Am Anfang stand der Zufall. 2012 drückte jemand dem in Kalifornien lebenden Australier Ry Cuming – alias Ry X den Kontakt von Frank Wiedemann in die Hand. Der The Acid-Sänger schickte ihm darauf einfach mal paar seiner Songskizzen. Der Mitbegründer des Berliner House-Labels Innervision und Mitglied von Âme fand dabei besonderen Gefallen an einem folkig klingenden Akustikgitarrenpart. Er lud Cuming ein, mit ihm weiter an dem Stück zu arbeiten. Das Ergebnis war „Howling“. Ein Deep House meets Folkgitarre-Track der im Sommer 2012 recht erfolgreich seine Runde über diverse Festivalgelände und Clubs machte.

Aber es war nicht der Erfolg des Stücks, der bei beiden dazu führte aus dem Stück „Howling“ das Projekt Howling werden zu lassen. Während der Arbeit an dem Stück fanden sie Gefallen an ihrer Zusammenarbeit. In der Folge nahmen sie sich viel Zeit für die Weiterentwickelung ihres Sounds. Mit „Sacred Ground“ präsentierten sie im Mai das Resultat ihrer Soundexpeditionen. Zwölf intensiv dunkel glimmende Tracks, die ihren Ursprung in ihren gemeinsamen Improvisationen hatten. Wir trafen die beiden auf dem diesjährigen Electronic Beats-Festival und sprachen mit ihnen über das Album, ihre Zusammenarbeit und ihr Verhältnis zueinander.

MusikBlog: Ihr spielt hier heute Abend auf dem Electronic Beats Festival. Wurde Howling eigentlich schon von Anfang an auch als Live-Act konzipiert?

Frank Wiedemann: Ursprünglich war gar nichts geplant. Aber nachdem wir „Howling“, rausgebracht hatten, haben wir erst mal ein paar kleine, intime Shows gespielt.

Ry X: Die Leute haben uns immer wieder gefragt, ob wir auch live spielen. Also haben wir es gemacht. Es war anfangs gar nicht so einfach unseren Live-Sound zu finden. Es hat eine Weile gedauert und kostete einiges an Arbeit. Aber inzwischen haben wir Wege gefunden, unser Album auch live umsetzen zu können. Und wir haben dabei ziemlich viel Freiraum. Mehr als andere Bands.

MusikBlog: Als ihr „Sacred Ground“ gemacht habt, hattet ihr bestimmte Vorstellungen darüber im Kopf, wo man Eure Musik hören sollte?

Ry X: Wir haben einfach nur Musik gemacht und nicht darüber nachgedacht, ob man sie jetzt in Clubs oder im Wohnzimmer hören sollte. Das Album wurde an sehr vielen verschiedenen Orten aufgenommen. Was den Mix des Albums betrifft, war es eigentlich nicht direkt für den Club gedacht. Wir haben zum Beispiel die Kicks ein wenig softer gemixt, so dass man es auch im Wohnzimmer hören kann oder in einer Lounge. Also was das Hören angeht, ist das Album recht flexibel. Es geht eigentlich überall.

MusikBlog: Freie Improvisation spielte bei der Entstehung der Stücke eine elementare Rolle. Das spontane Kreieren aus dem Moment heraus bedeutet natürlich absoluten Freiraum und verlangt Erfahrung. Definitiv eine spannende Sache.

Ry X: Keiner von uns wollte, dass es bei Howling so abläuft, dass wir schon vorher Songs fertig schreiben, uns dann treffen, die Stücke aufnehmen und ich dann darüber singe. Es ging uns in der Hauptsache mehr um die freie Verbindung, die wir beim Musikmachen haben. „Howling“ war der einzige Song, den ich schon vorher komplett fertig hatte. Wir haben ihn ein bisschen gekürzt und ihn und erstmal wieder auseinandergenommen.

Frank Wiedemann: Musikalisch war die Basis der Stücke eigentlich fast immer Improvisationen. Das letzte Stück „Lullaby“ haben wir zum Beispiel in einem Take aufgenommen. Danach haben wir es noch ein wenig bearbeitet. Wir haben es quasi geschrieben, als wir es gespielt haben. Was passierte, passierte.

