Wenn sich andere Väter am Abend in den Hobbykeller zurückziehen, um mit der Modelleisenbahn einige Runden zu drehen, schreibt Ben Bridwell lieber neue Songs und nimmt diese in seinem improvisierten Studio auf. Seit seine Familie nach der Geburt der vierten Tochter die Band Of Horses auch zahlenmäßig überflügelt hat, ist es für Bridwell gar nicht so einfach, seine Rollen als Frontmann des Quintetts und als Vater und Ehemann unter einen Hut zu bringen. Von diesen Schwierigkeiten handeln die zwölf Songs von „Why Are You OK“ immer wieder, dem ersten Album der Band Of Horses in vier Jahren. Doch nicht nur im familiären Umfeld gab es Neuerungen, auch das musikalische Personal von „Why Are You OK“ birgt Überraschungen. So konnte die Band Jason Lytle von Grandaddy als Produzent gewinnen, der bisher nur seine eigenen Projekte produzierte, J. Mascis von Dinosaur Jr. singt auf „In A Drawer“ und auch der befreundete Rick Rubin hat wieder seine Finger im Spiel. Wir sprachen mit Ben Bridwell über die Doppelbelastung als Vater und Musiker, die Zusammenarbeit mit Jason Lytle und glückliche Zufälle.
MusikBlog: Im Gegensatz zu den vorherigen Alben hast du „Why Are You OK” nicht an einem einsamen Ort, sondern in einem improvisierten Studio zuhause geschrieben. Warum hast du dich nicht erneut in die Isolation zurückgezogen?
Ben Bridwell: Das war gar nicht meine Entscheidung, mir blieb eigentlich nichts anderes übrig. Es handelt sich auch nicht wirklich um ein Studio, sondern um einen Raum, der vor allem die Feuchtigkeit der Luft in South Carolina von dem Equipment fernhalten soll. Ich musste meinen Schreibprozess ändern, weil meine Familie seit dem letzten Album gewachsen ist – ich habe vier Töchter. Das gibt mir nicht mehr den Luxus, mich einfach für eine Woche zurückzuziehen. Schon ein paar Bier mit Freunden werden da schwierig. Ich versuche meiner Frau zu helfen, wo ich kann. Gerade weil wir so oft auf Tour sind. Deshalb wollte ich zum Schreiben nicht weg und habe auch gemerkt, dass ich das gar nicht zwangsläufig muss.
MusikBlog: Das hat sich auch auf deine Texte ausgewirkt, zumindest scheint es, als behandeln diese stärker dein Alltagsleben als Vater und Ehemann.
Ben Bridwell: Das hängt aber auch damit zusammen, dass es mir mittlerweile schwerfällt, diese Alltagsgeschichten für meine Songs zu abstrahieren oder zu verallgemeinern. Ich habe immer versucht, diese Geschichten mit cleveren Wortspielen oder komplexer Sprache zu verstecken, um den Hörer nicht mit meinem Alltag zu langweilen. Ich konnte Songs irgendwann nicht mehr zu Ende schreiben, weil ich so mit dem Gedanken beschäftigt war, was wohl die Hörer darüber denken. Deshalb musste ich lernen, offenherzig und geradeheraus zu schreiben. Was auch immer dabei herauskommt.
MusikBlog: Du hast in der Vergangenheit diese abgeschiedenen Orte auch gewählt, weil du dich nicht selbstbewusst genug fühltest, um in Gesellschaft zu schreiben. War das auch zuhause ein Problem?
Ben Bridwell: Manchmal schon. Ich fühle mich immer noch wie ein Tourist in Sachen Songwriting, weil ich erst recht spät in meinem Leben damit begonnen habe. Ich habe immer das Gefühl, dass ich ganz viel aufholen muss. Ich habe zuhause versucht, immer dann die lautesten Sachen wie Drums aufzunehmen, wenn die Kinder in der Schule waren, leisere Sachen wie Gesang in der Nacht – um niemanden zu stören. Aber wenn ich in meinem Studio mit Kopfhörern singe, hört man draußen nur den Gesang ohne jede Begleitung. Das macht mich immer ein bisschen nervös, weil es komisch klingt, wenn man die Stimme so nackt hört. Wenn ich in solchen Momenten Schritte im Haus oder die Toilettenspülung hörte, dachte ich sofort: Mist, jemand hat mich gehört, wie ich hier jaule!
