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Können nicht vom Wohlgeruch des anderen lassen – Balthazar im Interview

Geschichten kommen und gehen. Balthazar sind sich der wiederholenden Promo-Maschinerie durchaus bewusst und versuchen, diese mit einer unerbittlichen Coolness ganz einfach zu umschiffen: Auf den Tisch kommen so immer neue, liebevoll zusammengewobene Geschichten – etwa, wie der Bandname entstanden sei. Legt man nicht ein jedes Wort des humorstrotzenden Kollektivs auf eine streng genaue Waagschale, kommt ein recht herrliches Gespräch zustande. So muss etwa Bandkollege Jinte unserem Gesprächspartner Maarten des Öfteren Hilfestellung geben, um möglichst originelle Antworten zu finden. Etwa, wenn es darum geht, welcher wohl der unperfekteste Song auf ihrem neuen Album „Thin Walls“ ist, was genau die lässigen Herrschaften dermaßen aneinander kleben lässt und warum die dritte Platte eine Persönlichkeitsmischung aus Pinocchio und Brigitte Bardot darstellt.

MusikBlog: Mich beschlich beim Durchhören von „Thin Walls“ das laue Gefühl, dass niemand in einem ganzen Leben so viele Liebesdramen anhäufen kann, wie ihr sie auf ein einziges Album packt. Was ist das immer für eine Chose mit euch Musikern und den Liebesk(r)ämpfen?

Maarten: Tja, warum Liebe? Ich denke, es ist unser Job, eben diese Dinge in Musik zu verpacken. Ich sehe es bisher nicht kommen, dass wir eines Tages mit einem Album über den Sonnenschein, oder aber die schmelzenden Polarkreise daherkommen. Es ist einfach ein Thema, welches es zulässt, dass wir immer und immer weiterschreiben. Anscheinend können wir von diesen kleinen persönlichen Dramen einfach nicht genug bekommen.

MusikBlog: Und doch hört sich das Ganze bei genauerer Betrachtung der Melodien und Instrumentation schon viel freimütiger und lockerer an als zuvor. Begeistertes Clapping, juchzende Harmonien: Auch die tanzliebenden Indie-Liebhaber würden dazu euphorisch springen denn lässig wippen.

Maarten: Das Album ist einfach mehr gerade heraus, denke ich. Das mag an dem simplen Fakt liegen, dass wir das ganze Werk während unserer Zeit auf Tour geschrieben haben, wo Du Dir eben nicht die unfassbaren Gedanken über weit gewobene Themen machst – es kommt auf Kleinigkeiten an.

MusikBlog: Ein komplettes Album auf Tour zu schreiben – ihr wollt wohl gar nicht erst einmal abschalten von der Musik, der musikalische Ideenpot kurbelt auf Hochtouren?

Maarten: Stimmt, gerade dort können wir nicht aufhören. Man braucht die Gitarre einfach in der Hand, um mit ein paar brauchbaren Ideen daherzukommen. Ohne sie würden keine wirklichen effektiven Schreibprozesse stattfinden. Natürlich kann Dir auch eine Idee unter der Dusche kommen, dennoch ist das Ganze eine Art Handwerk. Abgesehen davon gelangt man schnell mal in Langeweile – gerade auf Tour, wenn so viele Wartezeiten hie und da anfallen.

MusikBlog: Wieviel Spontanitätsgehalt steckt denn dann noch in den ursprünglichen Langeweilefüllern? Wieviel wird noch geschliffen und gewerkelt?

Maarten: Nun, bei diesen Alben waren wir etwas… faul. (lacht) Nein, nein, es ist halt direkter und fühlt sich um Mengen spontaner an. Die letzten beiden Alben waren unheimlich durchdacht. Für sie haben wir hunderte Versionen für jeden Song in den verschiedensten Arrangements aufgenommen. Aber das hier, das kam einfach aus dem Bauch heraus die ursprünglichsten Ideen kamen so direkt auf das Album – das scheint das Natürlichste und Ehrlichste zu sein, irgendwie. Natürlich haben wir trotzdem viel Mühe hineingesteckt!

