Als Christa Päffgen alias Nico 1988 nach einem Fahrradunfall auf Ibiza verstirbt, verliert die Popkultur eine ihrer Ikonen: Als Model, Musikerin, Schauspielerin und Dichterin prägte sie die Ästhetik von Gothic und Dark Wave maßgeblich mit und verewigte sich und ihren Gesang populär auf dem Debütalbum von The Velvet Underground.
Fast 30 Jahre später erscheint mit „Killer Road“ eine ungewöhnliche Hommage an Nico und ihre Lyrik. Das Soundwalk Collective, ein multinationales Musik- und Performance-Trio, holte sich dazu die Unterstützung einer weiteren Ikone: Patti Smith, Grande Dame des Punk, leiht der atmosphärisch dichten Würdigung ihre markante Stimme. Ihre Tochter Jessi Paris Smith wirkt dazu als Instrumentalistin mit.
2014 kam „Killer Road“ bereits als Live-Performance unter anderem in Berlin auf die Bühne; dass drei Tracks des nun veröffentlichten Albums Konzertaufnahmen sind, trägt diesem Umstand Rechnung.
Die klangliche Rezeptur ist schnell umrissen: Über Soundflächen, die das Soundwalk Collective aus elektronischen Ambient-Klängen, akustischen Instrumenten, field recordings aus der Nähe von Nicos letztem Wohnort auf Ibiza und Samples zusammenwebt, rezitiert Patti Smith Gedichte und Songtexte aus Nicos Feder. Dass daraus ein packender, manchmal meditativer, bisweilen geradezu unheimlicher Trip entsteht, verdankt „Killer Road“ dem Händchen aller Beteiligten für Spannungsaufbau und gekonnte Reduktion.
Man höre sich nur als Beispiel „Saeta“ an: Flirrende, gläserne Klänge bilden ein fragiles Fundament, das von schnarrender Elektronik und zerhackten Beats immer wieder durchbrochen wird, während sich im Hintergrund akustische Gewitterwolken andeuten.
Patti Smith rezitiert, raunt und flüstert; die Zeile „Everything you have is mine“ wiederholt sie mit stetig zunehmender Dringlichkeit, wobei sie stellenweise in den an- und abschwellenden Klangwellen zu ertrinken droht. Die ersehnte Eskalation in Sturm, Blitz und Donner bleibt der Track zum Glück schuldig.
„Fearfully In Danger“ beginnt mit brandenden Wellengeräuschen, zu denen sich Aufnahmen von Nicos Markenzeichen-Instrument, dem Harmonium, gesellen (tatsächlich soll es sich beim verwendeten Instrument um Nicos Original handeln, das Patti Smith Ende der 1970er aus einem Pfandleihhaus retten konnte). Im Unterschied zu den anderen Tracks auf „Killer Road“ ist Smith hier tatsächlich singend zu hören: Sie interpretiert den Song als beklemmende Folk-Ballade, die mit dem 1985 veröffentlichten Original auf Nicos letztem Album „Camera Obscura“ nicht viel gemeinsam hat, aber in ihrer schwebenden Langsamkeit eine ganz eigene Düsternis verströmt.
So ist „Killer Road“ trotz ähnlicher Herangehensweise weniger ein Coveralbum als eine poetische Reinterpretation, die sich die Freiheit herausnimmt, den Originalvertonungen manchmal in völliger Missachtung ihrer Gestalt zu begegnen.
Kein Song macht das deutlicher, als „My Only Child“, dessen Stimmengewirr-Samples und Synth-Drones von Nicos folkloristischer A-Capella-Fassung kaum weiter entfernt sein könnten.
Trotzdem wirkt „Killer Road“ nie respektlos: Vielmehr bringt das Album wieder und wieder noch ungenutztes Potenzial der Ursprungstexte zum Vorschein.