Ich mache einfach, was ich am besten kann – All Diese Gewalt im Interview

Mit seiner Postpunk-Band Die Nerven brachte es Max Rieger Anfang des Jahrzehnts trotz des verstörenden Sounds zu sperrigen Lyrics zu erstaunlicher Popularität. Schon kurz darauf begab sich der Sänger und Gitarrist aus Stuttgart mit seinem Projekt All Diese Gewalt auf Solopfade, die er ganz allein am Computer beschreitet. Auch sein zweites Album fügt dem Kanon experimentellen Alternatives dabei Noten hinzu, die bei aller Verstiegenheit auch für den Massengeschmack hörbar sind. Ein Gespräch über Popmusik, Selbstermächtigung, Existenzialistenklischees und was er mit den 160 Tracks macht, die beim Entstehen von „Welt in Klammern“ auf der Strecke geblieben sind.

MusikBlog: In der offiziellen Selbstbeschreibung deines Soloprojektes sagst du, mit All diese Gewalt Popsongs erschaffen zu wollen, die keine Wünsche übrig lassen. Ist das das übliche Klappentextgeschwafel oder tatsächlich Teil deiner Philosophie?

Max Rieger: (lacht) Ich weiß gar nicht, ob ich das wirklich so gesagt habe, und zunächst mal ist es auch vermessen zu behaupten, man könne mit irgendetwas alle Wünsche befriedigen. Von daher wollte ich wohl allenfalls den Antrieb beschreiben, es im Vergleich zu den meisten anderen Popsongs, die mir ziemlich plump vorkommen, wenigstens zu versuchen. Denn Pop lässt insofern meist keine Wünsche offen, als er die Mehrheit nicht verschrecken möchte.

MusikBlog: Aber warum verwendest du denn überhaupt die alles breitwalzende Chiffre des Popsongs zur Beschreibung deiner Musik?

Max Rieger: Findest du nicht, dass es Pop ist?

MusikBlog: Wenn man Pop als Konglomerat verschiedenartiger Stile auffasst, die mit Ziel größtmöglicher Eingängigkeit gesammelt und verdichtet werden, eher weniger.

Max Rieger: Okay…

MusikBlog: Pop versucht sich unter Auslassung sperriger Elemente an größtmöglicher Breitenwirkung, was ich All Diese Gewalt nicht unterstelle.

Max Rieger: Ich schon! Pop ist, simpel formuliert, Musik mit dem Potenzial, populär zu sein. Im Gegensatz zu vielem, was explizit unter der Klammer Pop läuft, heißt das allerdings nicht, es allen recht machen zu wollen. Obwohl ich auf dem maximal denkbaren Abstraktionslevel grundsätzlich jede Art von Musik machen könnte, entscheide ich mich ja ganz bewusst dagegen, diese Grenzenlosigkeit auch auszuleben. Meine Musik darf und soll ja gehört werden, da empfände ich es fast schon als arrogant, solche zu machen, die Menschen mit schlichtem Zugang ausschließt. Für mich ist Pop daher vor allem ein Prozess, der am Ende etwas völlig anderes hervorbringen kann als ursprünglich gedacht. Aber grundsätzlich hab ich alle Möglichkeiten der Welt.

MusikBlog: Nur nicht im Rahmen deiner Band Die Nerven oder? Sonst hättest du „Welt in Klammern“ ja auch mit der machen können.

Max Rieger: Die Konzepte sind erstmal so grundverschieden, dass beides zusammen unmöglich wäre. Die Nerven sehen sich vor allem als Live-Band, die auf der Bühne funktionieren soll; All diese Gewalt hingegen ist ein Projekt mit mir allein am Computer. So gesehen ist das eine nicht der Ersatz des anderen.

MusikBlog: Sondern?

Max Rieger: Mir fällt grad kein treffender Begriff ein.

MusikBlog: Vielleicht eine Art Selbstermächtigung, aus der formellen Enge des Bandzusammenhanges auszubrechen, um sich kreative Freiräume zu erobern?

Max Rieger: An der Selbstermächtigung ist durchaus was dran. Andererseits mache ich schon weit länger Musik, als es Die Nerven gibt, nur nicht in so großem Rahmen. All diese Gewalt gibt es ja auch schon seit 2013 und existierte zuvor bereits unter verschiedenen Namen, auch meinem eigenen. Beides hat immer parallel existiert.

MusikBlog: Ist das „Solo“ am „Projekt“ dann so zu verstehen, dass es keine Mitmusiker gibt?