MusikBlog: Interessieren sich deine Töchter eigentlich für deine Musik?
Ben Bridwell: Ich glaube schon, dass sie zumindest ein gewisses Interesse daran haben und dass mein Beruf auch ein kleines Mysterium für sie darstellt. Denn ich rede nicht mehr so viel über meine Musik, ich suche nicht mehr Rat oder auch Zuspruch. Wenn eine neue Single rauskommt oder ich in einer TV-Show spiele, erfahren sie das oft erst kurzfristig: Oh, das macht unser Dad also. Damit verdient er sein Geld. Sie kriegen schon etwas von meiner Band mit, ich versuche es aber aus unserem Familienleben raus zu halten.
MusikBlog: Wann hast du begonnen, an den Songs für „Why Are You OK“ zu arbeiten?
Ben Bridwell: Viele dieser Songs sind ziemlich alt, ein Song stammt sogar noch aus der Zeit von „Infinite Arms“, das 2010 herauskam. Ich kann auch nicht sagen, wann ich mit der Arbeit an diesem Album begonnen habe, weil ich eigentlich immer schreibe. Ich erinnere mich noch an die Woche, als unser letztes Album „Mirage Rock“ erschien, da habe ich schon auf Tour wieder an Songs gefeilt. Ich schreibe nicht für ein Album, sondern weil ich Spaß daran habe. Irgendwann hatte ich genug Songs beisammen, die raus mussten. Das war der Beginn von „Why Are You OK“. Ich habe dann die Jungs angerufen und gesagt, dass ich genug interessantes Material zusammen habe, und vorgeschlagen, dass man sich mal trifft.
MusikBlog: Du hast außerdem schon zu Beginn dieses Prozesses mit eurem Produzenten Jason Lytle von Grandaddy Kontakt aufgenommen. War er auch in den Schreibprozess involviert?
Ben Bridwell: Absolut. Ich glaube, Jason hat zwischenzeitlich vergessen, dass „Why Are You OK“ kein Grandaddy-Album ist. Er ist schon ein ziemlicher Kontrollfreak. Viele Demos hatten schon recht ausgereifte Arrangements, dennoch hat er sich stark eingebracht. Als das Album schon fast fertig war, bat ich ihn, den Part für J Mascis zu schreiben, er spielt Gitarre auf dem Album, viele kleine Synthie-Sachen. Im Grunde war er ein sechstes Bandmitglied.
MusikBlog: Jason hat bislang ja ausschließlich seine eigene Musik produziert. War es für ihn auch manchmal schwierig, sich an diese neue Rolle zu gewöhnen und für eine andere Band zu arbeiten?
Ben Bridwell: Ja, das war für ihn und uns manchmal nicht ganz leicht. Er hatte die Aufgabe und Verantwortung, eine Band auf ein neues Level zu hieven. Er musste mit einer Band arbeiten, die wie eine kleine Familie funktioniert, bei der jeder ähnlich denkt und tickt. Gleichzeitig sollte er diese Denkweise ein wenig aufbrechen. Das waren keine leichten Herausforderungen. Das verlangt viel Feingefühl, weil er ständig entscheiden muss, welche Kämpfe er austrägt – und vor allem, wie er sie austrägt. Das ist ein Lernprozess für jeden Produzenten und nicht viele beherrschen das wirklich.
MusikBlog: Ihr habt den größten Teil des Albums 2014 in Stinson eingespielt und seid dann nach Woodstock, New York, um in neuer Umgebung und winterlicher Atmosphäre aufzunehmen. Hat das die Atmosphäre von „Why Are You OK“ sehr verändert?
Ben Bridwell: Ich glaube schon. Zu diesem Zeitpunkt steckten wir ein wenig in einer Sackgasse, wir hatten noch ein paar Songs, mit denen wir nicht fertig wurden. Weil es in Woodstock aber so eisig kalt war und wir nicht vor die Tür gehen konnten, waren wir dort sehr konzentriert und produktiv. Auch die Ruhe dieses Ortes hat das Album inspiriert – auch wenn ich nicht sagen könnte, wie genau.
