MusikBlog - Entdecke neue Musik

Wir haben keine Agenda, um die Welt zu retten – Kraftklub im Interview

Vor sechs Jahren kannte man Kraftklub allenfalls daheim in Chemnitz, bald darauf waren die fünf Indierocker aus dem Osten schon Headliner großer Festivals und die ersten zwei Alben Nr. 1 in den Charts. Genau dort dürfte also auch „Keine Nacht Für Niemand“ landen, das diese Woche rauskommt. Frontmann Felix Brummer, verantwortlich für Texte und Gebrüll, erzählt im MusikBlog Interview, wie es dazu kommen konnte, was das aus den fünf Freunden gemacht hat und warum sie diesmal eher lässig als schnell sein wollen.

MusikBlog: Felix, ist eure Starrummel-Hymne „Band mit K“ gleich zum Auftakt eures neuen Albums eigentlich nur ironisch gemeint oder auch ein bisschen angenehm überrascht vom Erfolg?

Felix Brummer: Da ist der Interpretationsspielraum bewusst relativ weit gefasst. Wir inszenieren uns ja schon schamlos als Sektenführer, kritisieren aber auch den Kult um Stars inklusive der YouTuber-Szene, die jungen Menschen das Geld aus den Sparschweinen fingert. Andererseits kann man es auch einfach als lustige Überhöhung der Popkultur von außen hören. Denn in der Realität hält sich der Rummel bei uns selbst ja doch noch in Grenzen. Wir haben anders als ein paar unserer Kollegen noch keine campenden Fans vor den Wohnungen.

MusikBlog: Wenn anders als im Song keine Schlüpfer fliegen – wie weit geht die Fan-Liebe?

Felix: Dass manche wirklich zu jedem einzelnen unserer Konzerte fahren. Das finde ich natürlich schon auch ein wenig verrückt, vor allem aber sehr sympathisch.

MusikBlog: Trotzdem lief der Schritt vom kleinen Club auf die ganz große Bühne für euch in einem Tempo, das schon ein wenig Größenwahnsinn rechtfertigen würde oder?

Felix: Na ja, es gab 2012 schon eine Phase, wo es im Rückblick ziemlich schnell ging. In dem Jahr ist gefühlt alles auf einmal passiert, zwischen ganz klein, erster Platte und ganz groß haben wir noch eine Kolumbien-Tour gespielt. Ernsthaft!

Trotzdem hat sich für uns immer alles natürlich angefühlt, wir haben keinen Schritt übersprungen. Bei „Rock am Ring“ zum Beispiel haben wir erst auf dem Zeltplatz gespielt, im Jahr drauf auf der kleinsten Bühne, zwei Jahre später auf der Hauptbühne, aber um 18 Uhr, dann abends und zuletzt als Headliner. Das ist schon krass, aber eben eine fließende Entwicklung.

MusikBlog: Hat sie euch als Band, Musiker und Menschen verändert?

Felix: Sicherlich, aber ich könnte gar nicht im Einzelnen aufzählen, was genau. Wir sind jedenfalls keine kokainsüchtigen Psychopathen geworden in den letzten sieben Jahren. Vielleicht aber auch deshalb, weil wir vor dem Album hier eine Pause eingelegt haben, um wieder normale Sachen zu machen, weil man sonst schnell das Leben der anderen verschwitzt. Wir hatten das Gefühl, unsere Freunde nur noch dann zu treffen, wenn wir sie auf unsere Konzerte einladen. Das ist auf Dauer einfach nicht geil.

MusikBlog: Ihr habt euch also bewusst wieder ein bisschen geerdet?

Felix: Auf jeden Fall, das muss man manchmal. Es gibt bestimmt genügend Menschen, die es total geil finden, sich mit einem crazy Rockstar-Life von der Realität zu entfremden. Für uns war das alte Umfeld schon immer ein wichtiger Quell der Inspiration.

MusikBlog: Und hat es etwas an eurer Musik verändert, dass dieser Quell zwischenzeitlich ein bisschen weiter weg war?

Felix: Inwiefern?

MusikBlog: Dass man mit wachsendem Publikum versucht, fetter zu produzieren, mehr Mitgrölsongs zu schreiben, um die Massen in Bewegung zu setzen zum Beispiel?

Felix: Nee, gar nicht. Wir lernen zwar mit jedem Auftritt dazu, sind aber bis heute nicht die großartigen Virtuosen an unseren Instrumenten. Ich als Frontmann kann ja im Grunde noch nicht mal richtig singen. Dennoch bleibt es dabei, dass wir jeden Song auch im Club spielen können müssen. Was wir machen, muss sich auch im Proberaum richtig anfühlen; erst wenn es das tut, funktioniert es auch auf der Bühne.

MusikBlog: Aber zollt man dem wachsenden Moshpit vor der Bühne nicht dennoch insofern Tribut, als man ihm auch was bieten muss?

Felix: Weil wir uns immer sehr als Live-Band begriffen haben, waren die ersten zwei Alben genau dieser Ausgangslage geschuldet. Wir wollten auch im Studio, dass es permanent knallt. Immer schnell, immer ballern. Davon haben wir uns auf diesem Album verabschiedet. Aber eher, weil wir das Gefühl hatten, dass das auserzählt ist. Das Ende der Fahnenstange war einfach erreicht, denn bei der Frage, wo es mit uns hingehen soll, wurde einfach deutlich, dass noch mehr Tempo keine Antwort ist.

