Hochkulturelles kommt aktuell von den Schweizern KiKu, die auf ihrem neuen Album einige literarische Werke des 19.Jahrhunderts vertonen. Vor elf Jahren gründete Trompeter Yannick Barman zusammen mit Schlagzeuger Cyril Regamey ein gemeinsames Projekt, beide erhielten mit dem Gitarristen David Doyon Verstärkung und machen seitdem vor allen mit ihren Live-Performances von sich reden. Die beiden bisherigen Veröffentlichungen waren rein instrumentale Tonträger, jetzt holen sich die Avantgardisten mit dem Einstürzende Neubauten Sänger Blixa Bargeld und dem Rapper Black Cracker stimmliche Unterstützung an Bord.

Endlos scheint die Liste der Künstler, die mit dem immer beschäftigten Blixa Bargeld zusammen arbeiteten, nicht immer passte die behandelte Thematik so exakt zu der aura-versprühenden Koryphäe wie die dieser Aufnahmen. Das Titelstück „Marcher Sur La Tête” eröffnet das Album, folgt der Vorlage des Büchner Gedichts „Lenz“ und hier kann der Berliner auch gleich in der Beschreibung eines aufreißenden Himmels den rezitatorischen Hammer schwingen. Dandyhaft schwelgend intoniert er die Zeilen des Dichters, was im folgenden Stück „Belehrung“, einem Werk von Hermann Hesse, seine Fortsetzung findet.

„Mit blanken Knochen klappern wir die Wahrheit“ heißt es dort und man wähnt das Gesagte tatsächlich als Realität, während die von den drei Musikern installierten komplexen Sound-Collagen die Wörter kongenial begleiten. Die Musik pendelt zwischen Jazz und Trip-Hop, greift zu Metal-Elementen, beruhigt, um gleich darauf mit einer explodierenden Gitarre aufzuwecken. Barmans Trompetenspiel verbreitet indessen eine noctambule Stimmung, wie es sonst bestenfalls das Saxophon bei Bohren & Der Club Of Gore schafft.

Auf dem epischen „Nuages“ kann ihr deutscher Gast dann alle Register ziehen, ein über dreizehn Minuten langer Spannungsbogen, auf dem auch sein martialischer Schrei mehrfach zu hören ist, dessen Töne sich am Schluß zum industrial-artigen Lärm im Stil ihrer Landsleute Young Gods verformen und an dessen Ende Black Cracker seinen ersten Einsatz hat. Der überzieht als Bargelds Gesangs-Pendant das Album auf seinen Tracks mit einem dunklen Schatten („Tête 2“), der sonst eher Markenzeichen von Tricky ist. Dabei variiert der Wahl-Berliner aus Alabama zwischen melancholischer Paranoia („Jaillir”) und raumgreifender Getriebenheit („Ocean”), was der Platte seinen markanten Stempel aufdrückt.

Musikalisches Kontrastprogramm bietet das stille Monteverdi-Stück „Sì Dolce è’l Tormento“, in dem die Geschichte der unerwiderten Liebe als Kammerspiel zur Begleitung klassischer Gitarrenklänge vorgetragen wird. Die Coverversion von The Korgis unverwüstlichen „Everybody`s Got To Learn Sometimes“ läßt Bargeld dann noch einmal nach Liebe lechzen bis das Outro „Es Ist Zu Langweilig”, wieder aus der Feder Büchners,  den beiden Gästen den würdigen Raum für einen gemeinsamen Abschlußvortrag läßt.

Die Schweizer Sound-Tüftler haben mit der fesselnden Reise durch Spoken-Words, Literatur und Naturphänomene ganz sicher eines der außergewöhnlichsten Alben des Jahres geschaffen, dessen ganze Wucht sich nicht im Vorübergehen erschließt.

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