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Ich bin schnell von Dingen gelangweilt – Farao im Interview

Stillstand ist keine Option für Kari Jahnsen. Weder geographisch noch musikalisch hält es die junge Norwegerin lange an derselben Stelle aus. Aufgewachsen in einem kleinen Dorf, zog es sie später unter anderem nach Oslo, London und nun Berlin. Und auch musikalisch zeigt sich Farao ähnlich umtriebig und weltoffen. War ihre selbstbetitelte EP im letzten Jahr noch deutlich im verhuschten Folk verwurzelt, erweitert sie dieses musikalische Konzept auf ihrem Debütalbum „Till It’s All Forgotten“ um Synthesizer, Bläser sowie elektronische Sounds und unterlegt das Ergebnis mit ungewöhnlichen und markanten Rhythmen. Wir sprachen mit Farao über ihr ruheloses Wesen, ihre neue Wahlheimat Berlin sowie über den fordernden Charakter ihrer Musik.

MusikBlog: Du bist in einem kleinen Dorf in Norwegen aufgewachsen. Hast du bereits dort die Musik für dich entdeckt oder passierte das erst, als du in größere Städte zogst?

Kari Jahnsen: Musik spielte damals bereits eine große Rolle für mich. Ich sang im Kirchenchor, als Teenager hörte ich außerdem sehr viel Punkrock. Meine Freunde und ich begannen daher auch schon früh, mit gefälschten Ausweisen Konzerte zu besuchen.

MusikBlog: Du bist anschließend erst nach Trondheim, Oslo, Liverpool, London und nun Berlin gezogen. Fällt dir schnell die Decke auf den Kopf, wenn du zu lange an einem Ort bleibst?

Kari Jahnsen: Es liegt zum Teil daran, dass ich einen sehr ruhelosen Charakter habe und wirklich schnell von Dingen gelangweilt bin. Andererseits wollte ich auch einfach viele Erfahrungen sammeln und möglichst viele Orte sehen, bevor ich mich irgendwo langfristig niederlasse.

MusikBlog: Und warum hast du dich nun für Berlin entschieden?

Kari Jahnsen: Ich hatte die Schnauze voll von London. Nach fünf Jahren brauchte ich einen Tapetenwechsel und Berlin ist – gerade im Vergleich zu London – ein sehr billiger Ort zum Leben. Außerdem ist es ein toller Ort für eine Künstlerin. Weil es so günstig ist, ziehen sehr viele Künstler dort hin und man lebt deshalb in einem sehr kreativen und inspirierenden Umfeld.

MusikBlog: Island ist ein weiterer Ort, der für dich als Künstlerin sehr wichtig ist. Warum hast du dort sowohl deine EP als auch dein Album „Till It’s All Forgotten“ aufgenommen?

Kari Jahnsen: Das war mehr oder weniger Zufall. Mein Produzent lebt dort und hat dort auch sein Studio. Er lud mich ein, meine erste EP bei ihm aufzunehmen, und ich habe mich währenddessen wirklich in das Land verliebt. Es ist ein sehr abgeschiedener Ort, der dich den Rest der Welt vergessen lässt. Man arbeitet dort wie in einer schützenden Blase.

MusikBlog: Obwohl Island ein kleines Land mit geringer Bevölkerungsdichte ist, verfügt es ja über eine beachtliche popkulturelle Szene. Glaubst du, das hängt mit dieser Abgeschiedenheit und Isolation zusammen?

Kari Jahnsen: Ja, man wird nicht ständig mit Eindrücken und Input bombardiert – wie beispielsweise in London. Dort steht man einfach dauerhaft unter Strom, weil man von so vielen Menschen umgeben ist und ständig so viel passiert. In Island dagegen kann man sich ausgiebig mit sich selbst beschäftigen, deshalb sind die Isländer ein sehr individualistisches Volk. Wenn man als Künstler oder Band jemand anderen kopiert, interessiert sich dort niemand für dich. Stattdessen muss man immer für Innovation sorgen und diese Haltung macht Island zu einem sehr kreativen Ort.

MusikBlog: Ist es denn einfacher, in abgeschiedenen Orten wie Island kreativ zu sein oder braucht man als Künstlerin nicht auch den Input größerer Städte?

