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Voodoo Jürgens – Live im Molotow, Hamburg

Das Molotow, wo die Reeperbahn ins umgebende Wohngebiet ausfranst und Hamburgs Kiez mit jedem Pflasterstein sichtbarer zur schalen Inszenierung seiner lebensfernen Eventexistenz wird, hier hat es naturgemäß schwer, wer nicht mit Nachdruck elektrische Gitarren malträtiert.

Clubs wie diesen nannte man einst Schuppen: verrußte Kellerlöcher mit dreckigem Sound und anspruchsreduziertem Publikum, dem rockige One-two-three-four-go-Metrik allemal für eine saftige Nacht reichte. Es ist also nicht die ideale Voraussetzung gelungener Gigs, wenn sie ein Mundartkünstler umgeben von Kontrabass, Akkordeon und E-Piano mit den Worten einleitet, man würde sich fortan vielleicht fühlen wie beim Konzert von Eros Ramazzotti.

Messlatte tiefhängen – auf der knöchelniedrigen Bühne im Schaufenster des Molotow ist das nicht die schlechteste Strategie, wenn man Erwartungshaltungen zu unterlaufen droht. Doch von zu tiefer Messlatte kann zurzeit ebenso wenig die Rede sein wie von zu hoher Erwartung, sobald einer der grandiosen Pop-Vandalen aus Österreich spielt.

An diesem Abend in Hamburg ist es Voodoo Jürgens, dessen Name nicht ohne Grund an einen Landsmann im Bademantel am Flügel erinnert; beiden ist schließlich bedingungslose Hingabe mit volkstümlicher Attitüde zueigen. Der Vergleich mit dem italienischen Emotionsversafter indes bezieht sich allenfalls auf die Verständlichkeit des Vokabulars: David Öllerer aus Tulln an der Donau singt im Dialekt seiner Heimat.

Und den verstehen Norddeutsche vermutlich kaum besser als Eros Ramazzottis glattpolierte Esperanto-Lyrik. Aber egal.

Zum ersten Mal in Hamburg, wie er fast ein wenig kleinlaut preisgibt, ist der Wiener jenseits seiner Wahlheimat vermutlich nirgends mehr zuhause als hier, wo die Berge weit sind und der Hafen nah. Voodoo Jürgens, wie sich das LoFi-Schnaps-Schlager-Folk-Kollektiv seit dem vielbeachteten Debütalbum „Ansa Woar“ vom vorigen Jahr nennt, ist gefühlsmäßig ja exakt so gepolt, wie es der umliegende Kiez zumindest marketingmäßig unverdrossen für sich in Anspruch nimmt: räudig, roh, direkt und kompromisslos real.

Vorneweg Öllerer, ein hingebungsvoller Strizzi mit schwerer Goldkette unterm Vokuhila, der seine niederösterreichischen Gassenhauer mit so viel Schweiß in den vollbesetzten Club wuchtet, dass alles darin zu einer bierseligen Gefühlswallung verschmilzt.

Als er mit krächzendem Pathos vom „Hansi da Boxer“ sprechsingt, der nur zu Boden geht, wenn die Liebe erlischt, wähnt sich so manch ein Zuhörer in der berühmten „Ritze“ ums Eck, wo das Blut ungezählter Preisschläger auf dem Ringboden klebt.

Als der Sänger vor der nächsten Volkspunkweise voller Straßenkinder mit Dreck unter den Fingernägeln die Saiten stimmt, fragt er sich glaubhaft und zu Recht, ob das in St. Pauli überhaupt nötig sei. Als er halbfertig den halben Hit „Heite grob ma Tote aus“ schmettert, grölt nicht nur die scheinbar geschlossen erschienene Exilgemeinde aus Österreich bierselig mit, sondern auch die Hanseaten vor Ort, denen das Wippen des linken Fußes im Takt ansonsten oft schon genug der Expression beim Live-Act ist.

Und als der Öllerer, David nach der finalen Vorstellung seiner Band nochmals alleine rauskommt, die Kippe im Mundwinkel, die Mundharmonika daneben, um die ganze Palette großer kleiner Gefühle seiner großen kleinen Welt dahoam am glasigen Blick vorbei ins Auditorium zu werfen, da ist alles hier eins mit Voodoo Jürgens.

Das Molotow hat schon mehr Abende mit Legendenstatus erlebt als die meisten Clubs in der Nachbarschaft zusammen. Spätere Weltstars, von Mumford & Sons bis The White Stripes, haben darin das Licht der Bühne erblickt. Doch Gigs wie der von Voodoo Jürgens, angeheizt von den hinreißenden Austropoppern Kommando Elefant, sind es, die den wahren, den echten Ruhm kleiner Schuppen begründen.

Konzerte, bei denen die Grenzen von Objekt zu Subjekt verschwimmen und alle trunken ins Freie torkeln. Raus auf die Reeperbahn, wo diese Idee nur noch gebügelte PR ist. Außer an diesem Abend.

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