„Noise-Pop“. Was heißt hier Pop??
Sleigh Bells im Ü/G. 20:15h und nur 50 Leute da. Schade eigentlich. Der Support Promise Keeper fängt auf die Minute pünktlich an. Massiver, langhaariger, blonder Typ, leicht androgyn. Langweiliger Stampf-Techno eröffnet den Abend. Doch kaum fängt Promise Keeper an zu singen, befinden wir uns in der Wunderwelt der elektronischen Musik.
Irgendwie Nicht-Düster-Romantik Elektro-Wave mit Anleihen von Pet Shop Boys und David Bowie. Was wären wir Anfang der 90er nicht auf den Sound abgegangen. Einziger Gig in Deutschland, extra aus London rübergeflogen, bemüht sich Promise Keeper sehr und auch relativ erfolgreich. Dank fortgeschrittener Stunde und magerem Publikum nicht allzu lange, aber schlüssig in sich und seiner One-Man Show. Trotz aller Sympathie aber ganz klar nur der Opener.
Die Bühnenrückwand, normal dominiert von den Rasierklingen, besteht aus einer Wand fetter Marshalls. Seit Lemmy nicht mehr gesehen, ist das wieder modern? Jetzt wird es etwas voller, sie kommen aus allen Löchern.
Der Auftritt der aus Film und Fernsehen bekannten Schlittenglöckchen hat nichts von Schnee und Weihnachten. Vier blendende Strobes von hinten rauben das Augenlicht, die Massivität des Sounds das Gehör. Ab der ersten Sekunde gibt es ordentlich auf die Ohren. Tinnitus ist vorprogrammiert.
Die Bühne mittig klar dominiert von der quirligen Alexis Krauss in Straps-Strumpfhose, Spitzenoberteil und Lederjacke. Derek Miller hat sich zur Unterstützung einen zweiten Gitarristen mitgebracht. Beide gemeinsam erzeugen einen Gitarren-Donner, der seinesgleichen sucht. Konsequent unterlegt von ordentlich programmierten elektronischen Beats, die nur vorwärts kennen.
Alexis ist nicht zu bremsen und nie in Ruhe. Wild springend oder das Publikum animierend, es fühlt sich an wie auf großer Bühne. Der harmonische und poppige Sound der Platte verwandelt sich in mitreißendes Getöse mit unterschwelliger Urgewalt.
Der nette Hintergrundbeat der Retorte wird live nahezu gewalttätig und grenzt an akustische Körperverletzung. Die härtesten Stellen der Platte würden jetzt beruhigend wirken.
Das Licht steigert die Dynamik noch. Überwiegend von hinten kommend, kalte Töne, mal massive Strobes, dann wieder komplett dunkel. Sehen wird relativ, Hören nicht. Zwischendrin akustische Sequenzen oder reine Techno Passagen. Vermutlich zu Schonung der Publikumsherzen.
Alexis mit diabolischem Blick unter dem Pony-Bestandteil des Sound-Infernos. Lederjacke schon lange weggelegt, ignoriert sie jede gute Gesangs-Schule und legt ein paar Ebenen Aggression über die Aufnahmen.
Pop war gestern im Studio, auf der Bühne braucht es das wirklich nicht. Egal, ob melodischer Gesang oder knackiger Sprechgesang, immer mit Überdruck. Selten unterbrochen durch Verschnaufpausen. Immer tanzend, am Bühnenrand kniend, das Publikum anfeuernd, den Rücken zeigend oder im Publikum mit allen tanzend. Entgegen aller Klischees und trotz Strapsen und Spitze kein Objekt, sondern personifiziertes Selbstbewusstsein.
Starke Frau auf der Bühne, elektronische Gitarrenwände und Drumcomputer – da denkt man sofort an The Kills. Seit heute nicht mehr.