Es ist schon erstaunlich, wie viele Künstler – ob Musiker, Maler, Filmemacher – zu Protokoll geben, dass sie von David Lynch’s Kultserie Twin Peaks beeinflusst seien. Außer „Blade Runner“ und „Krieg der Sterne“ dürfte es nur wenige filmische Werke geben, die generationenübergreifend derart prägend wirken. Auch das Duo Bernard + Edith aus Manchester, die gar nicht Bernard und Edith heißen, sondern Nick „Bernard“ Delap und Greta „Edith“ Caroll, bezeichnet sich als von Musik, Story und Atmosphäre Twin Peaks‘ besessen.

Das merkt man ihrer eigenen Musik an: Schwebend und unwirklich klingen die Songs, die man sich zum Teil auch sehr gut von Julee Cruise im Bikerclub „Roadhouse“ gesungen vorstellen kann. Dazu kommt eine unterschwellig unheimliche Stimmung, die man nicht an bestimmten Tönen, Worten oder Melodien festmachen kann: Bernard + Edith verstehen sich bestens auf das Erschaffen einer eigenen Welt, ganz so wie David Lynch, bei dessen Filmen schon nach wenigen Sekunden klar ist, dass man sich nun in Lynchworld befindet.

Mit ihrer Debüt-Single „Poppy“ erregten Bernard + Edith bereits vor einem Jahr einiges Aufsehen, nicht zuletzt wegen des geheimnisvollen Videos (inklusive rotem Twin Peaks-Samtvorhang), das die beiden wie ihre anderen Videos selbst gedreht haben. Nick/Bernard und Greta/Edith sind selbsternannte PerfektionistInnen und wollen die Fäden ihrer Kunst in den eigenen Händen behalten. Die beiden kümmern sich ums Artwork genauso wie um die Studioaufnahmen und Produktion.

Sie hatten sich vorgenommen, dass ihr Album „verrückt, experimentell, aber auch poppig“ klingt, und das ist ihnen gelungen: So ungewöhnlich die Mixtur aus Trip-Hop, arabisch anmutenden Klängen und einer Prise Shoegaze und Chillwave zunächst wirkt, so verführerisch und eingängig ist sie beim zweiten Hördurchgang. Anders als Chillwavern wie Toro Y Moi sind Bernard + Edith Songaufbau und -struktur genauso wichtig wie die „Atmo“ eines Stücks. Auf „Jem“ begegnet der geneigten Hörerschaft durchaus Vogelzwitschern, Glöckchengeklingel und Wellenrauschen, aber vielleicht liegt es an Greta Carolls Leidenschaft für legendäre Jazzsängerinnen wie Billie Holiday, dass der musikalische Schwebezustand spätestens mit dem Gesang geerdet wird.

Unlängst schrieb jemand, Bernard + Edith klängen wie „Sade in der Hölle“: Ein ziemlich krasser Vergleich, „Zwischenwelt“ wäre passender, denn auf „Jem“ passiert so vieles gleichzeitig, hinter-, neben- und untereinander. Extravagante Tracks wie „Rosemary“, „Heartache“ und das bereits erwähnte, elegante „Poppy“ geben berechtigten Grund zu der Hoffnung, dass Bernard + Edith weit mehr sind als der Hype dieses Frühsommers. Man muss nur ein bisschen aufpassen, dass man sich nicht verläuft und in der Schwarzen Hütte landet.

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