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Wir finden Gefallen daran, extreme Gegensätze zu schaffen – Wolf Alice im Interview

Als Sängerin Ellie Rowsell und Gitarrist Joff Oddie 2010 begannen, gemeinsam Musik zu machen, stand der Name Wolf Alice für akustischen Folk. Zwei Jahre später sorgten Drummer Joel Amey und Bassist Theo Ellis nicht nur dafür, dass aus dem Duo ein Quartett wurde, sondern auch dafür, dass sich der Sound von Wolf Alice stärker in Richtung Indie-Rock entwickelte. Mit den beiden EPs „Blush“ und „Creature Song“ erkundete die Londoner Band, die sich nach der Heldin aus einer Kurzgeschichte von Angela Carter benannte, weiter ihre klanglichen Möglichkeiten zwischen Dream-Pop, Folk und Indie-Rock, mit „My Love Is Cool“ erscheint nun das sehnsüchtig erwartete Debütalbum. Im Interview verrät uns Drummer Joel, wieso seine Zeit bei Wolf Alice mit einer kleinen Notlüge begann, warum sich Wolf Alice für ihr Debütalbum so lange Zeit lassen mussten und wieso ihre Musik so gerne zwischen laut und leise pendelt.

MusikBlog: Obwohl ihr seit 2012 in dieser Besetzung zusammenspielt, habt ihr zunächst statt eines Debütalbums zwei EPs und mehrere Singles veröffentlicht. Was hat euch zu diesem Schritt bewogen?

Joel Amey: Dafür gab es viele Gründe. Wir hätten zwar recht schnell ein Album aufnehmen können, aber wir fühlten uns noch nicht dazu bereit. Ein Debütalbum sollte man nicht unüberlegt und voreilig veröffentlichen, schließlich ist es das erste Statement, das dich als Band definiert. Drei Jahre klingt zwar lang, aber wir haben in dieser Zeit viel geschafft: EPs veröffentlicht, Konzerte gespielt, viele Fans dazugewonnen und sehr viele Songs geschrieben. Unser Songwriting hat sich in dieser Zeit enorm entwickelt, Stücke wie „Silk“ oder „The Wonderwhy“ hätten wir vor drei Jahren noch nicht schreiben können. Dadurch fühlt sich das Album wie ein Schnappschuss der ersten drei Jahre von Wolf Alice an.

MusikBlog: Als brauchtet ihr die Zeit, um Erfahrung und Selbstbewusstsein zu sammeln?

Joel Amey: Unbedingt, in den ersten eineinhalb Jahren waren wir so eine typische unsichere Newcomerband, die mehr schlecht als recht ihre Songs beherrschte. Als wir jetzt ins Studio gingen, hatten die vielen Gigs, aber auch die Fehler und Rückschläge uns zu einer ganz neuen Band werden lassen. Wir wussten zum ersten Mal ganz genau, was wir wollten.

MusikBlog: Auch für dich persönlich war diese längere Findungsphase sicherlich wichtig, schließlich bist du für Wolf Alice von der Gitarre ans Schlagzeug gewechselt.

Joel Amey: Genau, als ich hörte, dass Wolf Alice einen Drummer suchen, habe ich einfach behauptet, dass ich spielen könnte. Ich hatte zu der Zeit nicht mal Becken und spielte einfach immer nur den gleichen, holprigen Rhythmus. Unseren ersten Gig mussten wir auch nach wenigen Songs abbrechen, weil wir auf einem Folkfestival wilde Punkrock-Jams spielten. Uns wurde dann mitgeteilt, dass dies nicht der Ort für solche Musik ist. Das war ziemlich lustig.

Seit drei Jahren bin ich nun Teil der Band und seit drei Jahren spiele ich Schlagzeug. Aber eigentlich verstehe ich mich selbst nicht als Drummer. Das ist zwar das, was ich live mache, aber ich bin auch gerne im Studio, spiele dann auch mal Gitarre oder Bass oder schreibe Songs aus meiner Perspektive. Als Schlagzeuger stelle ich mich voll in den Dienst des Songs und wenn eine Ballade nur zwei Tamburin-Schläge benötigt, dann ist das für mich vollkommen in Ordnung. Es geht um gute Songs, nicht um gute Drum-Parts. Außerdem bin ich immer noch ein ziemlich miserabler Schlagzeuger, von daher gilt: je weniger Schlagzeug, desto besser. (lacht) „Turn To Dust“ gehört zum Beispiel zu meinen Lieblingssongs auf „My Love Is Cool“, obwohl kein Schlagzeug, sondern lediglich ein programmierter Beat darin vorkommt.

