Auf seinem letzten Soloalbum „Piano“ ließ Alexis Taylor alles weg, was ihn und seine Band Hot Chip eigentlich auszeichnet. Ganz alleine saß er am Klavier, interpretierte mit seiner prägnanten Falsett-Stimme fremde und eigene Songs. Die vielschichtigen, verspielten Arrangements, die Hot Chip spätestens mit ihrem zweiten Album „The Warning“ 2006 zu Kritikerlieblingen machte, überließ Alexis Taylor hier befreundeten Musikern, die im letzten Jahr mit „Listen With(out) Piano“ ein begleitendes Album aufnahmen, das gleichzeitig mit „Piano“ oder als eigenständiges Werk gehört werden kann.

Nun kündigt gleich der Opener „Dreaming Another Life“, der Dub mit Disco paart, eine Rückkehr zum gewohnten Sound an. Gleichzeitig ist das vierte Soloalbum „Beautiful Thing“ des Sängers und Musiker aber auch ein Neuanfang. Zum ersten Mal hat Alexis Taylor ein Soloalbum zusammen mit einem Produzenten aufgenommen und nicht wie das intime „Await Barbarians“ aus dem Jahr 2014 alleine im eigenen Studio erarbeitet. Die zehn Songs des neuen Albums entstanden unter der Aufsicht von Tim Goldsworthy, dem Gründungsmitglied von UNKLE und Mitbegründer des Labels Mo’ Wax, dem Alexis Taylor eine Playlist mit Songs von Björk, Brian Eno und George Michael zusammenstellte, die als Inspiration für „Beautiful Thing“ dienen sollte.

Im Gespräch verriet uns Alexis Taylor, wie diese Playlist das Songwriting und den Sound von „Beautiful Thing“ beeinflusst hat, wie ein Missverständnis zwischen Tim Goldsworthy und ihm aus einem Song zwei machte und ob sein Ausflug ans Klavier seine Sicht auf Musik verändert hat.

MusikBlog: Dein neues Album heißt „Beautiful Thing“. Wie definierst du denn Schönheit?

Alexis Taylor: Da hast du mich kalt erwischt, darauf habe ich keine Antwort. Als ich den Titeltrack geschrieben habe, wollte ich mit „Beautiful Thing“ den Moment umschreiben, wenn ich zum ersten Mal neue Musik höre oder zum ersten Mal einen neu geschriebenen Song spiele. In beiden Fällen ist da plötzlich diese musikalische Idee, von der ich nicht genau weiß, wo sie herkommt, die aber mit so großer Kraft auf mich wirkt. Diesen Moment, der viel Schönheit in sich trägt, wollte ich mit dem Titel „Beautiful Thing“ feiern. Für mich sind diese Momente vor allem dann besonders, wenn ich mit einem anderen Musiker zusammenarbeite und er plötzlich eine solche Idee einbringt. Um diesen Austausch zwischen musikalischen Partnern und Freunden geht es mir dabei.

MusikBlog: Musikalisch sticht der Titelsong mit seinem tanzbaren, am Ende sogar hektischen Disco-Beat aber aus den meist ruhigen, atmosphärischen Songs von „Beautiful Thing“ hervor.

Alexis Taylor: Naja, „Suspicious Of Me“ und „Oh Baby“ entwickeln eine ähnliche rhythmische Spannung. Mir fällt es schwer zu sagen, ob ein Song heraussticht, weil ich sie mit Ausnahme von „Oh Baby“ alle mit Tim Goldsworthy aufgenommen habe und deshalb viele kleine Details in der Produktion höre, die die Songs zusammenhalten. Verschiedene Arten von Delay und Reverb zum Beispiel. Deshalb nehme ich die zehn Songs des Albums als Einheit war, aber natürlich ist ein Großteil der Songs wirklich ruhiger und womöglich atmosphärischer als „Beautiful Thing“.

MusikBlog: Über die Single „Oh Baby“ hast du gesagt, dass das Schreiben des Songs kaum mehr Zeit in Anspruch nahm als jetzt das Hören. Fiel dir das Songwriting aller Songs auf „Beautiful Thing“ so leicht?

