It’s a long way to Mülheim. Besonders, wenn man leidenschaftlicher Fahrradfahrer ist. Aber hier hoch im Kölner Norden, wo sich Hase und Medienarbeiter Gute Nacht sagen, steht nun mal das E-Werk. Diesmal auf dem Programm: Das Electronic Beats-Festival 2015. Auch dieses Jahr hatten es die Veranstalter dieser langlebigen Konzert-Reihe wieder geschafft, ein attraktives Programm zusammenzustellen. Mit dem Ergebnis, dass die 2.000 Leute fassende Halle restlos ausverkauft war.
Den Anfang machte pünktlich um Neun Uhr Adi. Nur bewaffnet mit Keyboard, Stimme, Laptop und ihrem Namenszug in großen leuchtenden Buchstaben hinter sich, hatte die blonde Israelin im noch nicht ganz gefüllten E-Werk keinen leichten Stand. Ihr netter Elektro-Pop wurde eher zur Kenntnis genommen, als dass der Funke schon richtig übersprang.
Etwas voller war es dann schon bei David August & Ensemble. Allerdings war die Mehrheit des Publikums immer noch mehr mit Plaudereien in Reichweite der Biertheken beschäftigt, als das es schon so ganz im musikalischen Geschehen war. Diejenigen, die es waren, erlebten eher smooth-relaxte Groove-Improvisationen, die zuweilen an das erinnerten, was mal als New Age Musik bezeichnet wurde. Das Ensemble, das der keyboardenden Remixer und DJ aus Berlin zur Seite hatte, bestand aus Harfe, Gitarre und Schlagzeug. Die Electronic Beats-Show war für sie erst der zweite Auftritt. Anscheinend groovt man sich noch aufeinander ein. Grooving up in public so zusagen.
Auch Ry X und Frank Wiedemann haben mit ihrem Projekt Howling noch nicht allzu viele Gigs hinter sich. Für die Live-Umsetzung der episch-atmosphärischen Stücke ihres ersten gemeinsamen Albums „Sacred Ground“ hatten sie die Tracks noch mal mit einer guten Portion Beats aufgemöbelt und sich mit einem Drummer verstärkt. Mit Erfolg: Ihre intensiv glimmenden Stücke schafften es, Bewegung ins Publikum zu bringen. Den Höhepunkt bildete natürlich „Howling“, der Track, mit dem vor drei Jahren ihre Zusammenarbeit begann. Schon die ersten Töne des markanten Gitarrenriffs wurden mit großem Jubel begrüßt. Nach Ende des Stücks, war der Jubelfaktor noch höher.
Umbau. Zeit für eine Zigarettenpause. „Ach deswegen stürmen die alle hierein!“ hörte ich jemand vor mir im Gedränge kurz vor dem Ausgang zum Biergarten sagen. Als ich es geschafft hatte, ins Freie zu kommen, wurde auch mir klar, was damit gemeint war: Es goss in Strömen. Aber gut, das kann doch einen Seemann nicht erschüttern. Mit wieder aufgeladenem Nikotinspiegel und etwas nachlassender Schütterei bei der Gelegenheit dann auch noch gleich der Bratwurst-Test. Urteil: Brötchen – Ok. Wurst – fade überteuerte Konfektionsware. Irgendwie falle ich immer wieder auf den Mythos Bratwurst rein.
In der Halle waren die Haare auch schnell wieder trocken. OK, weiter im EB-Geschehen. Nächster Act: Django Django. „This is our first show in Germany since two or three years“, bemerkte Sänger und Gitarrist Vincent Neff. Und in dieser Zeit hatten sie ihr zweites Album “Born Under Saturn” eingespielt und veröffentlicht. Um so überraschender, dass mit „Shake & Tremble“, „First Light“, “Reflections” und „4.000 Years” gerade mal vier neue Stücke auf der Setlist standen. Der Rest kam von ihrem ersten Album. Aber das tat der Sache keinen Abbruch. Das Quartett aus London spielte seinen munteren Mix aus Psychedelic, Electronic und Indie mit viel Spaß an der Sache. Quirlig und agil. Instrumente wurden untereinander gewechselt und die Stücke wurden gerne mal durch aufgekratzte Perkussionteile erweitert. Mit dem Effekt, dass sie nach Ende ihres Sets eine ausgelassene, verschwitzte und mitgetanzt habende Halle hinter sich ließen.
Stagetime nächster Act: 01:35 Uhr – Róisín Murphy. Schon mit dem Moment, in dem sie auf die Bühne kam, füllte sie den Raum mit ihrer Präsenz. Unterstützt von einer vierköpfigen Live-Band startete sie mit dem funkigen „Royal T“, einem Stück, das sie 2010 in ihrer Kinderpause mit Crookers aufgenommen hatte. Überhaupt waren in ihrem Set – das natürlich den Schwerpunkt auf den Stücken ihres aktuellen Albums „Hairless Toys“ hatte – auch ein paar Raritäten zu hören. So ihre 2012er Single „Simulation“ und „In Sintesi“, das von der „Mi Senti“-EP aus dem letzten Jahr stammt. Überraschenderweise mit im Gepäck auch noch vier Moloko-Stücke.
In jeder Sekunde ihres Auftritts zeigte Róisín Murphy, dass sie eine absolut grandiose Performerin ist. Mit ihren eigenwillig exaltierten Tanzbewegungen, schrägen Kostüm- und Maskenwechseln und ihrer rauchigen Stimme faszinierte sie auch den letzten schon leicht angemüdeten Menschen in der Halle. Die Band kochte dazu einen intensiv funkig groovenden Elektronik- Gitarrenmix, der für Dauerimpulse in Richtung Beine sorgte. Insgesamt eine großartige Art meets Groove-Show.
Ich hatte eigentlich gedacht, dass sie ihr Set mit „Exploitation“, dem besten Stück auf ihrem neuen Album „Hairless Toys“, beenden würde. Das kam auch. Und war natürlich auch live klasse. Aber es war nur die vorletzte Nummer. Und was danach kam, setzte sogar noch mal einen drauf. Aus einer „Nur Stimme und Akustikgitarre“-Version des House-Klopfers „Golden Era“, von David Morales, auf dem Róisín Murphy 2012 gesungen hatte, entwickelte sich eine absolut fulminante Interpretation des Moloko-Klassikers „Familiar Feeling“. Danach kochte die Halle. Zu Recht. Definitiv eines der besten Konzerte, das ich seit langem gesehen habe und Anwärter auf meine ewige Top Ten. Ohne Quatsch. Und ich hab‘ einige gesehen.
Gut. Rücksturz in die Realität. Kurz nach Drei und Zeit, zum Fahrrad zu gehen und drauf zu hoffen, dass der Regen nicht wieder einsetzt. Ich hatte Glück. Anscheinend war der Regengott schon im Bett und ich kam trockenen Reifens gut durch.