Egal ob am Mikrofon, mit der Gitarre oder umgeben von tausenden Reglern und Knöpfen: Tobias Siebert ist künstlerisch stets in Bewegung. Der Berliner Sänger (Klez.e), Gitarrist (Klez.e, Delbo) und Produzent (Kettcar, Juli, Slut) ist ein musikalischer Tausendsassa. Sein Soloprojekt hört auf den Namen And The Golden Choir und präsentiert sich als musikalischer Gegenpol zu Sieberts rockiger Ader.

Was im Januar 2015 als analoge Ich-Vervielfältigung (“Another Half Life“) für großes Aufsehen in der hiesigen Musikbranche sorgte, wird dieser Tage mit digitalen Zusätzen gefüttert (“Breaking With Habbits“). Abermals im Me-myself-and-i-Modus lässt Tobias Siebert seinen musikalischen Gefühlen freien Lauf. Wir trafen den Dirigenten des goldenen Chors in Berlin zum Interview und plauderten über die ersten Projektschritte und das Musizieren abseits gängiger Konventionen.

MusikBlog: Manche Szene-Kenner hatten “Breaking With Habbits” nur als hörenswerte Momentaufnahme auf dem Schirm. Nun erscheint dein zweites Studioalbum unter dem And The Golden Choir-Banner. Da hat wohl jemand Blut geleckt, oder?

Tobias Siebert: Ja, kann man so sagen. Die tolle Resonanz spielte aber nur eine sekundäre Rolle. Natürlich habe ich mich über die vielen überschwänglichen Rezensionen gefreut. Aber mein Antrieb war ein anderer. Es ging mir in erster Linie darum, zu ergründen, was noch alles möglich ist. Was könnte hinzukommen? Was könnte man weglassen? Und wie klingt das dann alles? Ich war total gespannt.

MusikBlog: Eigentlich hattest du ja gar nicht vor, ein neues Projekt an den Start zu bringen. Erinnerst du dich noch an die Geburtsstunde von And The Golden Choir?

Tobias Siebert: Das war eigentlich kein spezifischer Moment. Das war eher eine Phase, in der eins zum anderen kam. Ich war damals jeden Tag mit meinen Bands beschäftigt. Das war auch toll. Wir haben uns getroffen, sind in den Proberaum gefahren und haben gemeinsam Lieder geschrieben. Wie das halt so läuft. Ich hatte dann irgendwann das Gefühl, mal etwas Neues ausprobieren zu wollen.

MusikBlog: Eine weitere Band kam aber nicht in Frage?

Tobias Siebert: Nein, das wäre ja nicht wirklich etwas Neues gewesen. Ich wollte anders arbeiten, anders denken und mehr Kontrolle haben. Ich habe mich dann einfach hingesetzt und angefangen, eigene Ideen zu sammeln. So sind die ersten Songs entstanden. Das war zuerst nur einer. Irgendwann waren es dann fünf. Aber selbst, als die fünf Tracks fertig waren, hatte ich noch keine Vorstellung, was ich mit den Songs machen sollte. Mir ging es nur um den Prozess. Mir ging es nur darum, etwas Eigenes zu kreieren, zu gucken, was möglich ist, und wie sich das am Ende dann anhört.

MusikBlog: Kurz danach standest du aber mit deinen Songs und einem Plattenspieler auf der Bühne.

Tobis Siebert: Ja, das stimmt (lacht). Eine befreundete Band, die ich damals produziert habe, fand meine Songs so cool, dass sie mich als Support mit auf Tour genommen haben. Ich hab mir dann überlegt, ob ich mir eine Band zusammenstelle, bin von dem Gedanken aber schnell wieder abgerückt. Das passte für mich irgendwie nicht. Ich kam dann auf die Idee, all die Spuren, die ich brauchte, auf Vinyl zu pressen.

Mit dem Ergebnis und einem Plattenspieler bin ich dann auf die Bühne rauf. Ich hab dann dazu gesungen und nebenbei noch ein paar Instrumente gespielt. Das klappte so gut, dass immer mehr draus wurde. Na ja, und jetzt sitze ich hier und rede über mein zweites And The Golden Choir-Album. Das ist schon ziemlich cool. Das Projekt ist mir mittlerweile sehr ans Herz gewachsen.

MusikBlog: Verglichen mit Klez.e und Delbo ist And The Golden Choir musikalisch eine ganz andere Baustelle. Wo kommen all die Dramatik und der melancholische Pop her?

Tobias Siebert: Ich bin grundsätzlich nicht der Typ, der in Schubladen denkt und musiziert. Für mich spielen Bezeichnungen wie Rock, Pop und was es sonst noch alles so gibt, eigentlich keine Rolle. Wenn ich morgens ins Studio gehe, dann nehme ich mir irgendein rhythmisches Instrument oder setze mich ans Schlagzeug und spiele erstmal drauflos. Und meist habe ich dann nach einer Minute eine Idee für einen Refrain, oder so. Das kommt dann immer ganz drauf an. Später kommen dann andere Instrumente dazu.

Die Entscheidung, welches Instrument dazukommt, treffe ich aber immer erst während des Entstehungsprozesses. So weiß ich eigentlich vorher nie, was am Ende rauskommt. Das kann dann mal was Gitarrenlastiges sein oder aber auch eine wabernde Ballade. Für mich ist das total spannend. Ich überrasche mich quasi immer selbst.

MusikBlog: Du hast diesmal auch viele ungewöhnliche Instrumente mit eingebunden. Irgendwo habe ich sogar den Klang einer Drehleier vernommen.

Tobias Siebert: Ich setze mir einfach keine Grenzen, auch nicht bei der Wahl der Instrumente. Für mich hat dieses Projekt auch viel mit Weltmusik zu tun. Das ist ja ein Begriff, den viele nur ungern in den Mund nehmen. Ich hingegen finde es total spannend, Sounds mit einzubinden, die eine ganz besondere Klangcharakteristik an den Tag legen. Die Drehleier beispielsweise stammt aus dem Mittelalter. Ein anderes Instrument stammt aus Persien. All diese unterschiedlichen Klänge habe ich mit gängigen Sounds verbunden. Und am Ende entsteht dann ein großes Ganzes, das sich irgendwie in alle Richtungen ausbreitet.

MusikBlog: Dieses “Paket” geht dann demnächst auch wieder auf Reisen. Stichwort: Konzerte. Wirst du wieder mit dem Plattenspieler unterwegs sein? Oder bindest du diesmal eine Band mit ein?

Tobias Siebert: Da bin ich, ehrlich gesagt, noch nicht ganz klar. Für mich haben beide Optionen ihre Reize. Eine Band bringt natürlich viel Leben mit rein. Da ist dann viel Austausch auf der Bühne. Das ist schon auch spannend. Auf der anderen Seite, ist dieses Plattenspieler-Konzept noch längst nicht ausgereizt. Da gibt es, glaube ich, auch noch unheimlich viel zu entdecken. Ich tappe da momentan noch genauso im Dunkeln wie alle anderen. Einfach überraschen lassen. (lacht)

MusikBlog: Machen wir. Vielen Dank für das Interview.

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