Alexis Taylor: Nein, vor allem bei „Dreaming Another Life“ hatte ich Probleme, den Song zu vollenden. Wir hatten in zwei unterschiedlichen Sessions an dem Song gearbeitet und das führte zu zwei unterschiedlichen Versionen. Mein Problem war also nicht direkt das Songwriting, sondern dass ich mich nicht zwischen den beiden Versionen des Songs entscheiden konnte. Deshalb habe ich versucht, aus diesen zwei sehr unterschiedlichen Songs wieder einen zu machen, was jedoch schwierig war, weil beide atmosphärisch in sehr verschiedene Richtungen gingen.

Ähnliche Schwierigkeiten bereitete mir „Roll On Blank Tapes“. Den Song nahm ich zunächst als Klavierballade auf, doch nur mit Gesang und Piano fühlte er sich falsch an. Deshalb bat ich Tim, mir zu helfen, indem er ein weiteres Instrument oder einen Beat hinzufügt. Doch ich konnte ihm nicht vermitteln, wie der Song in meinem Kopf klingt und was er deshalb braucht, um auch außerhalb meines Kopfes zu funktionieren. Aus diesem Missverständnis zwischen Tim und mir entstand dann „Suspicious Of Me“, weil es im Grunde mein Versuch ist, den Song mit Tims Ideen noch einmal neu zu schreiben.

Der Song basiert auf dem Loop eines Drumroboters, der wie ein Drumcomputer programmiert werden kann, aber dann echte Drums für dich spielt. Über diesen Loop habe ich meine Ideen zu „Roll On Blank Tapes“ immer wieder wiederholt, bis aus diesen Improvisationen schließlich „Suspicious Of Me“ wurde. Deshalb folgt „Suspicious Of Me“ auf dem Album auch ohne Unterbrechung sofort auf „Roll On Blank Tapes“, weil diese beiden Songs für mich untrennbar miteinander verbunden sind.

Insgesamt sind es häufig solche Kleinigkeiten, die mich im Studio viel Zeit kosten, aber beim größten Teil des Albums fiel es mir leicht, die Songs zu schreiben und aufzunehmen. Obwohl ich darum bemüht war, dass die Songs dieses Mal größer und überraschender klingen als auf meinen bisherigen Soloalben.

MusikBlog: Hast du deshalb zum ersten Mal in deiner Solokarriere mit einem Produzenten gearbeitet?

Alexis Taylor: Genau, bisher habe ich die meisten Songs zuhause in meinem eigenen Studio aufgenommen. Das ist ein sehr kleiner Raum, vollgestopft mit all den Instrumenten, die ich über die Jahre angesammelt habe: verschiedene Synthesizer, Drumcomputer, Congas und so weiter. Wenn ich also dort aufnehme, steht schon fest, welche Instrumente ich benutzen werde und wie die Songs klingen werden. Denn natürlich kann man in diesem kleinen, vollgestopften Raum nicht den gleichen Sound erreichen wie in einem professionellen Studio. Vielleicht ist es persönlicher und intimer, so zu arbeiten. Für „Beautiful Thing“ wollte ich mich aber ein wenig öffnen und in einem Studio zusammen mit einem Produzenten arbeiten. Und ich glaube, dass es dennoch sehr intime Momente auf diesem Album gibt.

MusikBlog: Als du zum ersten Mal mit Tim Goldsworthy über das Album gesprochen hast, hast du ihm verschiedene Songs wie Gavin Bryars‘ „Jesus Blood Never Failed Me Yet“ als Inspiration vorgespielt. Hattest du zu diesem Zeitpunkt also schon eine genaue Vorstellung, wie „Beautiful Thing“ klingen soll?

Alexis Taylor: Nein, aber es gab einen bestimmten Sound oder eine Atmosphäre, für die ich mich interessierte. Allerdings hatte ich keine Ahnung, wie ich Tim diese Idee in meinem Kopf verständlich machen kann. Ich habe ihm dann diese Songs vorgespielt, die für mich diesen Sound oder diese Atmosphäre repräsentieren, und anschließend mit ihm über die Songs diskutiert. Es war ein Experiment, ich habe zuvor noch nie so gearbeitet. Und auch wenn wir im Endeffekt auf „Beautiful Thing“ einen ganz anderen Weg eingeschlagen haben, war diese Playlist sehr hilfreich für unsere Zusammenarbeit.

MusikBlog: Hat Tim Goldsworthy sofort verstanden, was du ihm mit dieser Playlist sagen möchtest?

