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Techno mein Sorgenkind

Elektronische Tanzmusik. Elek-Elek-Elek-Elek-Elek, scheißegal, einfach auf die Fresse. Am liebsten auf die von sogenannten Mainstream-DJs wie David Guetta. Warum? Weil er für mich die Personifizierung des akustischen Missbrauchs ist. Und eine wunderbare Subkultur zur kommerziellen Volksfest-Parade verkommen lässt.

Ich fang vielleicht mal vorne an. Im Jahr 2002 – eher per Zufall landete ich im verrotztesten Technoclub des Münsterlandes, das Fusion. Gänzlich ahnungslos und mit geliehenem Ausweis an den Türstehern vorbei führte der Weg durchs vermoderte Treppenhaus direkt in die Höhle des Löwen. Kalte, blaue Scheinwerfer, das Stroboskop verzerrt die Wahrnehmung und 160 bpm schlugen derart in die Magengrube, dass ich mir auf den Schock als erstes ein Wasser bestellen musste. DJ Rush und Marco Remus im legendären Battle an den Turntables, die Stunde Null meiner Liebe zur elektronischen Musik.

Zwei Jahre tanzte ich mir die Füße wund. DJ Amok, Sorgenkint, Chris Liebing, Monika Kruse sind die Namen der Schuldigen, die mein zentrales Nervensystem in den düsteren Kellern der Technoszene in Schutt und Asche legten. Es leuchteten Neonschilder mit Aufschriften, wie Stammheim, Butan, Lehmann über den Eingangsbereichen einer eigenen Welt mit eigenen Regeln. Vom Bänker bis zum Erntehelfer teilte man sich die Lines auf den feuchtklebrigen Kacheln der Club-Toiletten. Das Ecstacy war gut und billig, der Techno hart und die Stimmung ausgelassen, Partyreihen, wie Acidwars, Schranzgewitter und Tanz der Teufel machten ihren Namen alle Ehre.

Alles was um fünf Uhr morgens noch gerade stehen konnte, verließ gemeinsam die Tanzflächen, mit Sonnenbrillen und Kapuzen tief im Gesicht und verteilte sich auf diverse fremde Behausungen zum gemeinsamen Aftern. Bis zu vier Tage hatte man sich verschanzt, eng verschlungen auf Sofas gemümmelt, das Tageslicht ausgesperrt, Zahnbürsten geteilt und den eigenen, selbst erzeugten Klängen aus Schranz, Acid, Goa und House gelauscht und fachkundig bewertet – oder stumm vor die Wand gestarrt.

Die Technoszene glich einer Familie aus der Feder von Tim Burton. Veteranen auf dem Schlachtfeld vor den Boxentürmen wurden liebevoll mit Wasser, Kaugummis und Dextro Energy versorgt, während industrielle, dumpfe, kalte Maschinensounds den Körper förmlich zum beinahe hypnotischen Weitertanzen zwangen. Sitzen war einfach nicht möglich. Und dafür es auch irgendwie zu laut.

Man sollte gehen, wenn´s am schönsten ist und das habe ich- (kleiner Lobgesang aus der Herz- und Nierengegend) dann auch getan. Kein Techno, keine Clubs – artig die Schulbank drücken und erwachsen werden. In den vergangenen Jahren näherte ich mich dann einer ganz anderen Welt des Technos: Raves.

Und ich rede nicht von “Raves” á la World-Club-Dome, Tomorrowland oder ähnlichem Kommerz-Karneval, denen scheinbar der halbe Erdball verfallen ist und ganze Partybusse die Hochwasserhosen-Turnbeutel-Welpen in die Stadien und Fußball-Arenen karren, um die eifrig gesparten Taschengelder ihren Guetta-Idolen mit Fönfrisuren hinterher zu werfen. Ich meine kleine, privat organisierte Untergrund-Raves. Mit lokalen DJs, die die Ergebnisse ihrer noch jungen Karrieren präsentieren, wo man keinen Eintritt zahlt, gemeinsam Würstchen grillt und in den Morgenstunden die mitgebrachten Müllsäcke mit den letzten Beweisen der vergangenen Nacht befüllt.

Techno kann man fühlen. Es ist eine Kultur, eine Freiheitsbewegung, vielleicht sogar eine Lebenseinstellung. Aber sicherlich nicht dazu da, um die ohnehin schon überfüllten Taschen riesiger US-Unternehmen und Turntable-Poser noch weiter zu füllen und eine über Jahrzehnte gewachsene Subkultur massentauglich durch den Profitwolf zu drehen. Man muss keine Zeitreise unternehmen, um die Seele des Technos zu spüren und die damalige Szene ist definitiv nicht ohne Vorwarnung zu empfehlen, aber auch in der heutigen Zeit gibt es Künstler, die ihr Handwerk verstehen und nicht als Marionetten auf der Bühne herumturnen. Alle Farben, Kollektiv Turmstraße, Urbano sind nur ein Bruchteil dessen, was die heutige elektronische Musikwelt an Qualität zu bieten hat. Also holt doch bitte endlich jemand diesen Clown von der Bühne!

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