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Ich bin besessen von Rhythmen und Grooves – Leif Vollebekk im Interview

Zwischen Leif Vollebekks neuem Album „Twin Solitude“ und dem Vorgänger „North Americana“ liegen vier Jahre und ein Sinneswandel des kanadischen Singer/Songwriters. Nach der Veröffentlichung seines Debütalbums „Inland“ begab sich Leif Vollebekk auf eine dreijährige Odyssee, um in Kanada, den USA und Frankreich nach der perfekten Aufnahme der zehn Songs von „North Americana“ zu suchen. Bei alldem Perfektionismus vergaß der in Ottawa geborene Sänger die Leichtigkeit und Lockerheit beim Musizieren, die er sich für sein drittes Album nun wieder antrainieren musste. Statt monatelang an Arrangements oder Textzeilen zu werkeln, ließ er die Songs ungefiltert und in Rekordzeit aus sich herausfließen, statt für perfekte Takes interessierte sich Leif Vollebekk plötzlich für Grooves. Wir sprachen mit ihm über die neue Obsession für Rhythmen, den Einfluss von Ray Charles und die Farbe der Musik auf „Twin Solitude“.

MusikBlog: Viele der Songs auf „Twin Solitude“ entstanden in sehr kurzer Zeit, weil es dir oft schwerfällt, länger an deinen Ideen zu feilen. Wirst du dann zu selbstkritisch?

Leif Vollebekk: Ich habe in der Vergangenheit festgestellt, dass Songs oft nicht wie ein zusammenhängendes Gebilde wirken, wenn ich daran zu lange arbeite. Dann muss ich die Einzelteile des Songs wie Zweige im Wald mühsam zusammensuchen und zusammensetzen. Am Ende habe ich einen Song, der an Frankensteins Monster erinnert. Es gibt auch Ausnahmen, also Songs, an denen ich lange gearbeitet habe und die sich dennoch wie ein natürlich gewachsener Körper anfühlen. Meistens habe ich dieses Gefühl aber bei den Songs, die in wenigen Minuten einfach so entstehen.

MusikBlog: Wartest du auf solche inspirierten Momente, in denen die Songs einfach zu dir kommen, oder arbeitest du dennoch täglich an neuem Material?

Leif Vollebekk: Diese Frage stelle ich mir selbst sehr oft. Soll ich einfach warten oder solange schreiben, bis es passiert? Früher habe ich alle meine Songs an einem Stück geschrieben, von der ersten bis zur letzten Zeile. Mir war gar nicht bewusst, dass das für einen Songwriter ziemlich ungewöhnlich ist. Doch dann habe ich an einigen Stücken länger gearbeitet und dabei aus den Augen verloren, dass Songs auch viel schneller und natürlicher entstehen können. Anschließend hatte ich wieder eine Phase, in der ich in einem Monat ungefähr zwanzig Songs geschrieben habe. Es war ein richtiger Schock für mich, wie leicht mir das Schreiben plötzlich fiel. Und gerade als ich dachte, es würde jetzt immer so weiter gehen, versiegte die Quelle. (lacht) Ich bemühe mich darum, geduldig zu sein und auf solche inspirierten Momente zu warten. Es bleibt mir auch gar nichts anderes übrig, denn ich kann es nicht erzwingen, einen guten Song zu schreiben.

MusikBlog: Hast du umgekehrt auch manchmal die Sorge, ein Song könnte nicht kunstvoll genug sein, wenn du nur wenige Minuten daran schreibst?

Leif Vollebekk: Seltsamerweise habe ich festgestellt, dass ausgerechnet die Songs, die ich in wenigen Minuten geschrieben habe, ausgefeilter und kunstvoller klingen als diejenigen, an denen ich lange arbeite. In ihnen stecken oft kleine Geheimnisse, die ich nie absichtlich hätte einbauen können. Wenn ich lange an einem Song schreibe, klingt das Ergebnis geplant und kalkuliert. Ich vergleiche solche Songs gerne mit Planstädten, die auch nie so beeindruckend und lebendig wirken wie natürlich gewachsene Städte mit ihren verwinkelten Gassen.

MusikBlog: Du sagst, du wartest auf Momente, in denen die Songs einfach zu dir kommen. Haben die zehn Songs deines neuen Albums deshalb kein übergreifendes Thema, sondern porträtieren verschiedene Momente deines Lebens?

Leif Vollebekk: Ja, ich glaube das hängt mit der Art zusammen, wie ich Lieder schreibe. Die Songs haben nur insofern ein gemeinsames Thema, als dass sie alle aus einer bestimmten Phase meines Lebens stammen und dass sie eben alle von meinem Leben handeln. Sie basieren auf wahren Begebenheiten und erzählen die Wahrheit – oder zumindest meine Version davon. Aber sie handeln von sehr unterschiedlichen Momenten, Stimmungen oder Erlebnissen.

MusikBlog: Und sie handeln von sehr unterschiedlichen Orten auf der Welt. Inspiriert es dich, als Musiker so viel zu reisen?

Leif Vollebekk: Auf jeden Fall, neue Orte und neue Gesichter sind sehr inspirierend. Gleichzeitig hilft es mir, dass es keinerlei Stimulus oder Ablenkung gibt, wenn ich wieder zuhause in meiner Wohnung bin. Dort bin ich dann alleine mit einem Klavier und einem Kaffee, erinnere mich an meine Reisen und schreibe darüber.

MusikBlog: Die zehn Songs auf deinem neuen Album „Twin Solitude“ basieren beinahe alle auf minimalistischen Drum-Grooves, die auf deinen beiden ersten Alben kaum zu hören waren. Woher kommt diese plötzliche Faszination für Rhythmen?

