Tickets für die Show im Palladium im Februar 2018 sind schon längst zu haben. Eine ordentliche Hausnummer, die Kettcar da angepeilt haben. Dann plötzlich noch eine Tour-Ankündigung. Die Hamburger zelebrieren ihr neues, allseits gefeiertes Album „Ich Vs. Wir“ so richtig und spielen quer durch Deutschland vier Full-Album-Shows.
Eine davon auch im Kölner Gloria, das sich an diesem Abend so voll anfühlt, dass man sich fragt, ob heimlich ein paar Tickets zu viel rausgegeben wurden. Schon zur Vorband Fortuna Ehrenfeld gleicht es einer Herkules-Aufgabe, sich noch nach vorne durchzukämpfen.
Nach dem Set des Kölner Multiinstrumentalisten, der das Publikum mit seinen klugen Texten, die er in einfühlsame, deutsche Popmusik verpackt begeistert, betreten Kettcar die Bühne. Und zunächst kommt ganz in ihrem Sinne alles anders als gedacht.
Statt ihre Show direkt mit dem aktuellen Album zu beginnen, lädt das Quintett erst mal auf eine Reise in die Vergangenheit ein und startet mit „Balkon gegenüber“ von ihrem ersten Album „Du und wieviel von deinen Freunden“. Dass Marcus Wiebusch dabei kurz beherzt in die falschen Saiten greift, stört heute Abend keinen. Die Leute sind euphorisch, in dieser verhältnismäßig kleinen Location mitfeiern zu dürfen.
„Wir spielen jetzt zwei Liebeslieder. Das ist insofern lustig, weil wir ja jetzt eine Polit-Punk-Band sind“, erntet Wiebusch mit seiner selbstironischen Art Sympathiepunkte. Es folgen „Rettung“ und „48 Stunden“ und alle Kehlen im Kölner Gloria singen mit.
„An uns wurde herangetragen, dass wir doch so eine Full-Album-Show spielen sollen. Dann haben wir zuerst mal gesagt: ‚Was ist das denn für ein Quatsch?’ Und dann haben wir gefragt, wer das denn sonst so schon gemacht hat. Und dann war die Antwort unter anderem Bruce Springsteen. Und da hatten sie uns schon“, erklärt der Frontmann, bevor Kettcar tatsächlich ihr gesamtes Album „Ich Vs. Wir“ in gleicher Reihenfolge wie auf Platte spielen.
Ein gelungener Vergleich, denn irgendwie sind Kettcar schon immer ein bisschen wie Bruce Springsteen. Sie erzählen Schicksale in genau so mitreißenden, emotionalen und wortgewandten Geschichten wie der Boss. Die jüngste Meisterleistung ist die Über-Single „Sommer 89“, die von einem Fluchthelfer an der Österreich-Ungarischen Grenze handelt und vom Publikum minutenlang beklatscht wird.
Nach der zweiten Zugabe dürfen Kettcar sich für den heutigen Abend aus vollem Herzen selbst auf die Schulter klopfen. Denn ihnen ist genau das gelungen, womit so viele Künstler Schwierigkeiten haben. Die neuen Songs werden in gleichem Maße abgefeiert wie die alten Hits. Klar ist das Publikum bei der Zugabe „Deiche“ oder „Landungsbrücken raus“ ein bisschen textsicherer, der Enthusiasmus ist jedoch der gleiche.
Die Wahl zu ihrer nächsten Single dürfte Kettcar demnach ganz schön schwer fallen. Zumindest wenn umgesetzt wird, was Wiebusch in einer seiner vielen unterhaltsamen Anekdoten, die ihn auf der Sympathieskala noch weiter nach oben katapultieren, als er sowieso schon ist, scherzhaft ankündigt: „Heute Abend ist Publikumsentscheid. Der Song, bei dem der Applaus am lautesten ist, wird unsere dritte Single.“. Zumindest im Gloria will sich da noch nicht ansatzweise irgendjemand festlegen.