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Joy Wellboy – Live im Turmzimmer, Hamburg

Tourauftakt zur neuen Platte im Turmzimmer vom Uebel & Gefährlich von Joy Wellboy, oder besser Joy und Wellboy.

Die Mini-Bühne ist komplett dicht. Schlagzeug, Gitarre, zwei Bässe, zwei Keyboards, Unmengen Fußschalter und vier Gesangsmikros. Da bleibt maximal 1,3qm freier Boden. Und ich dachte, sie wären nur zu zweit.

Der Auftritt, wie nicht anders möglich, unprätentiös mitten durchs Publikum. Auf-der-Couch Gammel-Klamotte trifft Country Hemd mit Rosen. Die neue Wahlheimat Berlin macht sich bemerkbar und Joy daher alle Ansagen auf Deutsch. Plural-Singular Verwirrungen machen das liebenswürdig menschlich.

Sie beginnt seitlich am Keyboard, scheue Blicke aus den Augenwinkeln zum Publikum. Eingängiger Elektro-Pop zu Beginn von der neuen Platte. Entgegen deren Titel haben sie nur die Köpfe in den Sternen, von den Füßen in der Sch*** ist nichts zu fühlen.

Gemütliche Wohlfühlstimmung mit Niveau. Etwas intensiver und tiefgehender als die Aufnahme aber ziemlich frei von Komplexität. Leichte Steigerung, als Joy den Bass nimmt, genderspezifisch mit Unmengen Smileys, glitzernden Junikäfern und Schmetterlingen beklebt.

Mit gut 50 Leuten ist der Raum angenehm gefüllt. Rechts expressiver Ausdruckstanz (da hat jemand frisch Pulp Fiction geguckt), links wird wild geknutscht und hinten können alle französisch und singen begeistert mit. Entsprechend dem Stereotyp sind die Prosecco Gläser aus, dafür ist der Laden nicht aufgestellt. Gibt nur noch Prosecco auf Eis, das geht im Cocktail Glas.

Auf der Bühne tut sich langsam immer mehr. Knisternd intensive Blicke zeigen, dass die beiden nicht nur zusammen Musik machen. Da gibt einer dem anderen die Energie, über den Anfang des Gigs zu kommen.

Noch überwiegt elektronischer Sound, die Bewegung auf der Bühne zwischen den Gerätschaften wird immer quirliger und unübersichtlicher. Mit dem Rücken zum Publikum in der linken Hand die Gitarre, Rückkopplungs-Noise, die rechte Hand treibt den Takt am Schlagzeug. Kleine Pannen lösen die beiden souverän und mit Witz, sie machen das eindeutig nicht zum ersten Mal.

Mit dem Titelstück der neuen Platte ändert sich der Spin. Zwei Bässe sorgen für Intensität. Dazu Gesang, sonst nichts. Das ist echt anders als aus dem Studio. Als dann zur Mitte des Tracks die Elektronik dazu kommt, bleibt die Tiefe.

Danach “Voyage, voyage” von Desireless. Leichtes Gruseln bei der Ansage, die Welt brauchte nicht wirklich noch ein Cover. Faszinierend zuzuschauen dann, wie Wim eine Gitarrenspur nach der anderen sampled und dicht übereinander legt. Dann mit dem Bass und mit jedem Mikrofon. Rätsel gelöst, sie nutzen wirklich alles, was auf der Bühne steht, die Mikrofone haben unterschiedliche Effekte. Der Teppich ist gewebt und ab hinters Schlagzeug zum Finale. Das hat nichts mehr mit “Voyage, voyage” zu tun und ist echt gut, handwerklich wie klanglich.

Ab jetzt nur noch alte Stücke, dann letzter Track und runter von der Bühne. Wenn das so einfach wäre ohne Ausgang, also in der Not hinter dem Bühnenvorhang verstecken. Da sie da nicht gemeinsam reinpassen nach 30 Sekunden wieder da. Zugabe vorbei, Saallicht an, Saalmusik an, Publikum aber auch noch an.

Bei der Begeisterung hilft der Vorhangtrick nicht weiter. Also was nun, nichts geplant? Publikumswünsche erzeugen leichte Panik „Das haben wir seit Jahren nicht mehr gespielt. Hat von der Technik jemand eine Klammer für die Gitarre dabei?“. Erleichterung, es gibt auch erfüllbare Wünsche. Finaler Abgang dann leicht pikiert durch’s Publikum.

Vermeintlich seichter Elektro-Pop kann echt spannendes Handwerk sein, warum kriegen die zwei das auf Platte nicht so transportiert?

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