DJ Mad darf endlich wieder scratchen. Und beweist mit seinen Technics-Tricks in “Ahnma”, der ersten Single des vierten Beginner-Studioalbums, direkt seine Liebe zum Detail. Hier entdeckt man gegen Ende Samples aus Dr. Dre´s Selbstbeweihräucherung “Still D.R.E.” wieder. “They say rap´s changed, they wanna know how I feel about it”, lautet eine Zeile aus dem Evergreen des Rap-Moguls.
Passt gewissermaßen auch zu den Beginnern, die wie der G-Funk-Begründer und Eminem-Entdecker einen überschaubaren Veröffentlichungszyklus an Studioalben vorgelegt haben, dafür aber zum zentralen Referenzpunkt für den deutschsprachigen Rap geworden sind – und sich nun nach dreizehn Jahren zurückmelden.
DJ Mad, Denyo und Eißfeldt inszenieren auf “Advanced Chemistry” erst einmal ihren Klassikerstatus. “Es war einmal…” erzählt humorvoll von den Beginner-Anfängen und rezitiert einmal mehr diverse Passagen vom Meilenstein “Bambule”, wenn Delay im Refrain von der Zeit erzählt, als man Zeuge war, wie sein Trio ohne Ziel losfuhr. Das ist durchaus romantisch, sicherlich auch einen Hauch nostalgisch. Vor allem, wenn DJ Mad in “Rap & Fette Bässe” Tribut an den Rap-Klassiker “Reifemonster” von Afrob und Ferris MC zollt, fühlt man sich ins Ende der Neunziger zurückversetzt.
Doch die Beginner wären nicht die Beginner, wenn sie sich nicht der Gegenwart annähmen. “Rock On” ist 2016 schon längst zur Phrase verkommen, das spontane Losfahren im Big Data-Zeitalter immens schwieriger geworden, von den Talent-Scouts sowieso alles kolonialisiert. “Und während ich mit der virtuellen Welt Arm drücke, schmeiß ich meine Zukunft von der Daten-Autobahnbrücke” gehört mit zu den cleversten Passagen, die Denyo in “Spam” als “Opfer der Generation Klicks” und “Digital-Neanderthaler” über die Lippen kommt.
Generell haben Eißfeldt und Denyo es geschafft, in sublimer Form gesellschaftskritische Kommentare in das Album einzubetten. Jene findet man auch in “Nach Hause” wieder, auf dem es heißt: “Die Anti-Antifa demonstrieren gegen ihre Putzfrauen aus Sansibar” – nur eine weitere solcher Zeilen, die man in den vergangenen Jahren im deutschsprachigen Rap vermisst haben dürfte.
So eine Dimension ist aber ohnehin Pflicht auf einer Platte, die nach der wichtigsten Rap-Crew der Neunziger benannt wurde, die wiederum die rassistischen Anschläge auf Asylheime in Rostock-Lichtenhagen thematisierte und deutschsprachigen Rap so nicht nur etablierte, sondern vor allem politisierte. Insbesondere Torch, der Kopf von Advanced Chemistry, wird auf dem Album immer wieder gehuldigt – und spricht auf der Album-Variante von “Ahnma” sogar das Intro.
Da ist man schon fast gewillt, die fragwürdigen Pro-Deutschquote-Statements von Eißfeldt zu verzeihen, die vor über zehn Jahren nicht nur im linken Popspektrum für starkes Kopfschütteln sorgten. Die wirken auch heute noch absurd, vor allem, wenn man sich daran erinnert, dass es Eißfeldt war, der nicht wollte, dass man seine Lieder singt.
Das Dilemma kennt auch Gzuz. Was tun, wenn heutzutage jeder Depp Diggah sagt? Dieselbe Fragestellung thematisierte Samy Deluxe damals in seinem “Füchse”-Part: “Eigentlich ist es Wahnsinn, Lieder wie diese rauszubringen, wenn damit garantiert ist, dass alle anderen bald auch so klingen.”
Auch den Beginnern ging es in ihrer Vita immer darum, sich der Krake des Mainstreams zu entziehen, sich vor Bravo-Rappern im Fuchsbau zu verstecken, Hip-Hop nicht zum Pop verkommen zu lassen – zumindest, wenn man der Geschichtsschreibung in “Es war einmal” Glauben schenkt. Das ist den Solokarrieren der Beginner sicherlich nicht immer gelungen, aber der gute Wille zählt schließlich auch was.
“Advanched Chemistry” versammelt viele Stimmen – ehemalige Weggefährten wie Samy Deluxe und Dendemann, aber auch aktuelle Rap-Umkrempler wie Haftbefehl, wenngleich das Feature mit dem Babo nicht gerade zu den stärksten Tracks des Albums gehört, das sich insgesamt mit diversen Reggae- und Funkverweisen am facettenreichen Sound abarbeitet, den es in den besten Jahren auf dem von Eißfeldt gegründeten Label Eimsbush zu hören gab.
Was aber ohnehin viel mehr zählt ist, dass sich das Trio mit Gzuz und Haftbefehl auch Rapper in das Boot geholt hat, die einen anderen Szene-Hintergrund als den friesisch-herben hinter sich haben. Gleichzeitig beweisen die Beginner in den Tracks immer wieder die Königsdisziplin Humor, die im Battle-Rap auch heute noch oftmals zu kurz kommt.
Dabei steckt das Album natürlich voller Hommagen an die Hansestadt Hamburg – dem Ort, an dem für das Trio alles begann. Deswegen hört man vermutlich auch automatisch “Fähre”, wenn Delay das Wort “Privatsphäre” rappt.
Mit “Advanced Chemistry” liefern die Beginner den Beweis, dass man seine Roots nicht verraten muss, um anschlussfähig zu bleiben – und ganz nebenbei eventuell ihr bisher stärkstes Album ab.