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Ich habe diesen Zustand erreicht – Cody ChesnuTT im Interview

Vor 15 Jahren veröffentlichte Cody ChesnuTT eines der ungewöhnlichsten Debütalben der jüngeren Popmusikgeschichte. Das 36 Songs starke, fast zweistündige Album „The Headphone Masterpiece“, das der in Atlanta geborene Musiker in seinem Schlafzimmer mit einem Vier-Spur-Gerät, einem Drumcomputer und zahllosen Instrumenten aufgenommen hat, hüpfte scheinbar wahllos von Soul zu Rock, von aufrichtigen Liebesliedern zu machohaftem Pimp-Geprahle, von liebevoll arrangierten Songs zu wild zusammengewürfelten Lo-Fi-Experimenten.

Dennoch gelang Cody ChesnuTT damit sogar ein Hit – zumindest über einen Umweg. Sein Song „The Seed“ wurde in der Version „The Seed (2.0)“ von The Roots zum Welterfolg. Daraufhin verschwand der Sänger aber für fast zehn Jahre von der Bildfläche und kehrte 2012 mit einem neuen Album und einem runderneuerten Sound zurück. Aufgenommen mit einer zehnköpfigen Band in den Royal Studios in Memphis, Tennessee und den SuPow Studios in Köln, orientierte sich „Landing On A Hundred“ stärker am klassischen Soul-Sound von Al Green oder Curtis Mayfield.

Sein neuestes Album „My Love Divine Degree“ ist nun der Versuch, diese beiden sehr gegensätzlichen Seiten seiner Musik zu vereinen – und ganz nebenbei auch noch die Menschheit zu retten. Wir sprachen mit Cody ChesnuTT über die Spiritualität von Musik, Aufnahmesessions mit Kanye West und seinen ungebrochenen Optimismus.

MusikBlog: Der Titel deines neuen Albums bezieht sich auf das religiöse Buch „The Aquarian Gospel Of Jesus The Christ“ von Levi H. Dowling aus dem frühen 20. Jahrhundert. Was genau ist ein „Love Divine Degree“?

Cody ChesnuTT: Das Buch versteht darunter einen Zustand, den man erreicht, wenn man seine Ängste überwindet und zu seinem bestmöglichen Selbst und zur höchsten Form der Liebe gelangt.

MusikBlog: Hast du diesen Zustand erreicht oder handelt dein drittes Album von der Suche danach?

Cody ChesnuTT: Ich glaube, dass ich diesen Zustand erreicht habe. Gleichzeitig ist das ein Prozess, der nie an sein Ende gelangt. Man kann immer weiter wachsen, weitere Dinge lernen, größer und größer werden.

MusikBlog: Nach deinem Debütalbum „The Headphone Masterpiece“ hast du dir eine zehnjährige Auszeit von der Musik genommen und dich stattdessen stärker deiner Familie gewidmet. War das die Zeit, in der du dein „Love Divine Degree“ erlangt hast?

Cody ChesnuTT: Absolut. Wenn du Kinder hast, lernst du, wie sich reine Liebe anfühlt, weil sie dir sie jeden Tag zeigen. Sobald du diese Liebe zulässt, reinigt sie dein Herz. Darum geht es beim „Love Divine Degree“ im Kern – dass du dein Herz läuterst und echte Liebe zulässt. Insofern war diese Phase des Familienlebens eine ganz wichtige Etappe auf meinem Weg zum „Love Divine Degree“.

MusikBlog: Auf deinem letzten Album waren deshalb auch viele Songs vom Leben deiner Schwester, deines Onkels und anderer Familienangehöriger inspiriert. Singst du auf „My Love Divine Degree“ erneut viel über deine Familie?

