„Was fehlt Ihnen denn, Mr. Keogh?“ möchte ich am liebsten den Amber Run-Sänger nach dem ersten Hören der neuen Platte fragen. Die vier Briten aus Nottingham haben mit “For A Moment I Was Lost” eine Indie-Platte in bester Stürmer und Dränger-Manier vorgelegt. Emotio statt ratio.
Alles scheint dieser Tage fragil und brüchig. In dem Spannungsfeld zwischen bodenlosem Fall und dem unbedingten Glauben an die Liebe bewegt sich das zweite Album von Amber Run. “Insomniac”, der Opener, ist eine getriebene Herzrasen-Nummer mit elegischem Klavier und einem gequält gesungenen “I was lost”.
Dass das Fühlen im Mittelpunkt steht, spiegelt sich auch im Cover des Longplayers wieder, auf dem ein Tintenklecks-Bild zu sehen ist, was in der klassischen Psychoanalyse zur Persönlichkeitsdiagnostik verwendet wird. Ich sehe auf dem Cover zwei sich beinahe küssende Menschen, deren Kinne sich berühren, ihre Lippen aber noch nicht.
Vielleicht ist das Cover die Visualisierung von “Perfect”? “Perfect” ist ein Lied, in dem es um Zufallsbegegnungen und Liebe auf den ersten Blick geht. Es ist ein Gedankenspiel um Schönheit und Attraktivität, es endet ganz dröhnig-dramatisch. Der Sänger schreit “I want to be perfect” in das Gitarrengewitter.
Ohne Instrumente kommt “Haze”, die einzige a cappella Nummer, auf dem Album aus. Bruchstellen machen sowohl Menschen wie auch das Leben interessant: Um diese unplanbaren Wankelmütigkeiten und die daraus entstehenden Folgen dreht sich “Fickle Game”.
“I`m a loser, I`m a failure” heißt es in “White Lie”. Ja, natürlich musste ich sofort an den König der Creeps, Thom Yorke von Radiohead, denken. Amber Run atmen durch jede Pore Radiohead – was aber nun wirklich keine schlechte Referenz ist.
Mit weiten Gitarren und “I hope you find somebody new”- Wünschen verabschiedet sich die Band mit “Wastelands”, dem letzten Song auf dem Album.
Die zwölf Tracks auf “For A Moment I Was Lost” sind cineastische Indierocknummern. Ob und wann der graue Nebel sich lichtet, ist unklar. Aber genauso fühlt sich Verlorensein eben an.