Kari Jahnsen: Mir hilft diese Abgeschiedenheit. In London wäre ich zu sehr abgelenkt, außerdem spielen dort die finanzielle Seite und der Erfolg eine viel größere Rolle. Im Gegensatz dazu existiert in der isländischen Szene kein wirkliches Musikbusiness. Viele Bands dort haben nicht mal einen Manager, sondern machen Musik aus Leidenschaft und nicht, um damit erfolgreich zu sein oder Geld zu verdienen.

MusikBlog: Nachdem du nun schon an so vielen Orten gelebt und aufgenommen hast, wie groß ist da eigentlich noch der norwegische Einfluss auf deine Musik?

Kari Jahnsen: Groß, ich höre immer noch sehr viel norwegische und finnische Musik. Diese Einflüsse kann man auch bei meiner eigenen Musik immer noch gut heraushören.

MusikBlog: Kommen wir mal zu deinem neuen Album. Ich habe gelesen, dass „Vergiss mein nicht!“ von Michel Gondry dein Lieblingsfilm ist. War er auch Inspiration für den Albumtitel „Till It’s All Forgotten“, immerhin geht es auch im Film ums Vergessen und das Auslöschen von Erinnerungen?

Kari Jahnsen: Ja, ich mag die Idee des Films, bestimmte Erinnerungen einfach auszulöschen und Personen wieder in Fremde zu verwandeln. Das ist zwar eine ziemlich egoistische Tat, wenn man Menschen oder schlechte Erfahrungen aus seiner Erinnerung löscht, aber in gewisser Weise wollte ich genau das mit meinem Album machen.

MusikBlog: Wenn du in der Realität die Möglichkeit hättest, würdest du dann wirklich manche Erinnerungen aus deinem Gedächtnis löschen?

Kari Jahnsen: Nein, auf keinen Fall. (lacht)

MusikBlog: Im Vergleich zu deiner selbstbetitelten EP im letzten Jahr sind die neuen Songs weniger vom Folk beeinflusst, die Gitarre spielt eine viel kleinere Rolle. War das ein bewusster Schritt?

Kari Jahnsen: Ja, absolut. Ich wollte nicht noch einmal diesen folkigen Sound wiederholen, weil er mich langweilte. Ich hab vor den Aufnahmen zu meinem Album auch kaum noch Folk gehört und mich stattdessen von all dem anderen Kram, den ich hörte, inspirieren lassen. Ich wollte keine Songs mehr auf der Gitarre schreiben.

MusikBlog: Gehörten zu diesen neuen Inspirationsquellen auch Warpaint? Denn dein neuer Stil erinnert mich immer wieder an deren Sound.

Kari Jahnsen: Ja, als ich mein Album aufnahm, haben Warpaint gerade ihr zweites Album veröffentlicht und ich habe es mir in dieser Zeit sehr oft angehört. Sie waren also auf jeden Fall eine Inspiration.

MusikBlog: Du hast ja schon auf deiner EP – beispielsweise bei dem Song „The Hours“ – mit ungewöhnlichen Rhythmen experimentiert. Bei deinen neuen Songs stehen diese Rhythmen und Grooves nun stark im Mittelpunkt. Was fasziniert dich daran so sehr?

Kari Jahnsen: Ich spiele ja selbst Schlagzeug und es macht mir beim Aufnehmen immer am meisten Spaß, die Beats zu arrangieren und die rhythmischen Strukturen der Songs auszuarbeiten. Ich wollte außerdem, dass man jeden Song nur an seinem Drumbeat erkennen kann. Dass jeder Song also einen ganz einzigartigen Groove mit Wiedererkennungswert besitzt. Ich glaube, das ist mir auch ganz gut gelungen.

MusikBlog: Dieser Fokus auf den Rhythmus führt auch zu einem etwas aggressiveren Sound auf „Till It’s All Forgotten“. Warst du beim Schreiben oder während der Aufnahmen wütend oder zumindest frustriert?

Kari Jahnsen: Frustriert umschreibt es eigentlich ganz gut. Außerdem ging es mir darum, bestimmte Sachen hinter mir zu lassen und nicht mehr so tun zu müssen, als würde ich sie mögen.