Alexis Taylor: Ja, ich hatte wirklich das Gefühl, dass Tim sofort gemerkt hat, worum es mir geht. Gavin Bryars‘ Komposition ist ein gutes Beispiel, weil sie sich um den Loop einer Stimme dreht, die immer und immer und immer wieder dasselbe singt. Nach und nach gesellen sich weitere Instrumente zu dieser Stimme, aber das Stück nimmt sich viel Zeit, bis der Hörer endlich das ganze Arrangement hört.

Wir haben während der Aufnahmen von „Beautiful Thing“ zwar nicht mehr über dieses Stück gesprochen, aber ich bin davon überzeugt, dass es zum Beispiel den Song „There’s Nothing To Hide“ stark beeinflusst hat. Für den Song hatte ich zunächst auch nur diese eine melodische Phrase, die ich immer wieder wiederhole, aber keine Idee, wie der Rest der Musik klingen wird.

Diese Idee spukt mir übrigens schon seit ungefähr zehn Jahren durch den Kopf. Und als der Song „Beautiful Thing“ dann fertig war, fiel mir auf, dass sein Aufbau ganz ähnlich funktioniert wie der von Gavin Bryars‘ Komposition. Das war Tim und mir während der Arbeit daran gar nicht bewusst. Auf diese Art haben uns viele Songs der Playlist inspiriert. Ich höre in meinem Stück „A Hit Song“ zum Beispiel viele Parallelen zu George Michaels „A Different Corner“.

MusikBlog: Sollte „Beautiful Thing“ auch deshalb größer und komplexer klingen, weil dein letztes Album „Piano“ so reduziert war?

Alexis Taylor: Es gibt auch auf „Beautiful Thing“ reduzierte Momente wie das erwähnte „A Hit Song“, aber insgesamt ist das Album wirklich eine Antwort auf den Minimalismus meines letzten Soloalbums. Vom ersten Song „Dreaming Another Life“ an, klingt es ganz anders. Allerdings habe ich nie bewusst entschieden, dass ich nach „Piano“ eine komplett andere Richtung einschlagen möchte. Ich war einfach neugierig darauf, wieder etwas anderes zu machen.

In gewisser Weise hat das ergänzende Album „Listen With(out) Piano“ diese Richtung ja schon vorgegeben. Zwar spiele ich darauf nicht selbst Musik, aber es war meine Idee, andere Musiker zu bitten, ihre Ideen zu meinen Songs von „Piano“ aufzunehmen und damit den Songs ein größeres Arrangement zu verleihen.

MusikBlog: Sowohl mit Hot Chip als auch solo bist du für vielschichtige, rhythmisch komplexe Musik bekannt. Hat sich deine Sicht auf Musik verändert, dadurch dass du ein Album nur mit Klavier und deinem Gesang aufgenommen hast?

Alexis Taylor: Das ist schwer zu sagen, denn ich bin ja nun wieder zu diesem vielschichtigen Sound zurückgekehrt, habe mit anderen Musikern zusammen aufgenommen. Außerdem schreibe ich viele meiner Songs am Klavier, deshalb klingen sie zumindest zu Beginn ähnlich wie die Songs auf „Piano“. Und ich war ja auch schon vor „Piano“ daran interessiert, Songs manchmal auf das Wesentlichste zu reduzieren.

MusikBlog: Ich habe die Frage gestellt, weil auf „Beautiful Thing“ zum Beispiel bei „Dreaming Another Life“ oder „There’s Nothing To Hide“ Pausen eine wichtige Rolle spielen und häufig einzelne Sounds sehr viel Raum bekommen.

Alexis Taylor: So habe ich das bisher noch nicht gesehen, aber ich verstehe nun, worauf du hinaus willst. Der Umgang mit Pausen und Stille könnte wirklich davon beeinflusst sein, dass ich zuvor ein Pianoalbum aufgenommen habe. Überhaupt bin ich der Meinung, dass man immer von dem beeinflusst wird, was man zuvor getan hat oder welche Musik man gehört hat. Und ich bin in den letzten zwei Jahren sehr häufig mit dem Material von „Piano“ aufgetreten, habe Shows alleine am Klavier gespielt. Ganz bestimmt spiegelt sich diese Erfahrung auch auf „Beautiful Thing“ wider.

MusikBlog: Vielen Dank für das Interview.

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