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Das werden wir wegen einer Minderheit nicht aufgeben – Chvrches im Interview

Schon kein schlechter Start, wenn man direkt mit dem ersten Album Erfolg hat. Mit „The Bones Of What You Believe“ zogen Chvrches vor zwei Jahren nicht nur eine Menge Kritiker- Aufmerksamkeit auf sich, sondern schafften es auch, dass sich das Album in mehreren Ländern ziemlich gut verkaufte. Sogar in dem sonst für britischen Elektro-Pop eher schwierigen Terrain der US-Charts, konnte man das Album auf Platz 12 finden.

Allerdings handelt es sich bei dem Trio aus Glasgow auch nicht um drei frische Jungspunde, sondern um recht gestandene Musiker, die schon über Jahre in diversen Indie-Bands wie Aereogramme oder Blue Sky Archives Erfahrungen sammeln konnten. Mit „Every Eye Open“ erschien jetzt die gelungene Weiterentwicklung ihres Achtziger inspirierten Electro-Pops. Wir sprachen mit Lauren Mayberry, Iain Cook und Martin Doherty über das Album, Erfolg, ihr Verhältnis zueinander, sexistische Kommentare und noch ein paar andere Themen.

MusikBlog: Lauren, ich könnte mir vorstellen, dass euch der große Erfolg von „The Bones Of What You Believe“ selbst etwas überrascht hat. Wenn möglich, möchte man natürlich schon weiter auf diesem Kurs bleiben. Wie geht man dann an das Nachfolgealbum heran? Habt ihr so etwas wie Druck gespürt?

Lauren Mayberry: Wir wussten diesmal, dass es ein Publikum für die Band gibt. Aber wir haben versucht, das auszublenden. Wenn man sich darauf fixieren würde und anfängt, ängstlich darüber nachzudenken, ob man es kann oder nicht, dann hilft dir das auch nicht beim Songschreiben. Es macht es eher schwerer. Das war uns bewusst. Wir sind einfach in unser Studio in Glasgow gegangen und haben zu dritt angefangen zu schreiben. Ich denke, es war auch gut, dabei so weit wie möglich von der Musikindustrie entfernt zu sein. So konnten wir uns vollkommen konzentrieren und hatten dabei so etwas wie Normalität um uns herum.

MusikBlog: Manche Bands erliegen nach einem erfolgreichen Debüt gerne mal der Versuchung, auf dem zweiten Album unbedingt zeigen zu wollen, was sie alles mit einem Studio anstellen können. Sprich, die Songs verschwinden dann gerne mal hinter einer großen Produktion. Das ist euch nicht passiert. Die Songs auf „Every Open Eye“ sind nach wie vor klar und schlank.

Lauren Mayberry: Uns war klar, dass wir nur versuchen konnten, unseren Sound weiter zu entwickeln und ihn nicht komplett zu ändern. Als ich mir das Album angehört habe, fiel mir auf, dass es selbstbewusster als unser erstes klingt. Ich glaube, das hängt damit zusammen, dass wir inzwischen solange Tag für Tag in dieser Band leben. Wir hatten schon immer eine klare Vorstellung davon, was diese Band sein sollte und ich bin froh, dass es auf dieser Platte gut rüberkommt.

Iain Cook: Im Endeffekt geht es immer um Songs. Produktion und Arrangements sind wichtig, aber sie sollten nie dem Song im Weg stehen. Der Song ist immer der König! Auf unserem ersten Album spielte das sowieso noch keine große Rolle. Wir hatten damals nur ein paar Synthesizer und weniger Equipment. Dadurch, dass wir Layer auf Layer auf Layer geschichtet haben, haben wir versucht, das zu kompensieren. Wir haben das solange gemacht, bis es eben voll klang. Aber auf „Every Eye Open“ war die Situation anders. Wahrscheinlich hat es auch etwas mit Erfahrung zu tun. Wir hatten immerhin schon unser erstes Album hinter uns und durch eine Menge Live-Shows viel mehr Selbstsicherheit gewonnen.

MusikBlog: Und wie macht sich das konkret im Sound bemerkbar?

Iain Cook: Dadurch, dass es weniger Elemente gibt, haben die Songs jetzt viel mehr Raum zum Atmen. Das Album hat mehr Charakter und ist farbiger geworden. Damals hatten wir nur drei Synthesizer. Wir haben jetzt ein bisschen Geld in unser Studio investiert und hatten diesmal ein paar alte Synthesizer mehr zur Verfügung. Und wir wollten sie sprechen lassen und nicht in der Ecke stehen lassen. (lacht)

MusikBlog: Wie war es eigentlich, als ihr bemerkt habt, dass ihr mit Chvrches nicht in der Indie-Ecke bleibt, sondern auch ein breiteres Publikum erreicht?

Lauren Mayberry: Wir sind auf dem Boden geblieben und haben versucht, unser Ding weiter konzentriert durchzuziehen. Es war sehr wichtig für uns, dass wir viel unterwegs waren und live gespielt haben. Anfangs kannte man uns hauptsächlich durch das Internet. Dadurch, dass wir unsere Musik zu den Leuten gebracht haben, wurden wir für sie als Band weniger abstrakt. Und das haben wir geschafft. Wir haben uns nicht durch irgendwelchen Glamour ablenken lassen, sondern das gemacht, wofür es uns gibt. Und Musik für ein Publikum spielen zu können ist schon ein Privileg.

