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Turbostaat – Abalonia

Deutschland, Anfang 2016. Ratlosigkeit, Frustration, Polarisation. Ursachen viele, Lösungen keine.

Was jetzt eskaliert, hat Marten Ebsen, Songschreiber von Turbostaat, schon weit vorher erkannt und mit der stoischen Ruhe des Nordmanns gründlich durchdacht, bevor er den Bandkollegen seine Gedanken zu dieser Entwicklung unterbreitete. Gemeinsam trieben sie seine Ideen voran, versuchten die indifferente Stimmung, die sich wie eine Glocke über das Land gelegt hat, in Noten und Worte zu fassen. Am Ende des Prozesses steht die bisher vielleicht wichtigste Turbostaat Platte “Abalonia”, aufgenommen im altehrwürdigen Hansa-Studio in Berlin.

Erzählt wird die Geschichte von Frau Semona, die ihr stillstehendes Einerlei aus Funktionieren und Resignation verlässt, um einen alternativen Ort zum Leben zu suchen. Vorbei an all denen, „Die Arschgesichter“ haben führt der Weg, der Kompass steht auf Richtung “Abalonia”. Erzählt wird die Story im Stil einer Punk-Oper. Dass Punk für Turbostaat aus mehr als drei Akkorden besteht, war schon auf den Vorgänger-Alben zu hören, ihre Interpretation davon geht auf dieser Platte noch weiter.

Opener „Ruperts Gruen“ schält sich zunächst als wutschnaubender, zweistrophiger Protest-Hammer aus der Box, bevor sich im Feedback-Gewitter ein Da-Capo ankündigt und eine Furche für das Folgende in die Gehörgänge schneidet. Dem Konzept des nicht-standardisierten Songwriting bleiben Turbostaat im Verlauf des Albums treu. Selten folgt ein Track dem anderen im Entwurf, die Strophe/Refrain Formel wäre bei dem komplexen Anliegen, das transportiert werden will, auch keine Hilfe.

Natürlich gibt es mit „Totmannknopf“ das kurze Brett, es gibt aber so viel zu sagen, dass die Songs regelmäßig die fünf Minuten Marke knacken. Die Gitarren gehen forsch voran, Schlagzeug und Bass reihen sich ein, manchmal klingt es ein wenig wie Mutter, oft wie Abwärts in ihren besseren Tagen. Die Musik strotzt vor Kraft, selbst das gebremste „Wolter“ entwickelt reichlich Druck.

Sänger Jan Windmeier singt/spricht/schreit, die dysphorischen Texte erreichen präzise Momente wie z.B. in „Der Wels“, bleiben aber weitestgehend auf einer Metaebene. Sie leben vom Konkreten im Abstrakten und vom Abstrakten im Konkreten, verschachteln sich, lösen sich auf. Aber bei allem Zorn und Resignation: „moderne Märchen rühren zu Herzen“ wie es in „Der Zeuge“ heißt.

Schwerer Stoff, nebulös wie ihr Cover, ambitioniert im Anliegen, nie überbeladen oder sich in selbstgefälligen Weisheiten gefallend, trotz des allgegenwärtigen „Geistschwein“ nicht pauschal verurteilend. Die Protagonistin läuft derweil ins Ungewisse: „Und sie ging denselben Weg weiter, nur weiter/Vielleicht trifft man sie in Abalonia“.

Da sicher eine größere Anzahl Desillusionierter dorthin unterwegs ist sollte sie sich etwas beeilen. Sonst sind auch da die Grenzen dicht. Es gilt jedoch: „Alles ist besser als der Tod.“

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