MusikBlog: Welche Antwort gäbe es dann?

Felix: Mehr Lässigkeit vielleicht und eine gewisse Antihaltung zu bestimmten Erwartungen einzunehmen. Wenn alle wollen, dass wir noch ein und noch ein Album im 16tel-Beat durchhacken, müssen wir mal was anderes machen. Es ist ja schon schwer genug, sich unter fünf Bandmitgliedern auf eine Linie zu einigen; falls dann noch Meinungen und Ansprüche von außen hinzukommen, wird es richtig anstrengend. Wenn den Leuten das, was dieses Mal rausgekommen ist, nicht gefällt – gut, dann ist es halt so…

MusikBlog: Sind eure Einigungsprozesse im Übungsraum so kompliziert wie es jetzt klingt?

Felix: Ja, da knallen schon auch Egos aneinander. Aber das war schon immer so, ist also nicht erst mit dem Erfolg passiert. Wenn man zu jemandem sagt, der und der Part passe nicht, dann kommt das schnell so an, als meinte man eigentlich: du bist scheiße! Das ist die Grundschwierigkeit aller Gruppen.

MusikBlog: Macht es die Tatsache, dass ihr nicht nur fünf Musiker, sondern fünf Freunde seid, schwieriger oder leichter, da einen Konsens zu finden?

Felix: Ich glaube, schwieriger. Der Bassist ist mein Bruder, den kenne ich, seit er auf der Welt ist; da kenne ich seine Stärken und Schwächen so genau, dass es leichter fällt, sich zu verletzen. Zugleich aber ist es eben auch einfach schöner, mit guten Freunden Sachen zu erreichen als mit Kollegen.

MusikBlog: Politisch steht ihr dabei eher links vom Mainstream oder ist das bloß Wunschdenken all jener, die sich freuen, endlich stehe eine unterhaltsame Band mal politisch auf der richtigen Seite?

Felix: Das ist insofern Wunschdenken, als ich es total arrogant und herablassend finde, sich auf der richtigen Seite zu fühlen. Natürlich kommt, wenn fünf politisch denkende Typen Musik machen, am Ende auch irgendwie politische Musik heraus. Aber weil wir als Menschen alle links sind, heißt das nicht, dass wir irgendeine Agenda hätten, um die Welt da draußen mit Kraftklub-Songs zu retten.

Wir lassen uns vor keinen Karren spannen. Aus dem Anspruch, die Wahrheit zu kennen, entsteht ja genau das Denken, gegen das wir draußen auf der Straße demonstrieren. Wir machen Dreieinhalbminutensongs. Wer komplexe Themen in so kurzer Zeit zu lösen vorgibt, dem sollte man grundsätzlich misstrauen.

MusikBlog: Aber ein Song wie „Fenster“ richtet sich doch ganz klar gegen Wutbürger von AfD bis Pegida.

Felix: Das tut er. Aber nicht, um Lösungen anzubieten, sondern Kommentare auf die Gegenwart.

MusikBlog: Ist „Dein Lied“ dann einer für vermeintliche Gutmenschen, die natürlich rote Ohren kriegen, wenn jemand seine Ex als „Du Hure“ beschimpft?

Felix: Nein, das ist keine bewusste Provokation, sondern der Versuch, die Perspektive eines verlassenen Freundes von verständnisvoll auf rachsüchtig kippen zu lassen. Und natürlich der Spaß, eine heftige Bildsprache zu benutzen, um heftige Emotionen zu beschreiben. Ich verstehe, dass das manchen zu krass ist – gerade aus unserem Mund, von der netten Indie-Band, nicht dem fiesen Gangsta-Rapper.

Und stimmt ja: ich finde es furchtbar, wenn Frauen als Schlampen oder so bezeichnet werden. Aber wenn wir einen Song wie diesen schreiben, machen wir das aus Interesse an der Situation, dass so etwas nun mal existiert.

MusikBlog: Ist so ein Song also gar nicht autobiografisch geprägt?

Felix: Ich erzähle eine Geschichte, die alle betreffen könnte und zwar möglichst authentisch. Wenn sie in der dritten Person geschrieben wäre, also „er sagt, du Hure!“, würde es niemanden berühren. Aber ich will unsere Songs auch nicht immer erklären. Darum muss ich halt damit leben, dass mich manche Leute wegen solcher Texte für ein sexistisches Schwein halten. Die meisten werden mich schon richtig verstehen…

MusikBlog: Dahinter steckt kein Spaß an der Provokation?

Felix: Nee. Höchstens an der Reibung . Zumal „Dein Song“ völlig anders ist als unsere anderen Sachen, keine fetten Riffs, sondern mit echtem Orchester. Da reibt sich dann vor allem die schöne Musik an der krassen Sprache.

MusikBlog: Habt ihr live einen Satz Streicher dabei, wenn ihr den Song aufführt?

Felix: Genau deshalb wissen wir noch gar nicht so genau, ob wir ihn live spielen. Im Studio war das toll, aber wie sollen die alle auf die Bühne passen?

MusikBlog: Gut, die Bühnen sind ja mittlerweile groß genug bei euch.

Felix: Stimmt, raufpassen würden sie. Aber was für ein Aufwand! Weiß nicht, ob wir auf den Bock haben, so als Kraftklub.

MusikBlog: Vielen Dank für das Interview.

Facebook
Twitter

Schreibe einen Kommentar

Das könnte dir auch gefallen

Login

Erlaube Benachrichtigungen OK Nein, danke