MusikBlog: Der Nachteil, wenn man sich mit dem Debüt so lange Zeit lässt, liegt ja darin, dass gewisse Erwartungen beim Publikum entstehen. Ihr werdet spätestens seit der „Blush EP“ als „Band to watch“ bezeichnet. Eine ganz schöne Bürde oder?

Joel Amey: Ach, Druck ist doch in irgendeiner Form immer da. Wir haben selbst ziemlich hohe Erwartungen an uns und setzen uns so unter Druck. Das Debüt ist nun mal dein erstes wichtiges kreatives Statement, dein erster Markstein in deiner Karriere. Es gibt dieses berühmte Sprichwort: Du hast fünf Jahre Zeit, um dein Debütalbum aufzunehmen. Wir haben diese Frist fast vollständig genutzt, aber auch gebraucht. Dass uns die Presse oft als hoffnungsvollen Newcomer oder als „Band to watch“ bezeichnet hat, war da nicht so wichtig. Wir sind jetzt schon fast vier Jahre diese „neue Band, die du dir unbedingt anschauen musst.“ (lacht) Da gewöhnt man sich dran.

MusikBlog: Du hast erwähnt, dass sich euer Songwriting in den letzten Jahren stark entwickelt hat. Hat sich dabei auch der Prozess an sich verändert?

Joel Amey: Wir hatten eigentlich nie einen typischen Schreibprozess als Band. Bevor wir zusammen in Wolf Alice spielten, waren wir alle irgendwie Songwriter und deshalb bringt auch immer noch jeder Ideen ein. Man hat immer eine Gitarre und einen Laptop zur Hand, kann schnell mal was aufnehmen und es den anderen später vorspielen. Da gibt es bei uns keinerlei Routine und wird es wohl auch nie geben. Das schützt davor, dass man zu oft die gleiche Idee hat und Songs am Ende gleich klingen. Das wäre furchtbar.

MusikBlog: Es gibt ja auch einige Songs wie „Fluffy“ oder „Bros“, die bereits in anderer Version veröffentlicht wurden. Warum habt ihr euch dennoch dafür entschieden, diese auf euer Debüt zu packen?

Joel Amey: Ich liebe „Fluffy“, es ist ein toller Song und deshalb wollte ich unbedingt, dass er auf dem Album landet. Außerdem wird die alte Version dem Song nicht wirklich gerecht und er hat es verdient, dass wir ihn noch einmal vernünftig aufnehmen. Wir hoffen zudem ja auch, dass Leute unser Album hören, die uns noch nicht so lange kennen, für die ist der Song dann ja neu. Und sie lernen ihn besser in dieser Version kennen statt in der alten.

„Bros“ haben wir beim ersten Mal in 16 Stunden aufgenommen. Wir hatten noch so viele Ideen, was Sounds angeht, aber einfach nicht genug Zeit. Wir arbeiteten damals noch ohne Produzenten, das machte die Sache nicht unbedingt leichter. Es klang auch kein bisschen wie die Demoversion, die Ellie ursprünglich aufgenommen hatte. Die war viel verträumter, erinnerte an die Flaming Lips. Beide Versionen haben ihren Reiz, aber letztlich ist der Song im Laufe der Zeit einfach gewachsen, hat sich verändert – genau wie wir. Wenn wir Freunden das Album vorspielen, sind sie manchmal enttäuscht über „Bros“, weil sie die alte Version lieber mochten oder einfach daran gewöhnt sind. Das muss man akzeptieren. Ich habe jedenfalls meinen Frieden mit „Bros“ geschlossen, ich mag beide Versionen.

MusikBlog: Statt mit einem lauten Knall, der Aufmerksamkeit schafft, schleicht ihr euch mit einem sehr leisen, minimalistischen Opener an den Hörer heran. Warum habt ihr die typische Dramaturgie umgekehrt?

Joel Amey: Der Song funktioniert an dieser Stelle am besten, denn „Turn To Dust“ hat eine sehr filmisch-epische Atmosphäre. Sobald Joff den ersten Akkord anschlägt, kreiert er diese unheimliche Stimmung und zieht einen sofort in den Bann. Das ist zwar ein ungewöhnlicher Einstieg in ein Album, aber damit haben wir das Überraschungsmoment auf unserer Seite. Jeder weiß, dass wir laut sein und krachende Rocksongs schreiben können, deshalb ist es toll, dass der erste Eindruck auf „My Love Is Cool“ eine womöglich weniger bekannte Seite von uns zeigt. Es ging uns bei dem Album auch darum, nicht nur Single auf Single folgen zu lassen, sondern der Tracklist eine innere Logik und Dramaturgie zu verleihen. „Turn To Dust“ gibt mit seiner düsteren, unheimlichen Atmosphäre den Ton für den Rest von „My Love Is Cool“ an.

