Unsere Kultur wurde quasi ausgelöscht – Nova Heart im Interview

Nova Hearts gleichnamiges Debutalbum sollte man seinen Freunden erst mal zur Blindverkostung vorspielen. Jede Wette, dass niemand darauf kommen wird, dass die Band aus Peking kommt. Abgesehen davon wäre ihr eigenwillig dunkler Elektro-Pop allerdings auch ein Ereignis, wenn er wie gewohnt aus Städten wie London, Berlin oder New York kommen würde.

Neben Bassist Bo Xuan und Drummerin Shi Lu, sorgt Sängerin und Keyboarderin Helen Feng dafür, dass der weiße Fleck, den die Volksrepublik bislang auf der internationalen Musiklandkarte bildete, nicht mehr ganz so weiß ist. Und Letztere hat schon eine recht bewegte Geschichte hinter sich, wie ihr in unserem Albumreview nachlesen könnt. Wir sprachen mit Helen Feng über das Album, MTV China, Zensur, die chinesische Debbie Harry und noch ein paar andere nette Themen.

MusikBlog: Du machst schon seit 2002 Musik und hast vor Nova Heart auch mit Free The Birds und Pet Consiracy Platten gemacht. Bands, von denen man hier eher kaum gehört hat. Was habt ihr für Musik gemacht?

Helen Feng: Mit Free The Birds ging es anfangs eigentlich querbeet durch alle Stile. Wir haben aus Spaß angefangen, Songs zu schreiben. Jeder von uns hatte einen anderen Geschmack, und deshalb wurden die Songs auch sehr unterschiedlich. Irgendwie hatten wir es dann geschafft, einen Plattenvertrag zu bekommen und der Producer, den uns die Plattenfirma gab, versuchte uns, in Richtung japanischen Pop-Punk zu trimmen. Das gefiel uns nicht, so dass wir mit unserem zweiten Album dann einen komplett anderen Weg eingeschlagen haben. Die Stücke waren länger und atmosphärischer. Fast so etwas wie psychedelischer Progrock mit Einflüssen von Dance-Rock und Beats. Irgendwie ging das auch schon ein bisschen in die Richtung von dem, was wir jetzt mit Nova Heart machen. Nova Heart ist in etwa so etwas wie die ausgereiftere Fassung von dem, was wir damals gemacht haben.

MusikBlog: Und Pet Consipiracy?

Helen Feng: Die beste Möglichkeit, die Musik von Pet Conspiracy zu beschreiben ist wohl Elektro-Punk. Ich hab‘ mich damals ziemlich für Elektronik interessiert. Le Tigre, Peaches und solche Musiker waren zu dieser Zeit für mich ziemlich wichtig. Die anderen standen mehr auf so etwas wie Crystal Castles. Live hatten wir auch noch ein paar Kabarett-Elemente eingebaut. Damit kamen wir gegen Ende des letzten Jahrzehnts anscheinend genau zur richtigen Zeit. Viele Leute hatten nicht erwartet, dass so etwas aus China kommen konnte und das gab uns auch die Möglichkeit, ein paarmal durch Europa zu touren.

MusikBlog: Hat das, was du vorher gemacht hast, auch Einfluss auf Nova Heart gehabt?

Helen Feng: Ich denke, das Nova Heart-Album ist eine Kombination, ein Resümee von allem, was ich vorher gemacht habe. Aber es steckt viel mehr von mir in ihm und auch viel mehr von den anderen Bandmitgliedern. Es ist reifer. Wir haben nicht mehr nach einem Sound gesucht, sondern wollten jetzt die komplette Geschichte erzählen. Und ab da wurde es eben interessant.

MusikBlog: Stimmungsmäßig liegt das Nova Heart-Album schon eher auf der dunklen, melancholischen Seite. ist das auch ein Abbild davon, wie ihr als Menschen seid?

Helen Feng: Bevor wir das Album aufgenommen haben, war es für uns, ehrlich gesagt, eine etwas düstere Zeit. Jeder in der Band hatte damals für sich mit ein paar Problemen zu tun und ging durch seine persönliche Krise. Sogar unser Produzent. Wir stellten daher einiges in Frage. Aber gleichzeitig fiel mir auch wieder eine Story ein, die mir schon seit fast zehn Jahren mal wieder durch den Kopf schwirrte. Und sie musste endlich raus. Als wir dann mit dem Album angefangen haben, wussten wir, dass es dafür die richtige Zeit war. Wir wollten sowieso kein klassisches Album machen.

