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Das Klavier hat mir eine neue Welt eröffnet – Kevin Morby im Interview

Kevin Morby hätte keinen besseren Titel für sein drittes Soloalbum finden können. Nichts umschreibt die Stimmung auf „Singing Saw“ besser als eine singende Säge, mit der man als Instrument wunderschöne, ätherische Klänge erzeugen kann, die als Werkzeug aber auch für Gewalt und Zerstörung steht. Zwischen diesen beiden Extremen bewegen sich die neun neuen Songs des ehemaligen Bassisten von Woods und Sänger von The Babies, der den spröden Americana-Sound des Vorgängers „Still Life“ mit Streichern, Bläsern und Chören aufpoliert und so sein bisher vielseitigstes Werk schafft. Wir sprachen mit Kevin Morby über den Wechsel von der Gitarre ans Klavier, Rastlosigkeit und nächtliche Spaziergänge als Inspiration.

MusikBlog: Du hast „Singing Saw“ nicht wie üblich mit Hilfe deiner Gitarre, sondern einem Klavier geschrieben, das die Vorbesitzer in deinem neuen Zuhause in Mount Washington zurückgelassen haben. Wie sehr hat das den Schreibprozess verändert?

Kevin Morby: Das Klavier hat mir eine ganz neue Welt eröffnet, weil ich es bisher nie wirklich gespielt habe. Die Gitarre war dagegen schon immer mein Hauptinstrument, das kann manchmal auch langweilig sein. Selbst wenn ich die gleichen Akkorde auf einem Klavier spiele, die ich auch auf einer Gitarre spielen könnte, fühlt es sich für mich neu und aufregend an.

MusikBlog: Und hast du während des Schreibens darüber nachgedacht, „Singing Saw“ als Klavieralbum zu veröffentlichen – also nur mit deinem Gesang und Klavierbegleitung?

Kevin Morby: Dafür müsste ich erst viel besser werden. Wenn ich irgendwann das Klavierspielen richtig beherrsche, könnte ich mir das gut vorstellen. Auf „Singing Saw“ gibt es ja immerhin zwei Songs, bei denen ich zu Klavierbegleitung singe.

MusikBlog: Deine neue Heimat Mount Washington hat das Album auch in anderer Hinsicht beeinflusst. Der Vorgänger „Still Life“ handelte von Rastlosigkeit, „Singing Saw“ davon, nach Hause und zur Ruhe zu kommen.

Kevin Morby: Zum ersten Mal seit vielen Jahren habe ich wieder ein Zuhause, nachdem ich den größten Teil der Zeit davor auf Tour oder auf Reisen verbracht habe. Das hat mir außerdem ermöglicht, in mich zu gehen und über die vorherigen Jahre nachzudenken. Insofern stimmt es, dass ich mit meinem neuen Album zur Ruhe gekommen bin.

MusikBlog: Aber „Singing Saw“ handelt ja nicht nur von diesen Momenten der Ruhe. Gleich die erste Single „I Have Been To The Mountain“ klingt wütend und wurde von der Ermordung Eric Garners inspiriert. Würdest du das Stück als Protestsong bezeichnen?

Kevin Morby: Ich selbst würde es eigentlich nicht in diese Kategorie einordnen, auch wenn ich die Bezeichnung nun schon häufig in Zusammenhang mit dem Stück gehört habe. Ich hatte zumindest nicht den Anspruch, einen Protestsong zu schreiben, als ich an „I Have Been To The Mountain“ arbeitete. Ich wurde lediglich von diesem Ereignis inspiriert.

MusikBlog: Für das Musikvideo zu „I Have Been To The Mountain“ hast du bereits zum zweiten Mal mit einem Tänzer und Performancekünstler zusammengearbeitet – nach Clare Kelly in „Dancer“ nun Nathan Mitchell. Fasziniert es dich, wie diese Tänzer deine Musik interpretieren?

Kevin Morby: Absolut. Mit Künstlern zu kollaborieren, deren Arbeit man schätzt, gehört für mich zu den besten Dingen am Musikerdasein. In diesem Fall sind es auch noch Künstler, die meine Musik um etwas bereichern, was ich selbst nicht leisten könnte.

MusikBlog: Regisseur Phillip Lopez und Nathan Mitchell haben ja bereits einen deiner Songs für ein Performance-Video verwendet. Bist du so auf sie gestoßen?

Kevin Morby: Genau. Es war Zufall, dass ich das Video überhaupt entdeckt habe, weil sie mich nicht gefragt hatten, ob sie den Song verwenden dürfen. Tatsächlich hat den Clip sogar mein Vater entdeckt und mir geschickt. Ich war nicht sauer, aber schon ein wenig genervt, dass sie mich nicht als Künstler genannt hatten. Aber vor allem war ich überwältigt von dem Video und froh, jemanden gefunden zu haben, mit dem ich zusammenarbeiten wollte.