MusikBlog: Ihr habt erst nach den Aufnahmen einen Vertrag bei Interscope unterschrieben. Fühltet ihr euch deshalb freier oder war diese Unsicherheit auch belastend?
Ben Bridwell: Ein bisschen von beidem. Ich kann natürlich nicht beurteilen, wie es gelaufen wäre, wenn wir während der Aufnahmen schon bei Interscope unter Vertrag gestanden hätten. Diese Erfahrung habe ich noch nicht gemacht. Aber auch zuvor bei Columbia haben wir eigentlich nie Druck von außen gespürt. Zum jetzigen Zeitpunkt weiß man, wie Band Of Horses klingen und was man von uns erwarten kann. Deshalb glaube ich kaum, dass ein Label versuchen würde, das zu ändern. Wenn ich darüber nachdenke, wäre es wohl recht ähnlich gelaufen, denn alle Menschen bei Interscope, mit denen ich bisher zu tun hatte, waren sehr engagiert und unterstützten uns auf jede Weise.
MusikBlog: In jedem Fall hattet ihr auf diese Art sehr viel Zeit, um an „Why Are You OK“ zu arbeiten. Hättest du dir manchmal eine feste Deadline gewünscht, um dich nicht zu verzetteln?
Ben Bridwell: Ich neige immer dazu, Sachen zu oft zu durchdenken, das passiert mir auch mit einer Deadline. Im Prinzip war es so sogar noch schlimmer, weil ich noch mehr Material angehäuft habe, das mir im Nacken saß, und weil ich mir immer wieder Auszeiten von den Aufnahmen genommen habe, in denen ich dann ins Grübeln kam. Ich bin aber dennoch sehr dankbar für diese Möglichkeit, weil ich mich eben doch nicht verzettelt habe, sondern alles ziemlich glatt lief.
MusikBlog: Neben Jason Lytle taucht Rick Rubin als Executive Producer in den Credits des Albums auf. Fungierte es als Mentor oder was genau war seine Rolle?
Ben Bridwell: Bei Rick ist es nie ganz einfach zu sagen, was genau sein Beitrag war. Für mich war er vor allem ein Hörer, dem ich bedingungslos vertraue, ein Quell der Inspiration und der Hoffnung, wenn es mal nicht so lief.
MusikBlog: Dieses Album erscheint ziemlich genau zehn Jahre nach eurem Debüt „Everything All The Time“ und vereint Elemente der vier bisherigen Alben. Würdest du sagen, dass „Why Are You OK“ gleichzeitig eine Rückschau und ein neues Kapitel für Band Of Horses ist?
Ben Bridwell: Das kann schon sein, aber ehrlich gesagt bin ich der letzte Mensch, der das beurteilen kann. Es gibt auf „Why Are You OK“ definitiv vertraute Themen und Motive, die auch auf den Vorgängern auftauchen. Weil aber auch so viel neue Elemente darin stecken, fällt es mir schwer, die Parallelen zu den alten Alben zu sehen. Das überlasse ich daher lieber den Hörern.
MusikBlog: Der Titel des Albums entstand, als deine Tochter auf einem Handy rumspielte und die Autokorrektur daraus dann Why Are You OK“ machte. Das Foto auf dem Cover ergänzt den Titel, weil das Paar an einem wunderschönen Strand steht und dennoch nicht zufrieden wirkt. War das die Intention dahinter?
Ben Bridwell: Zunächst gab es keine Intention, weil auch das Cover ein zufälliger Schnappschuss war, der sich dann aber perfekt einfügte. Wenn man nicht mit offenen Augen durch die Welt geht und darauf achtet, was um einen herum passiert, verpasst man so viele Sachen. Wenn ich nicht dieses Paar gesehen hätte, das vermutlich meditiert, hätte ich kein Foto machen können. Wenn ich einfach ignoriert hätte, was meine Tochter da mit Hilfe des iPhones kreiert hat, wäre es nun vergessen. Stattdessen versuche ich, solche Momente immer festzuhalten und zu notieren, weil sie mir nützlich sein können. Mein einziger Beitrag war es, diese beiden Impressionen zusammenzubringen und zu erkennen, dass sie sich ergänzen. Aber eine eindeutige Intention hatte ich dabei nicht.
MusikBlog: Vielen Dank für das Interview.