Um zu erkennen, wie sich der Sound von Sunflower Bean in den letzten beiden Jahren verändert hat, muss man lediglich das Albumcover ihres Debütalbums „Human Ceremony“ mit dem des Nachfolgers „Twentytwo In Blue“ vergleichen.
Bei ihrem Debüt hatte die Band aus New York so viel Nippes, so viele Wanduhren und Blumen im Zimmer arrangiert, dass Bassistin Julia Cumming, Gitarrist Nick Kivlen und Drummer Jacob Faber beinahe nicht mehr aufs Bild gepasst hätten.
Ähnlich vollgestopft mit Ideen und verschiedenen Einflüssen waren auch die elf Songs auf „Human Ceremony“, mit denen das Trio von Dream-Pop über Shoegaze bis Indie- und sogar Hard-Rock durch diverse Stile der Gitarrenmusik eilte. Zwar war so viel Musikwissen mit Blick auf das Alter der drei Musiker (alle Anfang 20) durchaus beeindruckend, allerdings gelang es Sunflower Bean nicht immer, aus den gegensätzlichen Zutaten eine ausgewogene Mahlzeit zu kochen.
Für ihr zweites Album hat die Band nun ausgemistet und aufgeräumt, das verdeutlicht schon das Artwork. Wieder ziert eine Photographie von Cumming, Kivlen und Faber das Cover, doch für „Twentytwo In Blue“ posiert das Trio in einem komplett leeren Raum. Ein einzelnes Spotlight ist auf die finster dreinblickende Band gerichtet, der Rest des Raums liegt im Dunklen.
Dieser Trend zur Reduktion zieht sich auch durch die elf neuen Songs. Zwar sind die Zutaten dieselben, doch sie werden auf „Twentytwo In Blue“ nicht mehr so exzessiv vermischt.
Wenn ein Song wie „I Was A Fool“ als Herzschmerz-Ballade beginnt, biegt er nach der Hälfte nicht urplötzlich – wie etwa „Creation Myth“ auf dem Vorgänger – in ein schweres Riff-Gewitter im Stile von Black Sabbath ab. Umgekehrt beginnt und endet etwa „Human For“ als wütender Stampfer, in dem Julia Cummings Gesang zu einem erbosten Krächzen verzerrt ist.
„Twentytwo In Blue“ dreht sich um drei Themenkomplexe, zwei davon stecken im Titel. Zunächst handeln die elf Songs vom 22. Lebensjahr, das die drei Bandmitglieder vor der Veröffentlichung des Albums erreicht haben. Diese Phase der Adoleszenz, dieser Abschied von jugendlicher Naivität ist schon für Normalsterbliche aufreibend genug. Doch wenn man dieses Jahr mit seiner Band abwechselnd auf Tour oder im Studio verbringt, entwickelt sich dieser Lebensabschnitt endgültig zu einer Achterbahn der Gefühle.
Wobei sich die Songs auf „Twentytwo In Blue“ hauptsächlich auf das Gefühl der Melancholie fokussieren, wie das „Blue“ im Titel markiert. Doch die Melancholie von Sunflower Bean klingt nie niederschmetternd oder deprimierend. Hier wird zwar gelitten, aber mit der romantisch verklärten Geste eines Hollywood-Dramas.
Die Single „Crisis Fest“ präsentiert schließlich das dritte Thema, das die Band auf „Twentytwo In Blue“ umtreibt. Es geht um die vielen großen und kleinen weltpolitischen Krisen, die das Jahr 2017 geprägt haben und uns auch im Jahr 2018 beschäftigen werden: „2017, we know/ Reality’s one big sick show/ Every day’s a crisis fest.“
Donald Trump gegen Kim Jong-Un, Großbritannien gegen Russland, Brexit, der Rechtsruck in beinahe allen europäischen Ländern… Ziemlich viel los! Vielleicht haben Sunflower Bean auch deshalb den wilden Stilmix ihres Debüts auf „Twentytwo In Blue“ deutlich runtergeschraubt. Denn wenn die Realität so aufreibend ist, dürfen die 40 Minuten des Albums gerne etwas überraschungsärmer ausfallen.