MusikBlog: Von der Wut des Songs „I Have Been To The Mountain“ ist bei Nathan Mitchells Performance nichts mehr zu spüren. Hat dich seine Interpretation überrascht?

Kevin Morby: Nicht unbedingt, ich fand sie aber von Anfang an wunderschön. Regisseur Phillip Lopez hat mir erzählt, dass er während eines Krankenhausaufenthalts Zeuge davon wurde, wie in dem Bett neben ihm eine Person verstarb und er anschließend das Gefühl hatte, dass er die Seele des Verstorbenen durch das Zimmer tanzen sehen konnte. Er nähert sich dem Thema Tod auf eine eher ungewöhnliche Art und Weise, denn natürlich ist das ein tragisches, trauriges und düsteres Ereignis, aber es hat auch etwas Befreiendes.

MusikBlog: Du hast dich für dein Album von nächtlichen Spaziergängen durch deine neue Nachbarschaft inspirieren lassen. Entstand auch das Albumcover auf diesen Spaziergängen?

Kevin Morby: Ja, meiner Meinung nach gibt das Foto perfekt die Stimmung dieser Spaziergänge und auch des Albums wider. Die Landschaft wirkt friedlich und idyllisch und zur gleichen Zeit auch geheimnisvoll und unheimlich.

MusikBlog: Dieser Kontrast steckt ja auch im Titelsong „Singing Saw“, bei dem dich die singende Säge plötzlich jagt und dabei Bäume und Pflanzen zerstört.

Kevin Morby: Die Idee zu diesem Song kam mir tatsächlich während der Spaziergänge. Ich habe keinen Schimmer, wie ich darauf kam. Ich mag zwar den Klang einer singenden Säge als Instrument, aber ich hatte nie ein besonderes Verhältnis zu ihr. Deshalb kann ich auch nicht erklären, warum ich das Album so genannt habe. Vielleicht weil mir der Klang der beiden Worte „Singing Saw“ in Kombination gut gefällt.

MusikBlog: Die Instrumentierung und die Arrangements fallen etwas opulenter aus als auf „Still Life“. Hattest du diesen größeren Sound schon im Hinterkopf, als du die Songs am Klavier schriebst?

Kevin Morby: Auf jeden Fall. Schon bei den ersten Demo-Aufnahmen mit Gitarre und Klavier hatte ich eine grobe Vorstellung davon, wie die Songs später klingen sollten und welchen Part die Streicher oder Bläser übernehmen würden.

MusikBlog: Einige Songs wie beispielsweise „Water“ spielen mit dem Gegensatz zwischen deiner Stimme und dem Gesang der Background-Sängerinnen, was mich häufig an die frühen Werke von Leonard Cohen erinnert.

Kevin Morby: Das liegt daran, dass seine Musik tatsächlich einen großen Einfluss auf mich hat. Ich bin ein Fan seines Live-Albums aus den 70ern, wo er auf ganz ähnliche Weise von weiblichen Background-Sängerinnen begleitet wird. Auch Bob Dylan hat manchmal so gearbeitet. Vielleicht liegt der Reiz darin, dass beide nach traditionellen Maßstäben nicht unbedingt schöne Gesangsstimmen haben und der Kontrast deshalb stärker auffällt. Diese Leonard-Cohen-Platte hat aber auch über diesen Aspekt hinaus „Singing Saw“ stark beeinflusst.

MusikBlog: Wir haben darüber gesprochen, dass du in Mount Washington zur Ruhe gekommen bist. Andererseits sind deine Songs auch immer wieder von Reisen inspiriert – auf diesem Album zum Beispiel „Dorothy“ über eine Reise nach Portugal. Brauchst du diese Eindrücke, um kreativ sein zu können?

Kevin Morby: Mir fällt es viel leichter zu schreiben, wenn ich reise. Gerade heute Morgen habe ich beispielsweise einen Song geschrieben, obwohl ich todmüde bin und mich ein Jetlag plagt. Wenn ich die Nacht nicht schlaflos in diesem Hotelzimmer verbracht hätte, wäre der Song nicht entstanden. Andererseits hat mich die Landschaft, durch die mich meine nächtlichen Spaziergänge geführt haben, ebenfalls sehr inspiriert. Ich glaube, dass ich immer und überall etwas finden kann, was meine Kreativität anregt. Das kann eine Reise sein oder eben die Umgebung um mein Zuhause. Allerdings brauche ich immer ein gewisses Maß an Veränderung und Bewegung, damit das auch so bleibt. Ich weiß nicht, ob das auf alle Künstler zutrifft, aber ich benötige diese frischen Impulse und Eindrücke.

MusikBlog: Vielen Dank für das Interview.

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