Cody ChesnuTT: Auch wenn die Songs nicht mehr so direkt von den Erfahrungen meiner Familie beeinflusst sind, geht es dennoch auch auf diesem Album vor allem um meine Familie. Denn die Liebe zu ihr inspiriert mich überhaupt erst dazu, Musik aufzunehmen. Am deutlichsten wird das auf „My Love Divine Degree“ mit dem Song „Always Sebrena“, der davon handelt, dass mich meine Kinder dazu motivieren, ein besserer Mensch zu werden. Die Idee zu dem Song kam mir, als ich meine Frau dabei beobachtete, wie sie durch den Garten spazierte. Es war ein so friedlicher und reiner Anblick, dass ich mir eine Steel Drum schnappte und eine einfache Melodie klimperte. Daraus ist dann der Song „Always Sebrena“ entstanden.

MusikBlog: Das Album beginnt mit den Zeilen „Anything could happen when the music is good.“ Ist Musik für dich ein spirituelles Erlebnis?

Cody ChesnuTT: Davon bin ich überzeugt. Für mich ist Musik immer eine durch und durch spirituelle Erfahrung, weil die Seele den Entstehungsort für jede Form der Musik darstellt. Außerdem war Musik in vielen Momenten meines Lebens eine heilende Kraft, die mich wieder aufgerichtet hat.

MusikBlog: Müssen Hörer ein ähnlich spirituelles oder religiöses Verständnis von Musik haben, um „My Love Divine Degree“ ganz erfassen zu können?

Cody ChesnuTT: Nein, sie müssen nur Menschen sein. Denn es geht auf dem Album ja darum, der bestmögliche Mensch zu werden – und das sollte das Ziel jeder Person sein. Als Mensch, der zu Emotionen fähig ist, kannst du auch meine Musik fühlen und eine Verbindung dazu aufbauen. Das gilt übrigens nicht nur für meine, sondern für jede andere Form von Musik.

MusikBlog: Das Album wurde von Anthony „Twilite Tone“ Khan produziert, den du 2014 bei einer Aufnahmesession für Kanye West in Bon Ivers Studio kennengelernt hast. Woran hast du gemerkt, dass ihr musikalisch gut harmoniert?

Cody ChesnuTT: Das passierte ziemlich schnell. Bei dieser Session waren ungefähr zehn Musiker im Studio, die Kanye eingeladen hatte, um an Songs zu arbeiten. Währen der drei oder vier Tage der Session spürten Twilite Tone und ich eine besondere kreative Chemie zwischen uns. Deshalb blieben wir anschließend in Kontakt und nahmen uns vor, zusammen an Musik zu arbeiten. Als ich ihn dann in New York besuchte, arbeiteten wir zusammen an einem seiner Tracks. In kürzester Zeit war der Track fertig, weil wir erneut sehr gut miteinander harmonierten. Also fragte ich ihn, ob er nicht auch mit mir an meinem neuen Album arbeiten möchte. So kam es zur Zusammenarbeit.

MusikBlog: Hat Kanye West das Material aus dieser viertägigen Session auf irgendeinem seiner Projekte verwendet?

Cody ChesnuTT: Das weiß ich gar nicht, weil wir dort an so vielen verschiedenen Ideen gearbeitet haben. Twilite und ich waren ungefähr an drei oder vier Songs beteiligt, allerdings habe ich keine Ahnung, ob diese in irgendeiner Form auf einem Album von Kanye gelandet sind.

MusikBlog: Diese Session fand 2014 in Wisconsin statt. Wann hast du anschließend begonnen, mit Twilite an deinem Album „My Love Divine Degree“ zu arbeiten?

Cody ChesnuTT: Es fällt mir schwer, das zu beantworten, weil ich eigentlich immer an meiner Musik arbeite. Man kann also sagen, dass ich an „My Love Divine Degree“ schreibe, seit ich 2012 mein letztes Album „Landing On A Hundred“ veröffentlicht habe. Ende 2013, Anfang 2014 hat das Projekt dann Fahrt aufgenommen, weil ich erkannt habe, dass die Songs langsam ein neues Album ergeben.

