Hätte die Viersäftelehre noch Konjunktur, Bruno Tenschert alias Der Herr Polaris wäre randvoll mit schwarzer Galle. Auf seinem Debütalbum „Drehen und Wenden“ sinnierte der Melancholiker 2011 zwischen Singer-Songwriter-Folk und Indierock mit sanfter Stimme über die dämmrigen Seiten des Lebens.
Danach – kam erstmal lange nichts. Tenschert arbeitete als Streetworker, Der Herr Polaris verschwand von der Bildfläche. Bis jetzt.
Mit „Mehr Innen als Außen“ ist er wieder da und hat in der Zwischenzeit ordentlich Strecke gemacht: Das zweite Album des Musikers aus Augsburg erscheint einige hundert Kilometer weiter nördlich beim Hamburger Kultlabel Grand Hotel Van Cleef und für den bekennenden GHvC-Fan Tenschert ist das, eigenen Angaben zufolge, auch schon der „größte Erfolg, den ich mit dieser Platte haben kann“. Bescheidenheit ist bekanntlich eine Zier, vor allem, wenn das Glas immer eher halb leer ist.
Dass Tenschert nicht plötzlich die Euphorie für sich entdeckt hat, war erwartbar und steht seiner Musik nach wie vor bestens zu Gesicht: Statements wie „Den Kopf voll mit Leere, so möcht‘ ich mal sein“, nüchterne Beobachtungen à la „Deine Wege werden immer weniger meine Wege“ und Bestandsaufnahmen wie „Mein Herz schlägt zurück, aber es schlägt doch noch“ gibt Der Herr Polaris mit Samtstimme dutzendweise zum Besten.
Dabei bedient er sich einer simplen Sprache, die er in kunstvolle Metaphern und Bilder packt. Wenn er dabei auch manchmal etwas sehr kryptisch wird (wie in „Uns verbindet mehr, als uns verbindet“), meistens erreicht er sein Ziel einer melancholischen, aber dezent hoffnungsvollen Stimmung.
Die wird passend ergänzt von einem, im Vergleich zum Debüt, deutlich ausgebauten und vielseitig eingesetzten musikalischen Fundament: Zu Akustik- und E-Gitarren gesellen sich Casio-Synthsounds, schwebende Vibraphonklänge, krautrockige Motorik und effektvoll gesetzte Seltsamkeiten wie ein Flügelhorn im Opener „Bier meiner Jugend“.
Je nach Laune hüllt Der Herr Polaris seine Meditationen in eine Wolke aus schwebenden Klängen ein, intensiviert sie mit wohlkalkulierten Indierock-Ausbrüchen (mustergültig in „Deine Wege“) oder begleitet seinen Gesang mit spartanischen Mitteln: in „In Anlehnung an“ etwa mit einer einsamen Akustikgitarre und sakralem Hall.
„Mehr Innen als Außen“ hält so in mehrfacher Hinsicht, was der Titel verspricht: Der Herr Polaris liefert poetische Innenansichten eines Melancholikers und zugleich den perfekten Soundtrack, um demnächst dem Herbstregen zuzuschauen – von drinnen aus, selbstverständlich.