dinge um sich herum nur verschwommen wahrzunehmen und das möchte ich keinesfalls. Dafür sind mir so kostbare Erinnerungen viel zu wichtig.

Madeleine: Es lohnt sich im Leben ausserdem, an Beziehungen zu bestimmten Menschen festzuhalten. Das wird mir immer mehr bewusst, je öfter wir auf Tour und von Zuhause weg sind. Teilweise ist es schwierig da immer im selben Maße mit allen Freunden in Kontakt zu bleiben wie vorher. Und doch lohnt es sich so sehr diese Freundschaften zu Personen zu pflegen, die man liebt. Lily und ich machen uns da aber wenig Sorgen, dass wir das nicht schaffen. Die Menschen, die uns wirklich wichtig sind, werden immer einen Platz in unserem Leben haben. Egal, wie viel wir unterwegs sind.

MusikBlog: Vielen Dank für das Interview.

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