Leif Vollebekk: Die Songs meiner vorherigen Alben waren rhythmisch sehr frei, sie folgten keinem Groove. Ich hatte eine regelrechte Abneigung gegen einen regelmäßigen Puls in meiner Musik, ich wollte, dass sie elastisch und flexibel bleibt. Allerdings habe ich dann festgestellt, dass ich bei meinen Konzerten am meisten Spaß habe, wenn ich einen Song von Ray Charles covere. Und dieser Song hat einen sehr dominanten Groove. Ich habe also gemerkt, dass ich mich völlig grundlos gegen einen geraden Puls in meiner Musik gewehrt hatte. Jetzt ist es umgekehrt, ich bin geradezu besessen von Rhythmen und Grooves und mache mir Gedanken, was passiert, wenn man den Schlag auf die Snare ein wenig verzögert und das Tempo so verschleppt. Zuvor lag mein Fokus fast ausschließlich auf dem Gesang und den Texten, die Musik kam erst an zweiter Stelle. Jetzt bin ich davon überzeugt, dass man mit Snare und Kickdrum Emotionen kommunizieren kann, die über die Sprache hinausgehen. Das macht Musik ja gerade aus, dass man damit Stimmungen transportieren kann, die man mit Worten nicht fassen kann. Für eine Weile hatte ich das vergessen.

MusikBlog: Der letzte Song „Rest“ verzichtet dann aber wieder auf einen Groove, die Saxophone und die Orgel begleiten den Gesang wie der ruhige Atem eines Schlafenden.

Leif Vollebekk: Ich wünsche mir, dass jemand das Album hört, wenn er nach einem anstrengenden Tag vollkommen erschöpft ist. Der letzte Song entlässt ihn dann nicht nur sanft aus dem Album, sondern bestärkt ihn noch in seinem Gefühl: Ja, du bist müde, ruhe dich aus! Es wäre schön, wenn der Hörer während des Songs in diesem Übergangsstadium zwischen Schlaf und Wachzustand verharrt.

MusikBlog: Du hast erwähnt, wie wichtig der Song von Ray Charles für die Entstehung von „Twin Solitude“ war. Außerdem hast du vor der Arbeit an deinem dritten Album in einer Bar in Montreal einen ganzen Abend nur Coversongs gespielt. Lernst du viel über deine eigene Musik, wenn du die Songs anderer Künstler studierst?

Leif Vollebekk: Wenn du dir Musik von anderen Musikern anhörst, nimmst du höchstens zehn Prozent bewusst wahr. Wenn du dann den Text auswendig lernst und die Akkorde studierst, fühlt es sich an, als würdest du plötzlich in die Schuhe des Künstlers schlüpfen, seine Perspektive einnehmen. Und wenn du dann auch noch diese fremden Songs für ein Publikum spielst, gehst du mit den Songs eine Verbindung ein, die schwer zu beschreiben ist. Das ist das Tolle an Musik, sie lässt dich Emotionen spüren, die du selbst gar nicht erlebt hast. Dieser Abend in der Bar in Montreal war für mich sehr wichtig, weil ich die Cover mit einer Band zusammen spielte und wir beispielsweise „Tom Traubert’s Blues“ von Tom Waits mit einem harten Backbeat spielten. Das war der Moment, an dem ich merkte, dass ich auch meine eigene Musik so spielen möchte.

MusikBlog: Die Aufnahmen zu deinem letzten Album entwickelten sich zu einer echten Odyssee, weil du in Montreal, New York und Frankreich nach der perfekten Aufnahme für jeden Song suchtest. Ist das auch der Grund, warum du deine Alben live auf Tape aufnimmst, um die Atmosphäre des Moments einzufangen?

Leif Vollebekk: Es gibt unendlich viele Gründe, warum ich auf Tape aufnehme. Ich muss mich immer selbst bremsen, wenn ich darüber rede, weil ich sonst stundenlang die Gründe dafür aufzähle. (lacht) Bei den Aufnahmen bin ich mit der Band im gleichen Raum, nehme dort auch den Gesang auf. Es kann also nichts nachträglich verändert werden. Ich muss vorher schon genau entscheiden, wie das Klavier klingen soll oder was der Schlagzeuger spielt. Der Vorteil von dieser Methode liegt darin, dass der Song bereits so klingt, wie er später auf dem Album klingt, wenn wir anschließend im Kontrollraum das Master-Tape hören. Ich erkenne also sofort, ob der Song so funktioniert, ohne wochenlang am Sound herumzubasteln. Deshalb sind viele Songs auf dem Album auch so schlicht arrangiert, weil ich gemerkt habe, dass man keine Overdubs mehr ergänzen muss, sondern sich die Songs schon in dieser minimalistischen Besetzung fertig anfühlen.

MusikBlog: Vor einiger Zeit hast du entdeckt, dass du Synästhet bist, also Töne in deiner Wahrnehmung mit Farben verknüpft sind. Hast du das Albumcover gewählt, weil sich die Musik auf „Twin Solitude“ für dich lila und blau anfühlt?

Leif Vollebekk: Das Foto für das Artwork hat mein Bruder ausgewählt, als ich ihm Fotos meiner Reisen gezeigt habe. Es war also seine Idee, ich hatte ursprünglich ein anderes Bild für das Artwork eingeplant. Aber als er es vorschlug, merkte ich sofort, dass die Aufnahme perfekt zur Stimmung des Albums passt. Wenn ich an die Musik auf „Twin Solitude“ denke, habe ich dieses Blau und Lila vor Augen. Nicht alle Songs klingen nach diesen Farben, aber die meisten bewegen sich für mich in diesem Farbspektrum.

MusikBlog: Vielen Dank für das Interview.

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