Max Rieger: Es gibt nur mich am Rechner. Auf der Tour im Oktober wird es schon eine Band geben, aber eingespielt wurde alles von mir alleine. Das war allerdings kein Dogma, sondern hat sich erst ergeben, als ich alles selbst geregelt hatte. Ich mache das in der Tat gern allein, weil ich mich vor niemandem rechtfertigen muss außer dem Publikum. Das gefällt mir.

MusikBlog: Die Atmosphäre deines zweiten Soloalbums ist wie beim ersten ein vielspuriges Grundrauschen in düsterem Moll, verstärkt durch Drones und dräuenden Bass. Entspricht das deiner Stimmungslage im Entstehungsprozess?

Max Rieger: Durchaus. Das Album kehrt mein Inneres der damaligen Zeit, die Gefühle, die ich hatte, nach außen. So gesehen ist die Stimmungslage sehr bedeutsam für meine Musik.

MusikBlog: Ist sie also stimmungsabhängig?

Max Rieger: Immer!

MusikBlog: Wenn du mal für eine Weile richtig dufte drauf bist, könnte also auch ein fluffiges Elektroswingalbum rauskommen?

Max Rieger: Dafür müsste ich über einen längeren Zeitraum wirklich daran glauben, solch ein Album machen zu können, würde dabei aber in einer elendigen Reflexionsschleife früher oder später auf den Trichter kommen, dass Elektroswing wohl nicht das Richtige für mich ist. Was ich mache, entspricht mir meisten schon sehr adäquat.

MusikBlog: Darf man aus der tendenziellen Melodramatik all deiner Veröffentlichungen dann schließen, dass du grundsätzlich ein eher trübsinniger Typ bist?

Max Rieger: Weil ich noch nie in den Kopf eines anderen reingeschaut habe, kann ich das beim besten Willen nicht beantworten. Bis vor gar nicht allzu langer Zeit dachte ich ja, es geht in jedem Gehirn ab wie in dem meinen. Das ist aber zum Glück nicht so.

MusikBlog: Die Assoziation, du seist ein ketterauchender Existenzialist mit Rollkragenpulli, stimmt also gar nicht?

Max Rieger: Ich hab weder Rollkragenpullover noch ständig schlechte Laune. Das ist ein hübsches, aber falsches Klischee. Ich mache einfach, was ich am besten kann.

MusikBlog: Hast du denn schon andere Sachen ausprobiert und gemerkt, das kann ich nicht?

Max Rieger: Fast alles sogar. Und dabei hat sich gezeigt, dass sich das, was jetzt passiert, am richtigsten anfühlt. Daran arbeite ich mich nun ab.

MusikBlog: So sehr, dass du 160 Songs beisammen hattest, von denen du dann allerdings nur zehn aufs neue Album gepackt hast. Warum so viele, warum so wenige?

Max Rieger: 160 Tracks in zwei Jahren finde ich jetzt gar nicht so furchtbar viele, zumal vieles davon vorm Fertigstellen abgebrochen wurde. Dass die Auswahl in der vorliegenden Reihenfolge auf der Platte ist, empfinde ich sogar als Selbstverständlichkeit, das lief fast von selber, um den roten Faden darauf aufrechtzuerhalten.

MusikBlog: Lässt sich dieser Faden benennen?

Max Rieger: Auf gar keinen Fall! Gefühle lassen sich selten benennen. Die Songs sind eigentlich eher eingerastet, als bloß auf dem Album gelandet.

MusikBlog: Und die restlichen 150 sind nur Datenmüll?

Max Rieger: Gewissermaßen. Die hatten beim Entstehen ihre Existenzberechtigung und taugen vielleicht noch als Bonussongs einer kleinen Sonderedition. Ansonsten ist es Ausschussware. Außerdem hab ich längst wieder begonnen, fürs nächste Album zu komponieren. Da sind auch schon wieder 50 Stück beisammen.

MusikBlog: Also kein Trennungsschmerz?

Max Rieger: Doch, das fällt mir schon schwer. Aber ich weiß halt, dass ich’s besser kann. Anders ausgedrückt: Durch die Erkenntnis, es besser zu können, lerne ich. Ich trauere den Songs nicht nach.

MusikBlog: Und vielleicht landen Sie irgendwann ja als „unveröffentlichte Tracks“ auf einem Posthum-Album des weltberühmten Popstars Max Rieger.

Max Rieger: (lacht) Genau. Immerhin.

MusikBlog: Vielen Dank für das Interview.

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