MusikBlog: Auch „Silk“ beginnt ja sehr unheimlich mit diesem geisterhaften Flüstern, endet aber in einem euphorischen Finale. Insgesamt sind der Stil und das Arrangement aber recht ungewöhnlich für euch.

Joel Amey: Die Idee zu „Silk“ stammt von Ellie und ihre erste Version enthielt bereits diese unheimlichen Sounds, die jetzt auch auf dem Album zu hören sind. Diese Gothic-Elemente sind tatsächlich eher ungewöhnlich für uns, allerdings merkten wir schnell, wie viel Potenzial in diesem Song steckt und dass er einen kraftvollen Sound und ein großes Finale verdient. Wir haben sehr viel Arbeit in die Produktion von „Silk“ gesteckt, allerdings war es auch lustig, diese schrägen Flüsterstimmen aufzunehmen und die beinahe psychotische Stimmung zu kreieren. In gewisser Weise symbolisieren „Turn To Dust“ und „Silk“ zwei Seiten der Band, die wir auf unserem Debütalbum unbedingt präsentieren wollten. Wir sind an einem Punkt mit Wolf Alice, an dem viele Bands schon zwei Alben veröffentlicht haben, die sich auf verschiedene Aspekte ihres Sounds fokussieren. Wir mussten das alles in ein Album packen – deshalb gibt es darauf grungige Stücke wie „Fluffy“, aber eben auch Songs wie „Silk“.

Diese Vielfältigkeit spiegelt aber auch wider, dass wir vier ziemlich unterschiedliche Persönlichkeiten sind. Es überrascht mich manchmal, wie gut wir als Band funktionieren, obwohl wir alle ziemlich schräge Charaktere sind. (lacht) Vielleicht lässt sich „My Love Is Cool“ auf diese Formel reduzieren: Vier schräge Typen, die zusammen abhängen und sehr laute und manchmal sehr poppige Songs schreiben.

MusikBlog: Dieser Wechsel von laut und leise findet ja nicht nur zwischen verschiedenen Songs statt, sondern auch einzelne Stücke arbeiten mit dieser Laut-Leise-Dynamik. Habt ihr euch das vom Indie-Rock der frühen 90er abgeschaut, denn vor allem die Pixies wurden ja für dieses Wechselspiel bekannt?

Joel Amey: Als wir anfingen, zusammen Musik zu machen, erschien es uns vollkommen logisch, die Strophen leise und den Refrain laut zu gestalten. Das war eine völlig unterbewusste Entscheidung und hatte nichts mit den Pixies oder anderen Bands zu tun. Aber mit der Zeit haben wir gelernt, Dynamik bewusster einzusetzen und fanden Gefallen daran, extreme Gegensätze zu schaffen. Wenn ein Song – wie beispielsweise „Freazy“ – ein Popsong ist, dann arbeiten wir auch für Monate daran, ihn so poppig wie möglich zu gestalten. Bei „Fluffy“ dagegen versuchen wir dann, so laut und heavy zu sein, wie wir können.

MusikBlog: Mit „My Love Is Cool“ habt ihr ja einen Albumtitel gewählt, der sehr viel Raum für Interpretation lässt, weil von Liebe und Coolness vermutlich jeder ein anderes Bild im Kopf hat. Kannst du dennoch erläutern, was der Titel für dich bedeutet?

Joel Amey: Das Wort Liebe gehört wohl zu den am häufigsten benutzten Begriffen, die dennoch nie langweilig oder auch eindeutig werden. Jedes Mal, wenn jemand sich zum ersten Mal verliebt, ist es das stärkste Gefühl der Welt und nutzt sich ja nicht ab, nur weil es schon tausende Generationen vor ihm gefühlt haben. Das ist so ähnlich wie mit Farben. Ich sehe grün, du siehst grün, aber haben wir auch dasselbe Grün gesehen und eine ähnliche Erfahrung gemacht? Cool scheint dagegen ein Begriff zu sein, der zurzeit aus dem Sprachgebrauch verschwindet und durch andere Begriffe wie „rad“ ersetzt wird. Auch hier ist wieder einerseits total klar, was gemeint ist, dennoch kann es ganz andere Phänomene betreffen. Wenn Nick Cave plötzlich in diesen Raum läuft, ist das womöglich das Coolste, was ich je gesehen habe. Wenn ein berühmter Basketballer in den Raum kommt, ist es womöglich das Coolste für meine Schwester. Die Kombination dieser beiden Begriffe sorgt dafür, dass jeder bei „My Love Is Cool“ an etwas anderes denkt, deshalb ist es ein guter Albumtitel.

MusikBlog: Vielen Dank für das Interview.

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