MusikBlog: Du hast über Twilite gesagt, dass er als DJ ein großes Verständnis für Rhythmen und Grooves besitzt und daher auch großen Anteil an diesen Aspekten des Albums hat. Habt ihr Songs zusammen geschrieben oder hat er die Beats nachträglich ergänzt?

Cody ChesnuTT: Als er dazu kam, waren die Arrangements der Songs fertig geschrieben. Er hat dann einige Beats programmiert, Synthies und Synth-Bass eingespielt. Ursprünglich hatte ich die Schlagzeug-Spuren aber alle selbst eingespielt oder selbst programmiert. Er hat dann erst hinterher seine eigenen Ideen ergänzt.

MusikBlog: Dein erstes Album „The Headphone Masterpiece” war ein sehr eklektisches,  beinahe chaotisches Lo-Fi-Werk, dein zweites Album dann eher ein klassisches Soul-Album. „My Love Divine Degree“ sitzt nun in der Mitte zwischen diesen beiden Extremen.

Cody ChesnuTT: Das stimmt, das war auch die Idee hinter diesem Album. Ich wollte die roheren, ungeschliffenen Momente des Debüts mit den ausgefeilten Arrangements auf „Landing On A Hundred“ kombinieren. Gleichzeitig habe ich versucht, wieder die Offenheit und Spontaneität zuzulassen, die den kreativen Prozess bei meinem Debütalbum geprägt hat.

MusikBlog: Mit dem Song „I’ve Been Life” aus deinem letzten Album hast du versucht, ein positiveres Bild von Afrika zu zeichnen, weil sich die mediale Berichterstattung über den Kontinent häufig auf die Krisen und Probleme beschränkt. Ist der Song „Africa The Future“ die Fortsetzung dieser Idee?

Cody ChesnuTT: Genau. Ich glaube, dass es sehr wichtig ist, ein positiveres Bild von Afrika zu zeichnen, um etwas Optimismus zu schüren. Und Musik ist ein gutes Instrument, um diese positive Sicht zu verbreiten, weil gerade sie diesem Kontinent so viel zu verdanken hat.

MusikBlog: Hast du schon viele Konzerte in Afrika gespielt?

Cody ChesnuTT: Nein, aber das würde ich gerne ändern. Ich habe bislang nämlich noch kein einziges Konzert dort gespielt, hoffe aber, dass sich dies im Anschluss an die Veröffentlichung von „My Love Divine Degree“ ergibt.

MusikBlog: Im Song „Bullets In The Streets And Blood“ singst du davon, dass wir die Nachrichten von gewalttätigen Auseinandersetzungen, Morden und Anschlägen bereits viel zu oft gehört und gesehen haben. Bist du frustriert, wie wenig Fortschritt wir als Gesellschaft machen?

Cody ChesnuTT: Ich bleibe optimistisch, dass die Menschheit in naher Zukunft endlich ihre Lektion lernt und diese Dinge in den Griff kriegt. Wir müssen nur ein tieferes Verständnis für unsere Menschlichkeit entwickeln, um die Menschen in unserer nächsten Nähe, aber auch alle anderen Menschen zu respektieren und zu lieben. Mit meiner Musik bin ich immer auf der Suche nach dieser menschlichen Verbindung, die uns hilft, in Frieden zusammen zu leben.

MusikBlog: Gerade der Wahlkampf Trumps hat aber doch gezeigt, dass die Gesellschaft immer noch stark von Rassismus, Misstrauen und Missgunst durchsetzt ist. Gibt das nicht eher Grund zum Pessimismus?

Cody ChesnuTT: Das Problem des Pessimismus ist, dass er keine Alternative anbietet, während der Optimismus utopische Ziele bereitstellt. Und man muss nur selbst versuchen, ein besserer Mensch zu sein, Mitmenschen mit mehr Mitgefühl zu begegnen, und schon ist man Teil der Lösung. Ich glaube, dass es wirklich so einfach sein kann. Es bedarf keiner Magie, um die Welt zu einem besseren Ort zu machen.

MusikBlog: Vielen Dank für das Interview.

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