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Chilly Gonzales – Chambers

Hefte raus, Klassenarbeit! „The Musical Genius“ Chilly Gonzales glaubt, wir wären endlich soweit. Nach unzähligen Lektionen in seiner Pop Music Masterclass via 1 Live, nach den, in Kunsthochschulkreisen geradezu vergötterten, Klassik-meets-Pop-Fusionen „Solo Piano“ und „Solo Piano II“, und nachdem wir jahrelang zugeschaut haben bei einer mirakulösen Wandlung, besser Entkleidung, von einem selbsternannten „worst MC“, der derart stupenden Battle-Rap in die Nullerjahre verschickte, dass es schon wieder toll anmutete, und der nebenbei die Zeit fand, ein Album lang die Oberpuppe bei Berlins bester Hip-Hop-Band, den Puppetmastaz, zu geben und Peaches’ Berliner Electro-Clash zu verbessern half, zu einem nur noch in Kölner oder Berliner Philharmonien auftretenden „Musical Genius“; nach all den Jahren also, vom Hip-Hop-Underground-Dude zum Klavier spielenden Liebling des an Popkultur interessierten Feuilleton, kommt jetzt „Chambers“.

Nein, auch wenn es zunächst so klingen mag, es ist kein umbenanntes „Solo Piano III“. Es ist Chilly G’s bisher umfassendster Versuch, Kammermusik und Pop, E- und U-Musik zusammenzubringen. Mit Streichquartettbegleitung und hier und da noch etwas mehr, spielt Jason Beck die Klaviatur der Popmusik im klassischen Gewand, ob Hip-Hop, R’n’B, oder die Ballade. In allem zeigt der Schlaks am Piano die Beziehung zu dem, was sowohl der Popmusikfreund in der Kammermusik, als auch der Klassik-Apologet in der zeitgenössischen Unterhaltungsmusik nicht sehen will. Die Verbindung. Die schöne Interdependenz unserer globalisierten, durchmischten Welt.

Herausgekommen ist ein Easy-Listening-Ausflug in die Pop-Klassik. Tiefgründig, profund, aber gleichzeitig auch leicht und unaufdringlich. „Advantage Points“ mit seinem Staccato-Beat; Geigen, die E-Gitarren-Riffs mimen in „The Difference“; klassisch balladeske Popmelodien, die „Switchcraft“ umschweben: wir haben genug „Pop Music Masterclass“ hinter uns, genug „Solo Piano“-Credibility uns angeeignet, meint der Deutschland zu seiner Heimat gemacht habende virtuose Kanadier, um endlich einen modernen Zugang zur Kammermusik zu finden. Um selber zu sehen, dass das hier immer noch Pop ist, es kommt nur auf den Standpunkt und Blickwinkel an.

Das geballte Wissen um die Funktionsweise von Musik in ein Album im Kammermusikgewand zu packen, ist das eine, den Unterhaltungswert einer Musik zu finden, eine ganz andere. Pop ist immer auch Unterhaltung, Kammermusik ist es (zumindest im Vergleich dazu) kaum. Und Unterhaltung ist Konsum. Kein Chilly Gonzales der Welt wird das leugnen. Und Konsum hat immer etwas mit Status und Repräsentation zu tun. Wer will der Konsument sein? Because you are what you love. Der Chilly-Gonzales-Hörer, der den frühen Rap-Alben wie „The Entertainist“ genauso etwas abgewinnen kann wie den beiden „Solo Piano“-Alben, will mindestens so clever sein wie Jason Becks Musik. Daran ist nichts verwerflich. Aber der Zauber von zeitgenössischer Populärmusik liegt unter anderem darin, dass sie manchmal ganz infantil einfach funktioniert. Und hierin liegt die einzige Schwäche von „Chambers“. Es ist ein klein wenig zu perfekt.

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