MusikBlog: Dennoch: Auch im Produktionsumfeld hat sich einiges getan, alles klingt ganz einfach klarer. War das der Antrieb eurer Entscheidung, den Produktionsprozess vertrauensvoll in andere Hände zu geben?

Maarten: Der Producer dieses Albums hatte vor allem die Aufgabe, uns irgendwie in dem ganzen Aufnahmeprozess zu entlasten. Nach meinem Empfinden hat er nicht seine eigene Signatur auf dem Album hinterlassen, aber wir haben gerade am Anfang eine ganze Menge abgekaspert, so dass er eine genaue Vorstellung davon hatte, in welche Richtung dieses Album für uns gehen soll. Es war ein großes Experiment, welches sich als großartig herausgestellt hat. Am Anfang dachten wir, wir seien sicherlich die Kontrollbesessenen der Zusammenarbeit. Doch am Ende stellte sich heraus, dass er der Kontrollfreak war und wir einfach nur das Chaos in die ganze Sache brachten.

MusikBlog: Das hört sich doch nach Entlastung an! Beschleicht Dich denn nicht manchmal das Gefühl, dass zwischen all dem Tour- und Produktionsstress, wenn man so hart an der Musikkarriere arbeiten muss, die Liebe zu den Noten einmal auf dem Rücksitz platznehmen muss?

Maarten: Aber nein. Es geht vor allem darum, ein wirklich tolles Team um Dich herum zu haben. Das klingt zwar unheimlich romantisch, doch wenn Du einen rührigen Manager und Co. um Dich herum hast, dann kannst Du Dich voll und ganze auf die Liebe zu Deiner Musik konzentrieren. Es ist eben eine andere Art Job. Manchmal hat es sogar irgendwie gejuckt, wenn wir auf Tour waren, aber einfach nicht produktiv sein konnten. Doch das haben wir mit dem neuen Album ja aus dem Weg geschafft.

MusikBlog: Haben sich da nicht irgendwelche unvorhergesehenen Zwischenfälle ergeben, die das Album erst zu dem machen, was es denn ist?

Maarten: Nun ja – wir hatten so eine Art mobiles Studio im Tourbus. All jene Aufnahmen, die eben während unserer Tour entstanden sind, haben noch das gute alte Rumpeln des Busses auf der Spur. Zuerst dachten wir, dass man die nicht nehmen könne und haben den Part des Busses völlig isoliert. Doch zum Schluss haben wir mit dem Material sogar gearbeitet. Die eine oder andere Stelle gibt es schon noch auf dem Album, an der man den Motor des Busses heraushören kann. Wenn ich es mir recht überlege, hätten wir den Busfahrer als zusätzlichen Musiker mit aufführen sollen.

MusikBlog: Vielleicht war er ein maßgeblich Beitragender dafür, dass euer Album nur so vor Perlen strotzt. Doch was ist eurer Meinung nach der unperfekteste Song darauf?

Maarten: Oh Gott. (Pause, Beratung mit dem Bandkollegen) Also, wir denken, „I Looked For You“ ist der Song, der am unperfektesten ist. Denn wir dachten uns ganz einfach: Lass uns ein Album mit neun perfekten Songs machen, und einen nicht perfekten dazutun. Und das war dann eben „I Looked For You“. (lacht)

MusikBlog: Was macht denn gerade den Song nicht perfekt?

Maarten: Och, er ist irgendwie so grummelig. Die Lyrics haben wir in etwa zwei Minuten heruntergeschrieben – wenn man bedenkt, dass der Song vier Minuten andauert, ist das schon ziemlich schnell.

MusikBlog: Eurer schoddrig-gezogenen Art zu singen hört man diese Lockerheit bei der hartgesottenen Arbeit recht gut an. Hand aufs Herz: Seid ihr wirklich so coole Säue, wie es den Anschein hat?

Maarten: Ja, definitiv. Wir sind die lockersten Typen auf dem weiten Planeten.