MusikBlog: Wie bist Du denn als Sänger mit der Improvisationssituation umgegangen? Sind die Texte auch aus dem Moment entstanden? Oder hattest Du schon etwas vorbereitet?

Ry X: Für die Texte habe ich schon ein wenig mehr Zeit gebraucht. Die Vocals waren anfangs auch improvisiert. Danach habe ich sie mir angehört und die Ideen rausgezogen, die unbewusst in diese Improvisation eingeflossen sind. Auf deren Basis habe ich dann die Texte geschrieben.

MusikBlog: Die Stücke auf „Sacred Ground“ sind epische, atmosphärische Klanglandschaften, durch die Du mit deiner Stimme führst und sie gestaltest. Im Gegensatz zu klassischen drei Minuten-Songs stelle ich mir vor, dass man hier als Sänger auch ganz anders gefordert wird.

Ry X: Unsere Stücke sind ein wenig wie eine Reise. Wenn man einen Text und eine Melodie hat, dann kann man sie ausweiten. Das ist etwas, was ich von Frank gelernt habe. Dass man als Sänger über sieben, acht Minuten Spannung aufbauen kann. Für mich war das neu, den Gesang so zu dehnen und den Text langsam zu verändern, um Spannung aufzubauen. Das ist etwas komplett anderes, als man es in einem Drei/Vier-Minuten Stück macht. Das war eine schöne Erfahrung und hat uns beiden viel Freiraum gegeben.

MusikBlog: Es sind auch recht melancholische Klangwelten, die ihr auf „Sacred Ground“ kreiert habt. Von wem kommt diese emotionale Ausrichtung?

Ry X: Das kommt wohl von mir! Ich neige dazu, ziemlich melancholische Sachen zu schreiben. Frank bringt auch öfters mal andere emotionale Ideen mit, aber meine Reaktion ist dann meistens „Das ist cool! Aber irgendwie ist es zu happy. Ich weiß nicht was ich dazu machen soll“. Also es ist wahrscheinlich schon so etwas wie mein natürlicher Instinkt, eher melancholisch zu sein.

MusikBlog: Gleichzeitig ist der Sound Eurer Stücke aber auch sehr warm und lädt dazu ein, sich in den Klang fallen zu lassen. Wie habt ihr ihn erzeugt?

Ry X: Die Wärme in unserer Musik entsteht durch die Instrumente, die wir benutzen. Und wir produzieren natürlich unseren Sound mit sehr viel Sorgfalt. So nehmen wir zum Beispiel am Ende alles auch auf Tape und nicht digital auf. Überhaupt wird bei uns vieles klanglich gar nicht mehr nachbearbeitet. Es klingt wie es eben klingt. Und die Wärme ist schon vorher vorhanden. Sie lebt einfach in den Instrumenten, die wir spielen.

MusikBlog: Bei dem, was über Euch geschrieben wurde, bin ich öfter auf den Begriff „Pop“ gestolpert – Howling würden Pop mit House verbinden. Wenn ich ehrlich bin, kommt mir Pop bei Eurer Musik jetzt nicht gerade in den Sinn.

Ry X: Wenn die Leute es nicht mehr als House bezeichnen können, weil es keiner ist, oder sie es weder Techno noch Indie nennen können, dann fragen sie sich natürlich „Hm, wie können wir es denn jetzt nennen?“. Und das ist gerade das Schöne an dem, was wir machen. Dass wir nicht versuchen, irgendwas zu sein. Den Leuten gefällt’s und das ist schön. Aber das macht es nicht zu Popmusik. Und ich glaube auch nicht, dass einer von uns die Erwartung daran hat, dass es Pop sein sollte. Wir wollen die Musik, die wir machen, einfach nur mit anderen Menschen teilen. Das ist unsere Basis. Klar, wir werden weiter wachsen und uns verändern. Aber „Sacred Ground“ ist das Resultat der Zeit, in der es entstanden ist. Gefühlsmäßig, physisch, musikalisch und künstlerisch.

