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Für schlüpfrige Texte bin ich nicht mehr jung genug – Stereo Total im Interview

Seit mehr als zwei Jahrzehnten steht das Berliner Electroclashduo Stereo Total für gediegenen Aberwitz, der sich nicht zu ernst nimmt, aber auch nicht mickrig macht in seiner Verspieltheit. Das 12. Studioalbum „Les Hormones“ ist da keine Spur seriöser, gar schlechter – im Gegenteil: Die singende Schlagzeugerin Françoise van Hove, besser bekannt als Cactus, wird geradezu autobiografisch und verarbeitet an der Seite ihres alten Weggefährten Hartmut Richard Friedrich Ziegler alias Brezel Göring bei aller Heiterkeit auch ernste Seiten ihres Lebens zwischen französischem Ursprung und deutscher Wahlheimat. Allzu trocken wird das aber, keine Sorge, natürlich dennoch nicht. Ein Gespräch mit wundervollem Akzent.

MusikBlog: Françoise, in der Ankündigung zu eurer neuen Platte steht, Stereo Total hätten nie an irgendwelchen „Pop-Scheiß“ geglaubt.

Françoise: Das stimmt. Aber nur, wenn es sich um kommerziellen Pop-Scheiß handelt, dieses durchproduzierte Hightech-Zeug, bei dem es vor allem ums Verkaufen geht. Perfektion tötet den Underground und jeden Trash. Ich glaube an den Pop, aber dafür muss er eigenartig sein, nicht unbedingt besonders verkäuflich oder sonstwie angesagt. Trotzdem waren und sind Stereo Total auf ihre Art immer modern.

MusikBlog: Als ihr mit Angie Reed und San Reimo das Album „Juke-Box-Alarm“ gemacht habt, wart ihr sogar fast stilbildend für die elektronische Disco jener Tage, in der ihr euch Ende der 90er angenehm zwischen ulkigem Pop und humorlosem House positioniert hat.

Françoise: Deshalb wollte es am Anfang wirklich keiner rausbringen. Viele meinten damals, was ist denn das für eine alberne Scheiße?! Mais bon – schließlich haben wir doch ein Label gefunden, und wenn ich mir heute ein paar unserer alten Stücke anhöre, denke ich, die kann man sich wirklich gut anhören. Das klingt weder alt noch unmodern, geschweige denn albern.

MusikBlog: Trotzdem klingt auch die neue Platte oft nach musikalischem Dada. Wie ernst sollte man das nehmen?

Françoise: Bitte nicht zu ernst, aber auch nicht nur leicht. Manche Themen werden ja nur auf leichte Art vorgetragen, handeln aber von den ernsten Dingen des Lebens. Ich versuche da, die Waage zu halten.

MusikBlog: Nehmen wir das Auftaktstück „Zu schön für dich“.

Françoise: Da geht es darum, wie sich Mädchen heutzutage für ein seltsames Schönheitsideal zurichten und quälen, nur um vielleicht „Germany’s Next Top Model“ zu werden. Das finde ich ungeheuer traurig und habe dieses Lied geschrieben; nicht, um eine lustige Geschichte zu erzählen. Trotzdem darf es natürlich ironisch, unterhaltsam, drollig klingen. Ich möchte gern als amüsante Sängerin wahrgenommen werden, habe aber durchaus den Ehrgeiz, dass man meinen Texten etwas anderes als Pointen entnimmt. Deshalb hab ich auf der letzten Platte auch über Frauen in der Musik geschrieben, die die Männerwelt ringsum eigentlich nur stören. Ich habe mir darum vorgenommen, ein Handbuch für Mädchen zu schreiben, die eine Band gründen wollen. Das kenne ich ja noch aus meiner eigenen Anfangszeit.

MusikBlog: Überhaupt sind deine Texte offenbar öfter als man meint autobiografisch oder?

Françoise: Teils, teils. „Good night, bad Morning“ zum Beispiel handelt davon, aufzuwachen und einen Typen neben sich im Bett zu finden, an den man sich nicht erinnert. Das ist mir selbst mal passiert, als ich noch jung war. Ein Schockerlebnis, das ich in dem Lied verarbeite. Manchmal benutze ich also eigene Erlebnisse, bleibe aber immer ein wenig distanziert. Ich würde nie darüber singen, dass ich gerade wirklich Liebeskummer habe. Das ist mir zu privat.

MusikBlog: So ganz öffentlich erscheint mir „Halt deine Kerze gerade“ aber auch nicht, in dem es um deine katholische Jugend geht.

Françoise: Schon. Es geht allerdings gar nicht so sehr um Religiosität, sondern Körperhaltung. Meine Mutter war sehr streng damals, in der Hippiezeit, wo Jugendliche wie ich immer bloß schlaff herumgehangen haben. „Halt deine Kerze gerade“ war da ein Spruch, den ich oft von ihr gehört habe.

MusikBlog: Oje, ich hab damit – gerade weil das Stück gleich nach dem S/M-Song „Labu Hotelu“ kommt – irgendwas Sexuelles assoziiert…

Françoise: (lacht laut) Nein, nein, nein – das ist ganz seriös gemeint. Und in „Labu Hotelu“ ist der Aspekt des Quälens wie in „Halt deine Kerze gerade“ viel bedeutender als irgendwas Sexuelles; deshalb stehen die Stücke so nah beieinander. Ein Glück, dass meine Mutter kein Deutsch kann (lacht noch lauter)… Ich glaube, für schlüpfrige Texte bin ich nicht mehr jung genug.

MusikBlog: Wenn man sich dadaistische Bands wie Schnipo Schranke, Die Heiterkeit oder HGichT anhört – lassen die ihre Urahnen Stereo Total eher alt aussehen oder geben die euch neuen Schwung?

Françoise: Also faktisch sehen wir, verglichen damit, vielleicht alt aus, aber ich habe da überhaupt keine Komplexe. Und wenn ich mir unser Publikum ansehe, wo die Leute teilweise in zweiter Generation stehen, muss ich mich erst recht nicht alt fühlen. Wir machen stur unser Ding und die Leute können sich das anhören oder es lassen. Und wenn ich mir die Bands, die du genannt hast, anhöre, habe ich doch das Gefühl, wir hätten in gewisser Weise Einfluss auf sie gehabt, mit einfachen Mitteln anspruchsvolle Musik machen.

MusikBlog: Wie lang macht ihr das denn noch, 23 Jahre nach eurer ersten Single?

Françoise: Ich habe jedenfalls nicht vor, bald in Rente zu gehen. Eine meiner Lieblingssängerinnen ist Brigitte Fontaine, die in Deutschland leider kaum jemand kennt. Sie ist fantastisch, bestimmt fast 80 und trotzdem mögen sie auch die Kids. Wir machen weiter, bis sich kein Schwein mehr für uns interessiert.

MusikBlog: Vielen Dank für das Interview.

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