MusikBlog: Hat sich durch den Erfolg euer Privatleben in irgendeiner Weise verändert?

Lauren Mayberry: Dadurch, dass wir in den letzten Jahren ständig unterwegs waren, hatte das natürlich auch Auswirkungen auf unseren Alltag. Aber darüber hinaus sprechen wir eigentlich nicht über unser Privatleben. Ich denke, es ist wichtig, dass man auch etwas für sich selbst behält.

MusikBlog: In der Öffentlichkeit zu stehen, kann auch unangenehme Effekte haben. Lauren, du hast auf euren Social Media-Seiten sexistische und frauenfeindliche Anmach-Kommentare der untersten Schublade bekommen. Du hast sie aber nicht einfach hingenommen, sondern öffentlich gemacht und an den Pranger gestellt. Besteht dadurch nicht die Gefahr, dass man solche Leute noch weiter anstachelt?

Lauren Mayberry: Ich glaube nicht. Es wird immer Leute geben, die geschützt durch die Anonymität des Internets Frauen bedrohen oder einschüchtern wollen. Und ich glaube nicht, dass sie sich durch irgendetwas, das ich sage davon abhalten lassen werden. Aus meiner Sicht ändert das nur die Kommunikation um die Band. Frauen müssen sich jeden Tag gegen Sexismus und Frauenfeindlichkeit zur Wehr setzen. Aber es geht ja auch nicht nur darum. Beschimpfungen und Bedrohungen über das Internet gibt es auch aufgrund der Hautfarbe oder der sexuellen Orientierung. Das passiert ständig. Und ich glaube auch nicht, dass stärkere Kontrollen etwas bewirken würden.

MusikBlog: Gibt es immer noch solche Kommentare?

Lauren Mayberry: Wir haben dieses Thema jetzt schon länger nicht mehr zur Sprache gebracht, aber es taucht immer noch auf. Egal, ob ich ein Kleid trage oder ein T-Shirt. Es spielt keine Rolle, was ich mache, diese Mentalität existiert trotzdem. Aber man muss eben wissen, wie man darauf reagiert. Einige Leute sagen uns „Lasst es. Dagegen kommt man einfach nicht an. Das könnt ihr nicht gewinnen“. Aber es geht auch nicht darum, ob wir es gewinnen können. Es geht darum, ob wir diese Niederlage akzeptieren oder nicht. Und wir akzeptieren sie nicht. Nur weil uns jemand mit seinem sexistischen Verhalten bedroht, werden wir uns davon als Band nicht beeinträchtigen lassen. Wir werden im Internet weiter mit unseren Fans intensiv in Kontakt bleiben. Sie haben uns geholfen, dahin zu kommen, wo wir jetzt sind und sie sind für uns absolut wichtig. Und daran werden wir nichts ändern, denn wir wollen die Verbindung zu ihnen haben. Das werden wir wegen einer Minderheit nicht aufgeben.

MusikBlog: Ihr legt Wert darauf, dass ihr euch in der Öffentlichkeit immer geschlossen als Band präsentiert. Auf Presseterminen, Interviews, Fototerminen gibt es euch immer nur im Dreierpack.

Martin Doherty: Das ist etwas, das wir direkt zu Anfang klargestellt haben. Es wäre sonst sehr einfach und falsch gewesen anzunehmen, dass es sich bei Chvrches nur um zwei Producer und ein Mädchen handelt. Mit diesem Gedanken fühlten wir uns nie wohl. Wir haben alle zu gleichen Teilen in die Band investiert – emotional und auch auf der kreativen Seite. Und aus diesem Grund war uns schon immer klar, dass es uns nur als Band geben wird. Wir kommen von einem Indie-Background, da ist es egal wie du aussiehst. Wir wollten nicht zwei Typen im Hintergrund sein und das Mädel verkauft die ganze Sache. Und daran halten wir immer noch fest.

MusikBlog: Ihr habt alle auch vorher schon in Bands gespielt, mit denen ihr auch Platten gemacht habt. Was macht das Besondere von Chvrches aus? Gibt es bei euch dreien so etwas wie eine besondere Chemie?

Lauren Mayberry: Es hat uns schon von Anfang an verblüfft, wie gut wir zusammenarbeiten konnten. Wir hatten direkt einen Draht zueinander. Es ist ziemlich schwierig, so etwas zu finden.

Martin Doherty: Diese Band hat definitiv etwas, das anders ist als bei allen Bands, mit denen ich vorher zu tun hatte. Sie hat eine ganz andere Energie. Zum Beispiel, wenn wir zusammen schreiben, habe ich Momente erlebt, die ich so mit anderen Bands noch nie erlebt habe. Genauso wie das Gefühl, wenn wir einen Song fertig haben. Oder wenn uns beim Schreiben blitzartig ein paar Ideen kommen. Das setzt einen schon ziemlich unter Strom.

MusikBlog: Hat die intensive Beziehung, die ihr auf kreativer Ebene habt, auch Euer persönliches Leben erreicht? Wie würdet ihr Euer Verhältnis zueinander beschreiben?

Lauren Mayberry: Ich denke, das viele Touren und das was wir in den letzten Jahren zusammen erlebt haben, hat uns als Band zusammengeschweißt. Es hat uns als Einheit stärker werden lassen. Wir sind jetzt so etwas wie eine Gang.

MusikBlog: Vielen Dank für das Interview.

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