Ein Hit kann eine wahre Hypothek sein: Es gibt wohl kaum jemanden, der „Little Talks“ aus dem Jahr 2011 nicht kennt – auch heute noch läuft der Song mit schöner Regelmäßigkeit im Radio, und vom Kleinkind bis zur Oma pfeifen alle mit. Dass hinter diesem Gassenhauer die isländische Gruppe Of Monsters And Men steckt, die seit einem Bandwettbewerb im Jahr 2010 zusammenspielt, können nicht ganz so viele fehlerfrei aufsagen.
Andererseits: Über mangelnde Wertschätzung konnten sich OMAM nach dem Welthit nicht wirklich beklagen. Das Debütalbum „My Head Is An Animal“ kam international sehr gut an; in Deutschland kletterte die Scheibe immerhin bis auf Platz vier in den Verkaufscharts, und in Island selbst ist nur Björk noch erfolgreicher als OMAM. Schon diese Platte machte deutlich, dass die Folkpopper aus Keflavik keine One-Hit-Wonder sind, und dass die häufig geäußerten Vergleiche mit Arcade Fire mehr als berechtigt sind. Aufwendig instrumentierte, dramatisch aufgebaute Mini-Epen mit unerwarteten Wendungen, Tempiwechseln und überschäumender Energie zeichneten „My Head Is An Animal“ aus, das keineswegs nur um „Little Talks“ drumherum gebastelt war.
Dennoch: Zählt man das Livealbum „Live from Vatnagarðar“ nicht mit, stehen Of Monsters And Men gerade vor der Aufgabe, das sprichwörtlich schwierige zweite Album zu präsentieren. Aber keine Sorge, das Sextett um Sängerin, Gitarristin und Songschreiberin Nanna Bryndís Hilmarsdóttir und Ragnar „Raggi“ þórhallsson (Gitarre, Gesang) hat alles richtig gemacht und Fallstricke umgangen. Zum Beispiel ist die Single „Crystals“ trotz unbestreitbarer Eingängigkeit nicht darauf getrimmt, der Nachfolgehit zu „Little Talks“ zu werden – dramatisch und pompös arrangiert verweist das Stück eher auf die fantasievolle, phantastische Ebene, mit der man KünstlerInnen aus Island gern in Verbindung bringt. Nannas kraftvolle Stimme steht unangefochten im Mittelpunkt, die Sängerin sieht im Video beinah wie Björk aus und erinnert kaum noch an die Alternative-Folkerin, die man von OMAMs Auftritten kennt.
Balladeske Songs wie „Hunger“, „I Of the Storm“ und „Empire“ dagegen kommen vergleichsweise schlicht und reduziert daher, die dazugehörigen Videos sind in strengem schwarz-weiß gehalten und bauen ganz auf die intime, ungefilterte Wirkung der SängerInnen. Man merkt den Songs durchaus an, dass sie von Interpol- und Muse-Producer Rich Costey behandelt wurden: Der raue, natürliche Charme des Frühwerks blieb überwiegend erhalten, und doch ist klar, dass diese Musik weltweit gehört und ernstgenommen werden soll – und zwar nicht als zufälliger Nebeneffekt dank eines lustigen Films, sondern aus sich heraus.
Dass Leute wie Chris Taylor von Grizzly Bear und Alex Somers Of Monster And Men Songs remixen, spricht überdies für eine veränderte Wahrnehmung dieser Band, die keine zottelige Folkietruppe in handgestrickten Wollpullovern mehr sein will.