MusikBlog: Deine Songs haben ja häufig eher ungewöhnliche Arrangements und überraschende Wendungen in ihrer Struktur. Entstehen diese intuitiv oder entwirfst du diese sozusagen am Reißbrett?

Kari Jahnsen: Das ist schwierig zu beschreiben. Während der Aufnahmen hab ich eben manchmal das Gefühl, dass ich eine bestimmte Version mag, eine andere dagegen nicht. Dann arbeite ich mit der ersten Version weiter. So einfach ist das. Ich setze mich nicht hin und denke mir: Jetzt schreibe ich einen Song mit einer total schrägen Struktur. Für mich fühlt sich keines der Arrangements seltsam oder ungewöhnlich an, sondern aufregend, aber vollkommen natürlich. Ich höre immer wieder von anderen Leuten, dass die Songs ungewöhnlich aufgebaut sind, aber ich kann das nicht wirklich nachempfinden, weil sich jeder Song so natürlich anfühlt.

MusikBlog: Du entwickelst ja nicht nur die Arrangements selbst, sondern hast auch fast alle Instrumente selbst eingespielt. Ist es wichtig für dich, möglichst viel Kontrolle über deine Musik zu haben.

Kari Jahnsen: Absolut. Ich bin ein Kontrollfreak. Abgesehen von den Drums, der Tuba und der Posaune habe ich alles selbst eingespielt. Einfach weil ich am besten weiß, wie das Ergebnis klingen soll. Warum sollte ich es da erst noch jemandem erklären, wenn ich es auch einfach selber machen kann?

MusikBlog: So viel Kontrolle bedeutet aber auch, sehr viele Entscheidungen treffen zu müssen. Ist das nicht manchmal einschüchternd?

Kari Jahnsen: Doch, natürlich. Es gibt Tage im Studio, da fühlt man sich wie der König der Welt, aber am nächsten Tag hört man sich dann alles erneut an und merkt, dass es ganz furchtbar klingt. Da will man am liebsten alles vernichten und nie wieder einen Song schreiben. (lacht) Als Solokünstlerin muss man nun mal alle Entscheidungen alleine treffen und steht immer im Fokus. Das ist sehr anstrengend, aber auch unglaublich befriedigend, wenn es funktioniert.

MusikBlog: Aber hilft dir dabei nicht auch dein Produzent Mike Lindsay (Tunng), mit dem du ja auch schon die EP aufgenommen hast?

Kari Jahnsen: Mike schafft es immer, mit konstruktiver Kritik das Beste aus mir herauszuholen. Er hat keine Angst, mir zu sagen, wenn etwas nicht gut klingt. Gleichzeitig macht er das auf eine sehr nette und eben konstruktive Weise. Das ist sehr wichtig, damit ich nicht anfange, an meinen eigenen Ideen zu zweifeln. Er schafft es zudem, meine verspielte Seite hervorzulocken. Wir haben im Studio immer sehr viel Spaß, tanzen herum, lachen und probieren all diese verschiedenen Instrumente aus. Ich glaube, man hört den neuen Songs wirklich an, was für eine gute Zeit wir hatten und wieviel Spaß es gemacht hat.

MusikBlog: Dennoch ist das Album ja auch ein ziemlich forderndes Hörerlebnis, das einige Konzentration verlangt. Wolltest du mit „Till It’s All Forgotten“ sozusagen das Gegenteil von Easy Listening kreieren?

Kari Jahnsen: Unbedingt. Ich möchte nicht, dass meine Musik als Hintergrundgedudel dient, sondern dass man ihr wirklich Aufmerksamkeit widmen muss, während man sie hört.

MusikBlog: Wir haben ja schon über die dunklen Untertöne und den frustrierten Ton mancher Songs gesprochen. Dennoch endet „Till It’s All Forgotten“ mit einem erbaulichen, fast fröhlichen Song. Wolltest du dem Album mit „Are You Real“ eine optimistische Schlusswendung geben?

Kari Jahnsen: Der Song schließt das Album gut ab, gleichzeitig gibt er ihm noch mal eine Wendung. Er verändert alles, was davor passiert ist, und auch für mich persönlich war er ein entscheidender Wendepunkt. Gleichzeitig fühlt er sich wie eine Zusammenfassung des kompletten Albums an.

MusikBlog: Vielen Dank für das Interview.

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