Frank Wiedemann: Es ist ein Tagebuch.

Ry X: Genau!

MusikBlog: Ihr habt mit Âme und The Acid beide noch Eure anderen Projekte. Was macht die besondere Chemie von Howling aus? Was ist es, das ihr in den anderen Bands nicht findet?

Frank Wiedemann: Als wir den „Howling“-Track zusammen gemacht haben, hat es musikalisch zwischen uns schon ziemlich früh gefunkt.

Ry X: Es war absolut intuitiv.

Frank Wiedemann: Wenn wir Musik machen, dann haben wir beide dieselbe Herangehensweise. Bei Âme bin ich mehr für den kreativen Input verantwortlich und mein Partner Kristian Beyer ist eher der klassische Producer, der neben mir sitzt und das Ganze lenkt. Bei „Howling“ sind wir beide die Producer und beide die Kreativen. Wir bringen beide den Input und spielen dann wie eine Band. Wir spielen zusammen und komponieren zusammen. Und das ist für mich eine schöne Sache, die ich so schon lange nicht mehr gemacht habe.

Ry X: Es ist schon ziemlich selten, jemanden zu finden, mit dem man so gleichberechtigt zusammenarbeiten kann. Wenn Frank auch Gitarre spielen und singen würde, würden wir möglicherweise aneinander geraten. Aber wir haben die gleichen Einflüsse und jeweils einen leicht anderen Ansatz, so dass wir uns in verschiedenster Weise immer wieder gegenseitig inspirieren können. Er macht zum Beispiel etwas auf dem Synthesizer und mir geht’s direkt durch den Kopf „Ja! Genau so etwas wollte ich auch machen. Und ich wusste es vorher noch nicht einmal.“ Es sind diese unausgesprochenen Momente zwischen uns. Oder ich spiele etwas und Frank in reagiert in einer Weise darauf, die ich überhaupt nicht erwartet hätte, aber die genauso ist, wie ich es mir gewünscht hätte. Die Musik passiert zwischen uns absolut natürlich und intuitiv. Ich habe schon mit einigen Leuten zusammengearbeitet und kann wirklich sagen, dass so etwas ziemlich selten ist. Dass man demjenigen mit dem man arbeitet, vollkommen vertrauen kann. Normalerweise habe ich immer das Gefühl, dass ich bei allem die Führung übernehmen muss. Aber mit Frank kann ich schon mal zurücknehmen. Naja, nicht ganz. (Beide lachen)

MusikBlog: Eure Begegnung miteinander passierte damals eher zufällig. Wie würdet ihr nach drei Jahren Eure Beziehung zueinander charakterisieren?

Ry X: Wir mögen uns natürlich überhaupt nicht. (lacht) Nein, es ist so als wären wir eine Bruderschaft. Freundschaft ist eine Sache. Aber wenn man zusammen Musik macht, gemeinsam viel im Tourbus rumreist und man somit die ganze Zeit zusammen ist, dann vertieft sich die Beziehung. Sie erreicht einen Punkt, an dem für den anderen über die Musik hinaus zum Spiegel wird und man sich auch über die tiefsten Gedanken in einem austauschen kann. Und das ist auch etwas, was einem im Leben selten begegnet.

Frank Wiedemann: Ich könnte aber auch nicht mit jemandem auf Tour sein, mit dem ich nicht sowieso viel Zeit verbringen möchte. Mit jemandem Musik zu machen, mit dem ich persönlich nicht klar kommen würde und mit dem ich nicht meine Gedanken austauschen könnte, wäre für mich nicht möglich.

MusikBlog: Natürliches Wachstum ist anscheinend die Basis von Howling. Gibt es trotzdem irgendetwas, dass ihr gezielt erreichen möchtet?

Ry X: Ohne Zweifel werden wir weiter zusammen schöne Musik machen. Wir werden Howling ohne kommerzielle Hintergedanken weiter organisch wachsen lassen. Wir sind stolz auf „Sacred Ground“ und werden erstmal weiter damit touren und dann das nächste Album machen. Wir machen einfach weiter.

MusikBlog: Vielen Dank für das Interview.

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