MusikBlog: Es fällt schon auf, dass die Songs in der Abfolge etwas sehr Cinematisches haben. Man kann sie gut als eine Art Kopfkino an sich vorbeiziehen lassen.

Helen Feng: Es ist auch eigentlich eher ein Film als ein Album. Es hat einen Anfang und ein Ende wie ein Film. Wir wollten uns durch nichts einengen lassen, sei es durch die Vorgaben der Musikindustrie oder in Hinblick auf kommerzielle Überlegungen. Jeder von uns hatte das alles schon durchgemacht. Und deshalb wussten wir, dass man oft einige Kompromisse machen muss. Das wollten wir diesmal nicht.

MusikBlog: Wurde die Arbeit an dem Album dadurch leichter, dass ihr so etwas wie ein Konzept hattet?

Helen Feng: In der Kunst versucht man oft, ein verbindendes, übergeordnetes Thema zu finden, dass einen tragen kann. Es hilft, diese ganzen Gefühle und Bilder so zusammenzufügen, dass sie einen Sinn ergeben. Und bei uns gab es Vieles und sehr Unterschiedliches, das Bestandteil des Albums sein sollte. Denn es war schon so etwas wie eine emotionale Eruption, als wir die Songs geschrieben haben. Und das Grundthema eines psychologischen Thrillers machte dabei vollkommen Sinn.

MusikBlog: Du hast eben schon angesprochen, dass ihr ohne Rücksicht eure eigenen Vorstellungen verfolgt habt. Andererseits möchte man natürlich auch, dass die Musik gehört wird. Gab’s bei euch gar keine Zweifel oder war euch das nach dem Motto „Take it or leave it!“ egal?

Helen Feng: Nachdem wir fertig waren, waren wir zunächst unsicher. Wir fragten uns, ob wir mit der ganzen Arbeit, die wir in die Platte gesteckt hatten nicht vielleicht doch ein Risiko eingegangen waren. Ob das Ganze möglicherweise nicht doch etwas zu schwerverständlich und prätentiös geworden ist (lacht). Und ob es überhaupt für irgendjemand einen Grund gibt, das Album zu mögen. Ein Bekannter sagte mir „Denk nicht drüber nach! Oder schämst du dich etwa deswegen?“. Ich antwortete „Nein! Natürlich nicht.“. „Dann ist doch alles in Ordnung“. Irgendwie war das ziemlich befreiend.

MusikBlog: China ist natürlich ein riesiges Land, aber über seine Musikszene ist hier relativ wenig bekannt. Wie sind die Bedingungen für eine professionelle Indie-Band?

Helen Feng: In den letzten Jahren sind ein paar große Festivals entstanden. Und das hat schon ein paar Impulse gegeben. Viele Leute interessieren sich inzwischen für das, was musikalisch im Land passiert. Wir spielen auf vielen Festivals und inzwischen hat sich auch eine gute Infrastruktur für Touren entwickelt, so dass man sich sein Publikum auch live erspielen kann.

MusikBlog: Du hast in einem anderen Interview mal gesagt, dass, wenn man in China Indie-Musik macht, es so sei, als würde man ein Stück weißes Papier beschreiben. Empfindest du es wirklich als kompletten Neuanfang für eure Musikszene?

Helen Feng: Das war so der Stand vor ca. zehn Jahren. Unsere Kultur wurde quasi ausgelöscht. Sie war fast komplett außer Takt mit dem, was in den westlichen Kulturen passiert ist. Und wenn etwas zu uns gelangt ist, dann haben wir es durch unsere eigene Erfahrung und Prägung betrachtet und wahrgenommen. Es war unsere eigene Interpretation und wir haben es für uns umgearbeitet. Inzwischen haben aber schon einige Leute auf dieses Papier geschrieben. Und die Einträge werden immer besser und sind kein Kindergekrakel mehr.

MusikBlog: Gibt es auch so etwas wie bürokratische Hemmnisse? Zum Beispiel Zensur? Und ist sie für dich schon mal zum Problem geworden?

Helen Feng: Es gibt eigentlich andere Sachen, worüber wir uns Sorgen machen können. Aber es gibt eben bestimmte bürokratische Dinge, wie eben die Zensur. Es ist ein Prozedere, dass man erledigen muss. Aber es gibt auch eine Menge Möglichkeiten, sie zu umgehen. Unsere Musik fordert einen sowieso eher psychologisch heraus. Sie ist keine offene Propaganda für oder gegen etwas. Wir brüllen auf der Bühne jetzt nicht „Brennt alles nieder!“. Von daher haben wir auch kein Problem mit der Zensur. Davon abgesehen glaube ich auch nicht, dass es gut wäre, alles niederzubrennen.