MusikBlog: Und das immerhin seit 12 lieblichen Jahren. Welche persönlichen Eigenschaften erlauben es den lockersten Typen des Planeten, sich so lange Zeit gegenseitig die Stange zu halten?

Maarten: Ich denke, wir können einfach nicht vom Wohlgeruch des anderen lassen. Das ist unser Geheimnis und lässt uns auch im Tourbus immer ganz nah beieinander sein. Ich hoffe, ich werde niemals auf einen anderen Musiker treffen, der noch besser riecht, denn dann könnte es unter Umständen zu Problemen für die Band kommen…

MusikBlog: Wäre die wohlduftende Person nicht Musiker – für welchen Weg könntest Du sonst noch abwandern?

Maarten: Das Doktorsein würde für mich hinhauen. Ich könnte mein Geld auch durch das Pfeifen verdienen. Ich habe außerdem viele Studentenjobs gemacht, unter anderem als Müllmann. Die Leute denken immer, dass das ein doofer Job sei, weil es stinken würde und so. Aber ich hatte so viel Spaß! Vielleicht könnte ich also auch diese Karriere eingeschlagen.

MusikBlog: Vollkommen verständlich!

Maarten: Welche Farben haben denn die Anzüge der Müllbearbeitenden in Deutschland?

MusikBlog: Unsere Helfershelfer arbeiten von Kopf bis Fuß in Orange.

Maarten: Oh, in Belgien kleiden die Herrschaften sich in Gold. Sie sind immer umgeben von vielen wunderschönen Frauen. Also scheint das ja wohl ein großartiger Job zu sein. Aber orange, das ist ja eine furchtbare Farbe! Ihr solltet wirklich etwas dagegen tun!

MusikBlog: Ich glaube nicht, dass sich das in nächster Zeit, ändern wird, tut mir leid. („Shit.“) Immerhin schön sichtbar! Was sich jedoch immerzu ändert, das sind eure wundervollen Geschichten darüber, wie euer Bandname „Balthazar“ entstand – habt ihr noch eine neue in petto, welche ihr schon immer einmal auftischen wolltet?

Maarten: Aber na klar! Diese Geschichte setzt in unserer Kindheit an, als Jinte und ich uns zum ersten Mal trafen. Wir waren 12 Jahre alt und haben immer das gleiche Etablissement in unserer Heimatstadt besucht. Und da war dieses Mädchen, sie hat dort gearbeitet. Sie war etwa 45 Jahre alt. Sie meinte, dass wir zu jung seien, um in diesem Etablissement einzukehren und uns lieber Mädchen in unserem Alter suchen sollten, für welche wir nicht bezahlen müssen. ‚Okay‘, dachten wir uns und gingen. Als wir aus der Tür herauskamen, war da ein Graffiti auf dem Bürgersteig. Da stand geschrieben: razahtlab. Und ich meinte: ‚Hey! Wenn man das umdreht, dann kommt Balthazar heraus! Jemand sollte eine Band gründen und sie so nennen‘.

MusikBlog: …was ihr sogleich nach dem Verlassen des Etablissements in Angriff genommen habt. Eine Frage, die ich schon immer den fantasievollen Interviewpartnern mit Hang zum lehmtrockenen Humor stellen wollte: Wenn man all die Eigenschaften eurer Musik zusammenfassen würde – welche Person käme denn dabei heraus?

Maarten: Das wäre wohl so eine Mischung aus Pinocchio und Brigitte Bardot – in einem goldenen Müllanzug. Du musst einfach mal googlen: Kind von Brigitte Bardot und Pinoccio. Das kam in den 60ern. Wenn Du Dir dazu ein Bild anschaust, dann wirst Du das verstehen. Es wird regelrecht „Thin Walls!!“ schreien.

MusikBlog: Ich bin mir fast sicher, dass ich so etwas finden könnte.

Maarten: Ja, schaue Dir das Ganze an und mache unbedingt ein Bild in das Interview!

MusikBlog: Vielen Dank für das Interview.

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