MusikBlog: Kann man denn überhaupt als Musiker oder Band eine politische Veränderung bewirken?

Helen Feng: Selbst wenn eine Regierung nicht die beste ist, Anarchie ist noch schlechter. Man muss bewirken, dass sich der Staat verändert und ihn in die richtige Richtung drängen. Ihn zu zerstören, führt nur dazu, dass andere Leute eine Chance bekommen, noch schlimmere Sachen zu tun. Ich glaube nicht, dass man dadurch etwas bewegen kann, in dem man als Band etwas über Rebellion und Zerstören brüllt. Das ist unreifer Kinderkram. Das ist mehr ein Schrei nach Aufmerksamkeit, als das Suchen nach einer wirklichen Lösung.

MusikBlog: Vor der Musik warst du als VJ von MTV China auch schon ziemlich bekannt. Aus der westlichen Perspektive betrachtet, klingt MTV China schon etwas exotisch. Was wurde dort für Musik gespielt?

Helen Feng: Es war ziemlich öde. Eigentlich Popmusik, mit der ich nichts zu tun haben wollte. Viel Mandopop aus Taiwan, was so ziemlich die Popmusik mit den wenigsten Eiern ist, die man sich überhaupt vorstellen kann. Im Vergleich dazu ist die Musik von Miley Cyrus fast schon maskulin. Ich bin kein großer Fan von asiatischer Popmusik. Es ist alles viel zu glatt poliert. Wirklich absolut geisttötendes Zeugs. Aber ich will damit auch nicht sagen, dass ich was gegen Popmusik habe. Es gibt ziemlich guten Pop in der Welt.

MusikBlog: In China wirst du auch schon mal gerne als die chinesische Blondie bzw. Debbie Harry bezeichnet. Ich kann allerdings weder in eurer Musik noch in deinem Gesang oder deinem Aussehen einen Bezug dazu finden. Wie denkst du über diesen Vergleich?

Helen Feng: (lacht) Freut mich! Du bist immerhin einer der Leute, denen das aufgefallen ist. Jeder stellt gerne Vergleiche an und das ist eben eine dieser Bezeichnungen, die einem gegeben werden, weil sie so direkt funktionieren. Es macht es einfacher. Irgendjemand bringt es auf und es wird dann bis zum Erbrechen immer und immer wieder aufgegriffen. Kann sein, dass meine Show ein kleines bisschen Debbie Harrieesk ist. Ich bewundere sie wirklich, aber es ist wohl ziemlich offensichtlich, dass sie ein blondes Gift ist und ich nicht. (lacht). Ist jetzt auch nicht so, dass ich mich mit dem Vergleich unwohl fühle, aber er passt einfach nicht. Aber ok, wenn die Leute zu unserer Show kommen, werden sie es schon merken.

MusikBlog: Davon kann man sich im Oktober auch hier überzeugen. Denn nachdem ihr schon im Sommer auf Festivals wie Glastonbury gespielt habt, seid ihr dann wieder in Europa. Generell seid ihr mit Nova Heart anscheinend schon ziemlich viel rumgekommen.

Helen Feng: Wir sind schon zwei-, dreimal durch Europa getourt und haben in den letzten drei Jahren auch in den USA, Australien, Afrika und in Russland gespielt. Wir haben einen wundervollen Manager, der die Aufgabe hat, uns an die merkwürdigsten Plätze zu schicken. Deshalb waren wir schon an ein paar sehr interessanten Orten. (lacht) Das hatte auch einen Einfluss auf unsere Musik, besonders Afrika und Australien. Ein bisschen von dem, was wir da musikalisch aufschnappt haben, ist dann auch auf unserem Album aufgetaucht.

MusikBlog: Bei Nova Heart bist du wohl die erfahrenste und bekannteste von euch Dreien. Bist du dadurch in der Band auch so etwas wie der Boss? Oder wie ist euer Verhältnis zueinander?

Helen Feng: Ich würde mich nicht als Boss bezeichnen. Ich bin mehr wie eine Mum. Ich muss den anderen immer sagen, wann sie im Bus sein müssen und so etwas. (lacht) In unserer Beziehung gibt es Zeiten professioneller Ruhe, die immer mal wieder von emotionalem Drama gefolgt werden. Für gewöhnlich wird das allerdings durch jemand verursacht, der nicht in der Band ist. Lass es mich so sagen, wir sind eben alle recht empfindliche Typen.

MusikBlog: Vielen Dank für das Interview.

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